Zurück in die Vergangenheit
Der türkische Generalstabschef Hulusi Akar fuhr in der letzten Woche nach Teheran, nachdem seine russischen und iranischen Amtskollegen bereits Ankara besucht hatten. Dieser intensive militärische Austausch wirft unweigerlich einen Schatten auf den türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu, dessen Ministerium zunehmend an Einfluss verliert.
"Diese Entwicklung bedeutet, dass sich die Außenpolitik zunehmend an Sicherheitsthemen orientiert", meint der ehemalige türkische Chefbotschafter Unal Cevikoz dazu. "Die Türkei ist dabei, ihre Außenpolitik zu verändern. Die Regierung zieht immer mehr die Möglichkeit in Betracht, ihre außenpolitischen Ziele durch militärische Drohungen zu erreichen oder gar tatsächlich ihre Streitkräfte einzusetzen. Dies ist eine sehr gefährliche Entwicklung."
Einen Geschmack der aggressiven türkischen Außenpolitik bekam zuletzt die halbautonome Regionalregierung der irakischen Provinz Kurdistan. An der Grenze zu dieser Region begann die türkische Armee eine große, unangekündigte Militärübung. Dies wurde allgemein als Warnung Ankaras an die kurdische Regierung interpretiert, das für den 25. September geplante Unabhängigkeitsreferendum nicht durchzuführen. Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim erklärte, die Türkei werde "alle notwendigen Maßnahmen ergreifen", um diese Volksabstimmung zu verhindern.
Militarisierte Außenpolitik
Die zunehmend militärische Ausrichtung der türkischen Außenpolitik wurde durch den jüngsten Besuch des obersten Militärchefs Akar in Teheran unterstrichen. Akar bereitete damit den Staatsbesuch von Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor, der für Anfang Oktober geplant ist.
"Unser Stabschef reist vor meinem Besuch in den Iran, um vorbereitende Gespräche zu führen", sagte Erdoğan selbst dazu. Zwar ist dies traditionell die Aufgabe des Außenministeriums, aber eine stärkere militärische Ausrichtung der Außenpolitik ist in der Türkei keine neue Entwicklung. "Bereits in den 1990er Jahren war die türkische Außen- und Sicherheitspolitik sehr stark miteinander verflochten", erinnert sich der ehemalige türkische Botschafter Cevikoz, der heute Vorsitzender des "Ankara Policy Centre" ist.
In den 1990er Jahren erreichte der türkische Krieg gegen die aufständischen Kurden der PKK, die für die kurdische Autonomie kämpfen, seinen Höhepunkt. Ironischerweise wandelte sich die militärbetonte türkische Außenpolitik just zu dem Zeitpunkt, als im Jahr 2002 Erdoğans AK-Partei an die Macht kam – mit dem erklärten Ziel, den Militarismus einzudämmen. Erleichtert wurde dies dadurch, dass die PKK zu dieser Zeit erheblich an Einfluss verlor, nachdem ihr Führer Abdullah Öcalan im Jahr 1999 von türkischen Sicherheitskräften gefangen genommen worden war.
Danach allerdings gaben der Bürgerkrieg in Syrien und die nachfolgende Instabilität einen mächtigen Anstoß dafür, die türkische Außenpolitik erneut zu militarisieren. "Die Ausweitung des syrischen Bürgerkrieges und die Tatsache, dass der internationale Terrorismus dort einen Nährboden finden konnte, gab Ankara gute Gründe dafür, die türkische Sicherheitspolitik zu überdenken", argumentiert Cevikoz, der als Botschafter im Irak diente. Zu den Sicherheitsproblemen durch den syrischen Bürgerkrieg kam noch hinzu, dass nach dem Zusammenbruch des von Ankara unterstützten Friedensprozesses im Jahr 2015 erneut massiv gegen die PKK gekämpft wurde.
Potenzial für sezessionistische Forderungen
Ein großer Teil des syrischen Gebiets entlang der türkischen Grenze wird von einer syrisch-kurdischen Miliz kontrolliert – der YPG, der von Ankara vorgeworfen wird, mit der PKK gemeinsame Sache zu machen. Die türkische Regierung behauptet, ihr Land stehe vor einer völlig neuartigen Bedrohung: der möglichen Gründung eines irakisch-syrischen Kurdenstaats an der türkischen Grenze, der den sezessionistischen Forderungen der kurdischen Minderheit in der Türkei neuen Auftrieb geben könnte.
