Rechtes oder linkes Bein?

Die türkischstämmigen Einwohner Deutschlands scheinen laut jüngster Integrationsstudie zwar "schlechter" integriert zu sein als andere Migrantengruppen, aber es gibt keine mediale türkische Parallelgesellschaft.

Von Andreas Wirwalski

​​"Türken sind in Deutschland schlecht integriert." So lautete Anfang 2009 eine Schlagzeile in der ARD-Tagesschau.

Das unabhängig forschende Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung hatte mit einer Studie belegt, dass die zweitgrößte Migrantengruppe in Deutschland "deutlich schlechter integriert" sei "als andere Zuwanderergruppen".

Als Hauptursache nennen die Demographen eine "geringe oder teils gar nicht vorhandene Ausbildung" selbst in der zweiten Zuwanderergeneration. Lediglich 14 Prozent könnten als Schulabschluss ein Abiturzeugnis vorweisen, obwohl doch die Hälfte von ihnen in Deutschland geboren sei.

"Die mediale Parallelgesellschaft gibt es nicht"

Ein derart negativer Integrationswille der türkischstämmigen Einwohner Deutschlands müsste sich auch in der Mediennutzung widerspiegeln. Dem scheint aber nicht so zu sein. "Die vielbeschworene mediale Parallelgesellschaft gibt es nicht", behauptet der für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) tätige Medienforscher Erk Simon.

Bei seiner Einschätzung kann er sich auf die im Juni 2007 vorgestellte Untersuchung "Migranten und Medien 2007" beziehen, die von der Medienkommission der beiden deutschen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ARD und ZDF erarbeitet wurde.

Andererseits findet die jeweilige Rezeption türkischer Medien in Deutschland laut Simon unterschiedlich statt: "Sie hängt vom sprachlichen Integrationsgrad, von der Aufenthaltsdauer in Deutschland sowie vom konkreten Angebot und der Verfügbarkeit heimatsprachlicher Medien ab."

Gegenüber Goethe.de gab Medienforscher Simon anlässlich der Münchner Medientage 2009 für das TV-Konsumverhalten ein einprägsames Beispiel: "Nachdem junge Türken zusammen mit ihren Eltern und Großeltern das rein türkische Vorabend- und Abendprogramm angeschaut haben, ziehen sie sich zurück, um dann unter sich aus Deutschland gesendete Inhalte wie die populäre (und synchronisierte) US-Krimiserie CSI oder den Kölner Spaßmacher Stefan Raab zu konsumieren."

Türkische Medien hoch im Kurs

Der Frankfurter Spezialist für "Ethno-Marketin", Necati Haldun Dutar, formuliert hier dezidierter: "Rund 70 Prozent der türkischstämmigen Menschen in Deutschland ab 14 Jahren konsumieren türkische Medien, wobei das Interesse mit abnehmendem Alter nachlässt."

Die "exportierten" türkischen Medien – darunter die acht auch in Deutschland erscheinenden türkischsprachigen Tagesszeitungen wie die konservative Hürriyet oder das vielfältige Fernseh- und Hörfunk-Angebot via Kabel und Satellit – leisten nach Dutars Meinung daher nur einen "geringen Integrationsbeitrag".

Ein bedeutsamer Faktor für eine bessere Verständigung oder Integration sind Journalisten, die in beiden Kulturen oder Gesellschaften zu Hause sind. Die Islamwissenschaftlerin Patricia Foertsch nennt in ihrer 2007 vorgelegten Untersuchung Türkische Medien in Deutschland als Zahl ungefähr 130 türkische Medienschaffende, die hierzulande für deutsche oder für türkische Medien tätig seien.

"Ihnen traut man von türkischer Seite Kompetenzen zu, die man – vielleicht auch fälschlicherweise – einem deutschen Journalisten nicht zutrauen würde." Mit dieser Personalpolitik würden auch deutsche Medien attraktiver, folgert Foertsch.

Kommunikationsfaktor Internet

Ein weiterer Faktor, der die von der Politik erwünschte Integration zumindest bei jüngeren türkischstämmigen Personen erleichtern hilft, ist das Internet. Als Beispiele führt Foertsch die in deutscher und türkischer Sprache geführten Online-Portale vaybee.de und turkdunya.de an, die neben den bekannten Social-Networks wie Facebook oder MySpace vor allem von deutschen Türken der dritten Generation genutzt würden.

Für die Islamwissenschaftlerin ist das Internet interessanterweise auch ein Kommunikationsfaktor für ältere Menschen im Umfeld der Familie: "Wenn abends mit Verwandten aus der Türkei gechattet wird, setzen sich auch andere Familienmitglieder dazu."

Bleiben zu guter Letzt die leibhaftigen medialen Integrationsfiguren – und zwar für deutsche wie für türkische Konsumenten gleichermaßen. So gibt es mit Mehmet Kurtulus als Hamburger Ermittler Cenk Batu mittlerweile sogar einen türkischstämmigen TV-Kommissar in der ARD-Krimiserie Tatort.

Und die bislang 52-teilige ARD-Vorabendserie "Türkisch für Anfänger" haben in der dritten Staffel im Durchschnitt 1,5 Millionen Zuschauer gesehen, was in der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen einen Marktanteil von über 11 Prozent entspricht.

Vielfalt der Komödianten

Viel mehr beeindrucken allerdings die mitunter bissigen Kommentare von bekannten – und in Deutschland anscheinend mustergültig integrierten – Kabarettisten wie Kaya Yanar (Frankfurt/Main), Bülent Ceylan (Mannheim), Fatih Çevikkollu (Köln), Django Asül (Niederbayern) oder Serdar Somuncu (Ruhrgebiet).

"Das ist doch eine total dumme Frage", antwortete etwa der gebürtige Kölner Çevikkollu in einem Internet-Interview auf die Frage, zu welcher Volksgruppe er sich zähle. "Ich meine, ich könnte doch auch nicht sagen, welches Bein ich mir lieber abhacken lassen würde: das linke oder das rechte."

Andreas Wirwalski

© Goethe-Institut 2010

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