"Allah hört zu"
Als Hani S. im November vergangenen Jahres die Männer mit den langen Bärten in einer Kölner Moschee bemerkt, macht er sich Sorgen, dass er es schon wieder mit Extremisten zu tun bekommt. Der Syrer ist vor dem Bürgerkrieg in seinem Land über Ägypten nach Europa geflohen und lebt in einer Flüchtlingsunterkunft im Kölner Stadtteil Kalk.
Die bärtigen Männer, auf die er in Deutschland trifft, wecken bei ihm Erinnerungen an die islamistischen Rebellen von "Dscheish al-Islam", die seine Heimatstadt nahe Damaskus erobert haben.
Mehrere Syrer, mit denen die Nachrichtenagentur Reuters über einen Zeitraum von zwei Monaten im Umfeld von sechs arabisch geprägten Moscheen sprechen konnte, schildern ähnliche Erfahrungen. So wurden die Neuankömmlinge für ihren Kleidungsstil und die Art ihrer Religionsausübung kritisiert und zu einer wortwörtlichen Interpretation des Korans angehalten - ein religiöser Fundamentalismus, den viele von ihnen in Deutschland nicht erwartet hätten.
Die meisten der vier Millionen Muslime in Deutschland stammen aus der Türkei und besuchen türkischsprachige Moscheen, die zum Teil von Ankara finanziert werden. Viele syrische Flüchtlinge verstehen allerdings die Predigten auf türkisch nicht und gehen deshalb in arabischsprachige Moscheen. Gerade in diesen Moscheen - häufig von Saudi-Arabien oder den Golfstaaten finanziert - stoßen die Syrer auf eine erzkonservative wahhabitische oder salafistische Auslegung des Islam.
"Euer Freitag ist vorbei!"
In einem fensterlosen Raum im Erdgeschoss versammeln sich an einem Freitag im August etwa 200 Männer zum Gebet in einer arabischen Moschee in Köln, davon etwa zwei Dutzend mit buschigen Bärten. Einer der Besucher weist drei libanesische Männer anschließend vor der Moschee zurecht, weil diese ihn beim Betreten des Gebetsraums gegrüßt hatten. "Euer Freitag ist vorbei!" sagt er zu den Männern und gibt ihnen zu verstehen, dass ihr Verhalten ihre Gebete wertlos gemacht hat. Ein Hadith, also ein Ausspruch des Propheten verbietet die Unterbrechung einer Predigt.
Der Imam gibt die Auskunft, dass seine Gemeinschaft nicht politisch oder gewaltbereit sei. Im Hinblick auf die Syrer, die sich in Moscheen wie seiner unwohl fühlen, sagt er: "Es ist eine Ehre, als Salafist bezeichnet zu werden. Wir sind nur daran interessiert, den Mitgliedern unserer Gemeinschaft reine islamische Lehren zu vermitteln."
Professor Mouhannad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster, sieht das Problem: "Leider trifft es zu, dass die große Mehrheit der arabischsprachigen Moscheen konservativer als die türkischen sind." Dies stelle ein Hindernis für die Integration der Neuankömmlinge dar. "Wenn es einen Mangel an Angeboten gibt, versuchen Salafisten die Lücke zu schließen", sagt Khorchide.
Da muslimische Gemeinden sich in Deutschland nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts eintragen lassen können, ist auch die Finanzierung der Moscheen über Steuern nicht möglich - ein wesentlicher Grund dafür, dass Gemeinden auf Spenden angewiesen sind und häufig arabische Staaten als Finanziers sogenannter Hinterhofmoscheen einspringen.
Zwar hat das Bildungsministerium vor fünf Jahren 20 Millionen Euro für die Einrichtung von Studiengängen zur islamischen Theologie an deutschen Hochschulen bereitgestellt. Allerdings sind nur wenige der mehr als 1.800 Absolventen dieser Studiengänge nach ihrem Abschluss auch als Imame in Moscheen tätig.
Welche Form des Islams in vielen Moscheen gepredigt wird, ist schwer zu kontrollieren. Khorchide und andere Islam-Experten hoffen, dass der Einfluss muslimischer Asylsuchender die Chance bietet, einen moderateren Islam in den arabischsprachigen Moscheen zu etablieren.
Der Fall des syrischen Flüchtlings Dschaber al-Bakr, der einen Bombenanschlag auf den Berliner Flughafen geplant haben soll, wirft ein Schlaglicht auf die Problematik: Nach Auskunft seines Bruders wurde der mutmaßliche Chemnitzer Bombenbauer von ultrakonservativen Imamen in Berlin radikalisiert.
Salafisten werben gezielt um Flüchtlinge
Der Verfassungsschutz hat im vergangenen Jahr 320 versuchte Kontaktaufnahmen von radikalen Salafisten zu Flüchtlingen registriert. Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen geht von mindestens 90 vorwiegend arabisch dominierten islamistischen Moscheen in Deutschland aus, die mit ihren Aktivitäten gezielt um Flüchtlinge werben. Maaßen plädiert angesichts der drohenden Radikalisierung insbesondere dafür, Flüchtlingsheime nicht mehr in der Nähe solcher Gebetshäuser zu errichten.
In der wahhabitisch ausgerichteten Al-Nur Moschee in Berlin-Neukölln sagt der Syrer Abed H., dass ihn die strikte Interpretation des Korans und der Hadithen, eine Sammlung von Sprüchen des Propheten, erschreckt habe. Er erinnert sich an einen Satz, den der Prediger beim Freitagsgebet zitiert habe: "Jede Neuerung (in der Religion) heißt Fortschritt, jeder Fortschritt heißt Verirrung, und jede Verirrung führt zum Höllenfeuer."
Dies hat Abed H. erschreckt: "Ich habe diesen Satz in Syrien niemals gehört", sagt der 42-jährige Vater von drei Kindern, der 2014 nach Deutschland kam. "Die Botschaft ist klar und richtet sich an uns Muslime: 'Wage es nicht, deine Religion zu interpretieren. Nimm den Koran Wort für Wort.' Das ist ein Problem."
Einige Syrer zeigen sich besorgt darüber, dass sie vom Staat für radikale Islamisten gehalten werden, wenn sie arabischsprachige Moscheen besuchten. "Ich habe ein zweijähriges Visum und das letzte, was ich gebrauchen kann, ist Ärger", sagt etwa der syrische Kurde Abu Mohammad (Name von der Redaktion geändert) in Hamburg, der seit seiner Ankunft in Deutschland ganz aufgehört hat, in Moscheen zu gehen. "Ich bete zuhause", sagt er. "Ich bin sicher, Allah hört zu."
Joseph Nasr
© Reuters 2016