Solche Ängste verstärken den türkischen Nationalismus, der im Land immer schon ein mächtiger Einflussfaktor war. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass mehrere westliche Verbündete der Türkei unter der Führung der Vereinigten Staaten Waffen an die YPG liefern, um die Kurdenbewegung bei ihrem Kampf gegen den "Islamischen Staat" zu unterstützen.
Bei der neuen türkischen Außenpolitik spielen auch politische Erwägungen in Hinsicht auf die nächsten Wahlen eine entscheidende Rolle. Ein großer Teil von Erdoğans Wählerbasis ist nationalistisch eingestellt – eine Tatsache, die dem Präsidenten, der seinen Blick fest auf die Präsidentschaftswahlen von 2019 richtet, natürlich nicht entgangen ist.Wie der ehemalige führende Diplomat Aydin Selcen, der als erster türkischer Generalkonsul in der kurdisch-irakischen Hauptstadt Erbil diente, beobachtet: "Angesichts der näher rückenden Präsidentschaftswahlen legt Präsident Erdoğan großen Wert darauf, dass Ankara durch keinerlei Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, kein internationales Recht und keine ausländischen Verbindungen beeinflusst wird." Er glaubt, die Türkei müsse wie schon früher erneut in der Lage sein, völlig unabhängig zu handeln.
"Unter jedem Stein ein englischer Spion"
Die nationalistischen Gefühle im Land werden durch die regierungsfreundlichen türkischen Medien weiter angefacht. Dort finden sich reihenweise Berichte gegen die westlichen Verbündeten der Türkei, bei denen es um Spione und Verschwörungen geht. Über ein Dutzend in der Türkei verhaftete Europäer, die größtenteils aus Deutschland stammen und unter denen sich viele Journalisten befinden, werden von Erdoğan pauschal der Spionage verdächtigt.
Solche Verdächtigungen lösen in der Türkei uralte Ängste aus: Den türkischen Kindern wird noch heute beigebracht, dass am Untergang des Osmanischen Reiches europäische Spione schuld gewesen seien. Und ein immer noch beliebtes Sprichwort lautet: "Unter jedem Stein lauert ein englischer Spion".
Will die Türkei ihren Weg wirklich allein gehen? Erdogans aktuelle Annäherungsversuche an die russischen und iranischen Streitkräfte scheinen eine andere Sprache zu sprechen. Dabei geht das NATO-Mitglied Türkei bei seinen Versuchen, als "starkes und unabhängiges Land" zu gelten, allerdings ein hohes Risiko ein.
Dass Ankara in der Öffentlichkeit Misstrauen gegenüber den westlichen Verbündeten der Türkei schürt, geschieht auch, um von der internationalen Kritik an der Menschenrechtssituation im Land abzulenken. Ebenso soll damit der Versuch gerechtfertigt werden, über die traditionellen Allianzen hinauszugehen.
Erdoğans Entscheidung, gegen starken Widerstand aus Washington hoch entwickelte russische S400-Raketenabwehrsysteme zu kaufen, dient seiner Meinung nach dazu, den Status der Türkei als "starkes und unabhängiges Land" zu sichern.
Aber viele Beobachter sind davon überzeugt, dass Ankara, wenn es hart auf hart kommt, immer noch auf seine westlichen Verbündeten angewiesen ist: "Tatsache ist, dass die Türkei ein Mitglied der NATO ist, und dies bedeutet, dass die Verteidigung des Landes ohne die Unterstützung der NATO undenkbar wäre", warnt der ehemalige türkische Chefdiplomat Selcen.
Erdoğan behauptet, er sei deshalb zu seiner neuen Linie gezwungen, weil die türkischen NATO-Partner nicht gewillt seien, das Land gegen akute Bedrohungen zu schützen. Aber es könnte geschehen, dass die Türkei und die gesamte Region dafür einen hohen Preis zahlen müssen.
"Wenn die es Türkei mit diesem Wandel ihrer Außenpolitik wirklich ernst meint, muss sie mit Ländern wie Iran oder Russland zusammenarbeiten, die keine Verbündete der Türkei sind", warnt der ehemalige Botschafter Cevikoz. "Eine solche Lösung wäre sehr riskant, da das Land in der Region dann irgendwann allein dastehen könnte."
Dorian Jones
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Aus dem Englischen von Harald Eckhoff