Ein Schritt vor und zwei zurück?
Die Verhaftung des Schriftstellers und Denkers Turki al-Hamad am 24. Dezember hat in der progressiven saudischen Kulturszene einen Sturm der Empörung ausgelöst. 500 Intellektuelle und Aktivisten, darunter die bekannte Frauenrechtlerin Manal al-Sharif, richteten ein Gesuch an den Kronprinzen Salman bin Abdelaziz, in dem sie die Freilassung al-Hamads forderten.
Grund für die Festnahme des profilierten Intellektuellen waren einige Twitter-Botschaften, in denen er die religiösen Autoritäten seines Landes kritisiert und zu einer Reform des Glaubensverständnisses aufgerufen hatte, damit der Islam aus dem Zugriff seiner extremistischen und fundamentalistischen Vertreter befreit werde.
Kühne Stellungnahmen
Nicht zuletzt wandte sich al-Hamad in seinen Tweets gegen die in seiner Heimat dominierende, extrem strikte wahhabitische Doktrin: "Weil ich ein Muslim in der Nachfolge Mohammeds bin, lehne ich den Wahhabismus ab", lautete eine seiner Botschaften, eine andere, noch wesentlich brisantere postulierte: "So wie unser geliebter Prophet einst gekommen ist, um den Glauben Abrahams wieder ins Lot zu bringen, ist nun die Zeit gekommen, da wir jemanden brauchen, der den Glauben Mohammeds wieder ins Lot bringt."
Anderweitig hatte al-Hamad sich scharf über den Aufstieg islamistischer Parteien in der arabischen Welt geäußert: "Ein neues Nazitum erhebt sein Gesicht über der arabischen Welt, und sein Name ist Islamismus. Aber die Zeit des Nazismus ist vorüber, und im Osten wird wieder die Sonne aufgehen."
Es muss nicht extra betont werden, dass diese kühnen Stellungnahmen in der erzkonservativen saudischen Gesellschaft wie ein Blitz einschlugen und sowohl die religiösen wie die politischen Autoritäten in Rage brachten. Folgerichtig ordnete der Innenminister Mohammed bin Nayef bin Abdelaziz die Verhaftung des unbotmäßigen Intellektuellen an. Turki al-Hamad, der 1952 als Sohn saudischer Eltern in Jordanien geboren wurde und an der University of South Carolina in Politologie seinen Doktor machte, gehört zu den herausragenden Gestalten in Saudi-Arabiens Kulturlandschaft und der arabischen Welt insgesamt.
In seinen politologischen und geistesgeschichtlichen Sachbüchern und seinen Zeitungsartikeln ebenso wie in seinen Romanen hat er sich in den vergangenen 30 Jahren mit dem Problem der Rückständigkeit arabischer Gesellschaften – insbesondere der saudischen – auseinandergesetzt und damit einen Grossteil der konservativen Elite in seiner Heimat gegen sich aufgebracht.
Al-Hamad scheut sich nicht, in seinen Artikeln über politische, gesellschaftliche und kulturelle Missstände einen bissigen, gelegentlich aggressiven Ton anzuschlagen, auch in seinen Sachbüchern geht er mit scharfem Skalpell zur Sache. Und seine Romanfiguren lässt er von ihren Ängsten vor Wandel und Veränderung und ihrem Verlangen nach Freiheit reden – wobei er ihnen Dinge auf die Zunge legt, die in seiner Heimat als gravierende Verstöße gegen die öffentliche Moral und den Glauben wahrgenommen wurden.
In seinem berühmtesten Werk, der Trilogie "Atyaf al-aziqqa al-mahdschura" (Die Phantome der verlassenen Gassen), sagt eine der Figuren: "Gott und der Teufel – das sind nur die zwei Seiten derselben Münze." Prompt wurde in Saudi-Arabien der Verkauf des Werks aufgrund solcher als schockierend und als Verunglimpfung des Glaubens empfundener Stellen untersagt.
