Passionierte der Wüste

"Die Passionierten der Tuareg" verstehen sich als Kulturbotschafter. Das Musikprojekt entstand aus der Zusammenarbeit zweier Bands, aus dem tunesischen Hinterland und der libyschen Sahara. Was sie eint, ist der Wunsch, das musikalische Erbe ihrer Vorfahren mit modernen Akzenten neu aufleben zu lassen. Von Valerie Stocker

Von Valerie Stocker

Die jungen Männer stehen selbstsicher auf der Bühne. Den "Tagelmust", den traditionellen Gesichtsschleier der Tuareg, zurückgezogen, lächeln sie das klatschende Publikum an. Eine gewisse Schwermut färbt ihren Gesang, passend zum sehnsüchtigen Klang der elektrischen Oud von Leadsänger Ibrahim. Doch Blues-Gitarren, Trommeln und Schlagzeug geben einen schnellen Takt an. Eine hellstimmige Flöte, die sogenannte Gasba, begleitet, und bricht hin und wieder in Solo-Einlagen aus.

"Wir wollen den Geist der Tuareg-Musik bewahren, jedoch neue Gewürze hinzufügen", erklärt Sänger Mohamed. "Dazu mischen wir moderne westliche und alte afrikanische Instrumente, wie die Djembe-Trommel." Mohamed ist Mitglied der Tuareg-Band Emran Tenere, aus der Oase Ghat in Südlibyen. Gitarrist Haythem lässt mit seiner Band Israa Fusion Volksmusik der südtunesischen Beduinen neu aufleben - einen Stil den er als Orientalischen Jazz bezeichnet.

Das gemeinsame Projekt, sagt er, diene dazu, das musikalische Erbe der verschiedenen Nomadenvölker in der Region zu ehren. "Zugleich wollen wir uns anderen Kulturen und Stilrichtungen öffnen und die Musik jugendlicher machen, internationaler."

Das ist ihnen zumindest bei dieser Gelegenheit gelungen. Das Konzert - Teil einer Veranstaltung zu Libyen im Französischen Kulturzentrum in Tunis Mitte März - trifft bei den Anwesenden auf große Begeisterung. Auch bei den libyschen Gästen, von denen manche zum ersten Mal direkt mit der Tuareg-Kultur ihres Landes konfrontiert sind.

"Ich wusste nicht, dass es so eine Band bei uns gibt, aber sie sind gut", meint ein junger Mann aus der libyschen Hauptstadt Tripolis. Frauen und Männer tanzen, und eine besonders angetane Zuschauergruppe schwenkt die Berber-Flagge, die für die Imazighen und die Tuareg als länderübergreifendes Volkssymbol gilt.

Schmelztiegel Nordafrika

Das Kollektiv - bestehend aus jeweils vier Libyern und Tunesiern, verkörpert Nordafrikas multiple Identitäten. Die vier Libyer sind Tuareg aus dem Fezzan - dem an Algerien, Niger und Tunesien angrenzenden Südwesten des Landes. Haythem und seine Band stammen aus Gafsa, wo die Gebirge Zentraltunesiens in die Wüstenoasen des Südens übergehen. Die Volksmusik, die sie inspiriert, ist die der dort ansässigen Beduinen-Stämme, deren Vorfahren einst aus dem Arabischen Golf kamen und vor Ort auf Berber trafen.

Konzert des Kollektivs “Die Passionierten der Tuareg” im französischen Kulturzentrum in Tunis am 12. März 2017, im Rahmen der Veranstaltung "Pour la Libye"; Foto: Valerie Stocker
Musik und kulturpolitische Manifestation: Das Konzert der Bands Emran Tenere und Israa Fusion - Teil einer Libyen-Veranstaltung im Französischen Kulturzentrum in Tunis Mitte März - trifft bei den Anwesenden auf große Begeisterung. Auch bei den libyschen Gästen, von denen manche zum ersten Mal direkt mit der Tuareg-Kultur ihres Landes konfrontiert sind. Frauen und Männer tanzen, und eine besonders angetane Zuschauergruppe schwenkt die Berber-Flagge, die für die Imazighen und die Tuareg als länderübergreifendes Volkssymbol gilt.

Die Musiker berufen sich auf ihre kulturelle Identität als Berber, weisen ethnische Kategorien jedoch von sich. "Uns geht es um Kultur, nicht um die Rassenfrage zwischen Berbern und Arabern." Die Revolutionen in Tunesien und Libyen haben diese Frage auf die politische Ebene befördert. Lokale Traditionen entziehen sich jedoch oftmals solchen Zuweisungen.

Gemeinsam singen die Mitglieder des Kollektivs vorwiegend auf Tamahaq, dem im Fezzan gesprochenen Tuareg-Dialekt. "Am Anfang war es nicht leicht, gemeinsam zu singen und Liedtexte zu schreiben da wir mit vielen ihrer Worte nicht vertraut sind", erklärt Haythem.

Einende Sprache der Musik

Die unter Tuareg gesprochenen Dialekte Tamahaq und Tamasheq sind nahe verwandt mit den Berber-Dialekten des Maghreb. Aber anders als im Arabischen gibt es keine weit verbreitete einheitliche Schriftsprache. "Die Sprache der Musik hat uns jedoch schnell verbunden", fügt der Gitarrist hinzu. Im Interview sprechen alle Arabisch.

