Erdoğans riskantes Spiel
Seit die AKP im November 2002 in der Türkei die Macht übernommen hat, pendelt die Beziehung zwischen der Türkei und den Mitgliedern des Golf-Kooperationsrats zwischen Zusammenarbeit und Abschottung. Der Grund dafür ist der politische Anspruch Ankaras, die islamische Welt wieder zusammenführen zu wollen, zumindest den sunnitischen Teil davon.
Dieser neue Ansatz der türkischen Außenpolitik zeigte durchaus Erfolge. Er verursachte jedoch auch einige Kollateralschäden bedingt durch die permanenten Rivalitäten der "feindlichen Brüder" in den Golfstaaten. Auch damit, dass sich Recep Tayyip Erdoğan im aktuellen Konflikt klar auf die Seite Qatars geschlagen hat, nimmt er eine politische Verstimmung mit befreundeten Ländern wie Saudi-Arabien und neuerdings der Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) in Kauf. Auch setzt die Führung in Ankara ihre bisherige Mediatorenrolle in der Region aufs Spiel.
Die Türkei ist ein wichtiges Land – ein Bindeglied zwischen dem Westen und allem, was jenseits des Mittelmeers liegt, und dem Nahen Osten. Sie spielt eine aktive Rolle innerhalb der regionalen Machtverhältnisse, die sich weitgehend vom internationalen Umfeld und Kräfteverhältnis abgekoppelt hat. Dazu zeigen die gegenwärtigen Entwicklungen, die anhaltenden Spannungen zwischen den Golfstaaten oder der Syrienkonflikt, dass die regionalen Akteure stark an Einfluss gewonnen haben.
Wachsende Bedeutung der Golfstaaten für die Türkei
Saudi-Arabien und die VAE waren noch bis vor dem Beginn der Qatar-Krise bemüht, die Beziehungen zur Führung in Ankara zu normalisieren. Dies zeigt sich auch im militärischen Bereich. Die Türkei ist der sechstgrößte Waffenlieferant der VAE, also noch vor Russland und Deutschland.
Die Türkei und die Golfstaaten verbinden auch jenseits aller religiösen und politischen Gegensätze traditionell vielfältige wirtschaftliche und politische Interessen. Das Außenhandelsvolumen zwischen der Türkei und den Golfstaaten hat in den vergangenen Jahren durch verschiedene Kooperationen mit 17,4 Milliarden US-Dollar kontinuierlich zugelegt. Nach Informationen der türkischen Zentralbank betrug es nach Erdoğans Amtseintritt 2002 nicht einmal 1,5 Milliarden. Die Scheichs aus den Golfstaaten investierten im Jahr 2015 insgesamt 460 Milliarden US-Dollar in der Türkei.
Bemerkenswert ist dabei die geographische Verteilung: 86 Prozent des Handelsvolumen mit den Golfstaaten fallen allein auf die VAE. 2016 exportierte die Türkei in die Vereinten Arabischen Emirate Waren und Dienstleistungen im Wert von 5,4 Milliarden US-Dollar. Nach Saudi-Arabien betrug das Exportvolumen 3,1 Milliarden US-Dollar, wohingegen der Export nach Qatar nicht einmal die Marke einer halben Milliarde überwinden konnte. Damit zählen die VAE und Saudi-Arabien im Gegensatz zu Qatar zu den größten Abnehmerländern für türkische Exporte.
Fragwürdige Position im Qatar-Konflikt
Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, ob es tatsächlich ratsam ist, dass Ankara im Qatar-Konflikt so eindeutig Position bezieht – bis hin zur militärischen Präsenz in der Region und den gemeinsamen Manövern mit den qatarischen Streitkräften. Es steht zu befürchten, dass der türkische Präsident mit dieser Politik seine Rolle als glaubwürdiger Mediator in der Region verspielt.
Die türkische Außenpolitik, könnte man meinen, sollte ein strategisches Eigeninteresse daran haben, dass die Machtbalance und die Stabilität im Persischen Golf erhalten bleibt. Erdoğan müsste daher eigentlich an einer aktiven Vermittlerrolle in diesem Konflikt gelegen sein. Die systematische Verbesserung der wirtschaftlichen Beziehungen zu allen Konfliktparteien böte wohl auch eine gute Voraussetzung dafür. Denn die Türkei wird ihre gegenwärtige "Strahlkraft in der islamischen Welt" langfristig nur beibehalten, wenn sie ihre wirtschaftliche Prosperität ausbauen und die politische Stabilität in der Region festigen kann.
Erdoğans einseitige Parteinahme für Qatar ist deshalb ein höchst riskanter Schachzug. Die Türkei steckt aktuell außenpolitisch in einer schwierigen Lage und verfügt kaum noch über Verbündete. Das einst gute Verhältnis zu Europa ist inzwischen äußerst brüchig geworden.
Wenn Erdoğans Ambitionen, die Türkei zur sunnitischen Führungsmacht in der Region zu machen, Realität werden sollen, müsste er versuchen, die mit Abstand gefährlichste Krise, die der Golf-Kooperationsrat bisher erlebt hat, beizulegen. Nur dann hat das Land eine Chance, als starker sunnitischer Player in der Region wahrgenommen zu werden.
Aziz Bouabe
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Der Autor ist Vorsitzender des Vereins "Deutsch-Arabisches Netz" in Landshut.