Den Gegnern al-Hamads kommt es natürlich nicht in den Sinn, dass ein Roman ein Werk der Phantasie ist und dass seine Figuren papierne Kreaturen sind, die keineswegs immer die Ansichten ihres Schöpfers verkünden, sondern vielmehr das ganze Spektrum der Gedanken, Sorgen und Ängste repräsentieren sollen, welche die Menschen innerlich umtreiben.
Unbändige Denklust
Das Feld von al-Hamads Interessen ist weit gesteckt. Er hat Studien über Ideologien und über revolutionäre Bewegungen in der arabischen Welt vorgelegt, die arabische Kultur im Licht moderner Herausforderungen und in ihrem Verhältnis zum Zeitalter der Wissenschaften betrachtet oder die Politik zwischen "halal" und "haram" – den islamischen Begriffen für das Erlaubte und das Verbotene – dargestellt.
Von seinen literarischen Werken haben immerhin zwei Bände der zuvor genannten Trilogie, nämlich "Adama" und "Shumaisi", den Weg ins Englische gefunden, "Adama" liegt auch in deutscher Übersetzung vor. Schon diese stark verkürzte Werkschau dürfte einen Eindruck von der unbändigen Lust und Vitalität geben, mit der al-Hamad die Auseinandersetzung mit den Problemen der arabischen Welt angeht.
Trotzdem hatten die saudischen Behörden die Stirn, den weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannten Autor, der auch zu den profiliertesten Kommentatoren der internationalen arabischen Tageszeitung "Ash-Sharq al-Awsat" gehörte, hinter Gitter zu setzen.
Das zeigt, in welchem Maß das jedem Wandel abgeneigte konservative Establishment in Saudi-Arabien nach wie vor der Politik seine Agenda aufzwingen kann – obwohl das Bündnis zwischen der weltlichen Macht der Familie al-Saud und der religiösen Macht der Wahhabiten seit einiger Zeit bröckelt und insbesondere seit dem Beginn des Arabischen Frühlings Anzeichen einer kulturellen und politischen Öffnung auszumachen waren.
So durften vergangenes Jahr erstmals Männer und Frauen die Buchmesse von Riad – eine der wichtigsten im arabischen Raum – gleichzeitig und ohne Geschlechtertrennung besuchen. Auch beim Kulturfestival von Al-Janadria, zu dem ich als Referent eingeladen war, wurde 2012 ein gemischtes Publikum zugelassen, und ich selbst wurde dem Publikum von einer saudischen Professorin vorgestellt, die für ihren Mut und ihre liberalen Ansichten bekannt ist.
Ein übles Omen?
Natürlich nehmen die Intellektuellen und Kulturschaffenden in Saudi-Arabien die Verhaftung Turki al-Hamads als schlechtes Vorzeichen und als Beweis dafür wahr, dass in der Politik ihres Landes nach wie vor eine fanatisch-konservative religiöse Autorität das Sagen hat.
Turki al-Hamad hat in seinen Tweets auch von der Einheit der Religionen gesprochen und davon, dass jede Religion zur Nächstenliebe auffordert; er hat die religiösen Institutionen kritisiert, aber keineswegs den Glauben selbst; und er hat lediglich postuliert, dass der Islam denjenigen aus den Händen gewunden werde, welche die Religion und ihre Auslegung monopolisieren und den Islam – ganz entgegen seiner ursprünglichen Anlage – zur Sache einer Priesterklasse machen.
Natürlich ist das eine Forderung, welche die Grundfesten des saudischen Systems erschüttert; aber sie weist auch die zunehmende Präsenz freiheitlich denkender Kräfte im Wahhabitenreich aus.
Fakhri Saleh
© Neue Züricher Zeitung 2013
Aus dem Arabischen von Angela Schader
Fakhri Saleh schreibt als Publizist und Literaturwissenschafter für "Ad-Dustour", "Al-Hayat" und andere arabische Tageszeitungen; demnächst erscheint in Kairo sein Buch über den Arabischen Frühling.
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de