Die vier Libyer haben seit Langem gute Kontakte zum Nachbarland.Seit 2010 nehmen sie an Veranstaltungen in Tunesien teil. 2015 haben sie Haythem kennengelernt, bei einem Festival in der tunesischen Oase Tamaghza. Zu der Zeit spielte der experimentierfreudige junge Tunesier Rai. "Ihm gefiel die Tuareg-Musik, also haben wir uns dazu entschieden, etwas gemeinsam zu kreieren", erinnert sich Mohamed. Aber es kam immer etwas dazwischen. Und so haben sich die beiden Bands erst im Januar 2017 in Gafsa zusammengefunden.

Probleme logistischer Art stellten sich vor allem in Libyen. Um nach Tunesien zu kommen nehmen Mohamed und seine Band meist die Landroute – 1.400 Kilometer quer durch das Bürgerkriegsland - denn Flugverbindungen sind oft unterbrochen. Riskant ist vor allem die einsame Verbindungsstraße in Richtung Norden, derzeit von rivalisierenden Truppen umkämpft und vereinzelt auch Übergriffen durch den "Islamischen Staat" ausgesetzt.

Reise aus dem Niemandsland

Der Süden Libyens war schon unter Gaddafi benachteiligt, und ist seit dessen Sturz ein Niemandsland, in dem Volksstämme ihre Gebiete nach eigenen Regeln verwalten. Die Region hat trotz Ölfeldern keine wirkliche Wirtschaftsentwicklung erfahren und Schmuggel - einschließlich von Migranten - ist dort die wohl wichtigste Einkommensquelle. "In unseren Liedtexten sprechen wir von den schweren Lebensbedingungen in unserer Heimatregion", erklärt Mohamed. "Aber auch von der Wüste, von Liebe und Frieden."

Mohamed ist Beamter des Erziehungsministeriums. Für ihn und seine Freunde ist die Musik ein Hobby, in das sie viel investiert haben. Öffentliche Kulturförderung war in Libyen schon immer rar und wurde mit Ausbruch des Bürgerkriegs 2014 fast vollkommen abgestellt. "Der Staat hat jetzt andere Probleme", meint Mohamed. Allerdings gibt es im Vergleich zu der Zeit vor der Revolution nun mehr Freiheiten. "Mit Tunesiern Berber-Musik zu spielen hätte uns unter Gaddafi ins Gefängnis befördert."

Der gestürzte Machthaber bezeichnete Libyen als arabisches Land. Die Verbreitung von Berber-Kultur konnte als subversiv eingestuft und streng bestraft werden. Libyens Imazighen und Tuareg gelten heutzutage als Minderheit. Doch die Gesellschaft insgesamt ist das Produkt von Völkerwanderungen, Invasionen und Assimilation.

"Ganz Nordafrika war einst Amazigh", sagt Haythems Cousine, die Israa Fusion begleitet. "Aber wir Küstenberber haben über die Jahrhunderte viel von unserer Kultur verloren – im Spannungsfeld zwischen Arabisierung und Kolonisation. Die Tuareg waren durch ihr Leben in der Wüste hiervon weniger betroffen und konnten an ihrem Lebensstil festhalten."

Soundtrack der Tuareg-Aufstände

Daher hat auch in Südlibyen die Tuareg-Musik fortgelebt, und folkloristische Lieder werden dort auch bei Volksfesten vorgetragen. Aber von den Dutzenden lokalen Gruppen spielt kaum eine außerhalb ihrer Ortschaft, und eine Musikindustrie gibt es im Fezzan nicht.

Dabei hat Libyen einst indirekt zu der Verbreitung des heutzutage weltweit bekannten Wüsten-Blues beigetragen. In den 1980er Jahren lud Gaddafi Tausende junge Tuareg aus dem Sahel für militärisches Training nach Libyen, mit dem Versprechen, ihren Freiheitskampf in den umliegenden Ländern zu unterstützen. In den Ausbildungslagern trafen sich unter anderem die Mitglieder der Band Tinariwen. Ihre Musik wurde schließlich zum Soundtrack der Tuareg-Aufstände in Mali und Niger.

"Ichverachte die Politik, aber in unseren Gesellschaften kommt man bei jedem Thema wieder auf Politisches zurück", seufzt Haythem. Ihm und Mohamed geht es mehr darum, Menschen zusammenzubringen, über Kultur- und Staatsgrenzen hinweg. Beispielsweise aus ihren beiden Ländern.

"Wenn man Medienberichte und Facebook-Kommentare liest, hat man den Eindruck, Tunesier und Libyer hassen einander", meint Mohamed. "Wir würden das gerne ändern." Die beiden Nachbarländer sind gesellschaftlich und wirtschaftlich verflochten. Die politischen Umstände, sowie das Fehlverhalten einzelner, haben jedoch in den letzten Jahren das gegenseitige Misstrauen geschürt.

"Für uns als Kollektiv ist es wichtig, dass wir einander treffen und den Lebensstil der anderen kennenlernen", betont Haythem. Deswegen plant die Gruppe dieses Jahr auch gemeinsam in Libyen aufzutreten und in beiden Ländern Musik-Videos zu drehen. Tunesische Berglandschaften und das Akakus-Gebirge in der libyschen Sahara sollen ihre musikalischen Erkundungen illustrieren, entsprechend der Namen ihrer Bands. Israa steht für nächtliche Wanderung und Emran Tenere heißt übersetzt "Passionierte der Wüste".

Valerie Stocker

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