Keine Toleranz gegenüber der Intoleranz
"Wussten Sie, dass Gott die Juden im Alten Testament auffordert, die Völker der Erde zu versklaven?" - Dieses Zitat stammt von Julius Streicher, Gründer und Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer" in den 1920er und 30er Jahren.
Damals ging es um eine "jüdische Landnahme". Heute guckt der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky aus seinem Büro auf die Karl-Marx-Straße herab, und sieht "da nur verschleierte Frauen". Er sieht einen "Versuch einer allmählichen Landnahme des Fundamentalismus mit dem Ziel, eine andere Gesellschaftsordnung zu schaffen als die, die wir westliche Demokratie nennen." Als die Jusos-Neukölln Fußgänger auf der Karl-Marx-Straße fragten, was sie von den ominösen Buschkowsky-Zitaten halten, dachten nicht wenige, dass sie von einem NPD-Politiker stammen.
Vor 100 Jahren war es der Jude, der "unsere" Gesellschaft zerstören wollte, heute soll es der Muslim sein: "Kein anderes Volk hatte solche Prophezeiungen. Kein anderes Volk würde sagen, dass es auserwählt wurde, um andere Völker zu vernichten und ihre Sitten zu verderben", schrieb Streicher über die Juden.
Muslime als Sündenböcke
Heute liest man solche Zeilen über die Muslime, ihnen wird nun die rassistische Rolle des Sündenbocks für alle Probleme zugeordnet: Sie haben schon aus Neukölln ein Islamabad gemacht, und in fünf Jahren passiere dasselbe mit Dresden, so Henryk M. Broder in der "Welt".
Damals war es der Jude, in dessen Blut Kriminalität floss. Heute sind es die arabisch- und türkischstämmigen Jugendlichen die per se als kriminell und für "das Abendland" als gefährlich bezeichnet werden. Rabbiner Daniel Alter von der jüdischen Gemeinde zu Berlin meint, dass Neukölln eine "No-Go-Area" für Juden sei, weil die Muslime eine Gefahr für Juden bedeuten würden. Göbbels bewies die gewalttätige Natur des Juden am Beispiel von Herschel Grynszpan. Dieser religiöse jüdische Terrorist hatte 1938 bei einem Attentat in Paris einen deutschen Diplomaten umgebracht. Heute weist die antimuslimische Publizistin Alice Schwarzer auf die zwei Männer, die in Paris unschuldige Karikaturisten getötet haben, wenn sie eine Begründung für ihre „Kritik“ braucht.
Wir, hunderte von Juden in Neukölln, sehen das ziemlich anders. So ist auch unsere Initiative, die Salaam-Schalom Initiative entstanden, die wir gemeinsam mit unserem muslimischen und migrantischen Nachbarn gegründet haben: gegen antimuslimische Hetze und für ein friedliches Miteinander in Neukölln, Berlin und darüber hinaus.
Buschkowsky, Broder, Alter und noch viele andere, wie Sarrazin oder Schwarzer, haben dazu einen Beitrag geleistet, dass in Deutschland Diffamierungen und Dämonisierungen einer religiösen, kulturellen Minderheit 80 Jahre nach der Schoah salonfähig geworden sind. Die Pegida-Bewegung nutzt diese günstige Lage aus, in der antimuslimische Äußerungen von der Öffentlichkeit nicht als Rassismus erkannt werden.
Öffentlich tolerierte Dämonisierung
Und wenn die Diffamierung und Dämonisierung im öffentlichen Diskurs geduldet wird, führt das schnell zur Gewalt. Fast täglich werden islamfeindliche Aktionen in Deutschland dokumentiert. Moscheen werden angezündet, muslimische Bürger werden auf offener Straße angegriffen. In anderen Ländern Europas sieht es genau so, oder noch schlimmer aus: Allein in Schweden wurden in den letzten Wochen drei Moscheen angezündet.
Allerdings betonen die Mitmarschierenden bei Pegida, dass sie gewaltfrei seien, so steht es zumindest auf ihren Transparenten. Wenn Migranten nach ihren Demonstrationen in Dresden und anderen Städten Deutschlands attackiert werden, hätten sie damit nichts zu tun.
Diese Haltung kommt mir bekannt vor. Streicher schrieb etwas Ähnliches im Jahr 1943: "Während diesen zwanzig Jahren schrieb ich kein einziges Mal, dass wir die Häuser der Juden anzünden oder sie zum Tod schlagen sollten. Nie ist so eine Aufforderung im Stürmer erschienen."
Den Leuten, die bei Pegida mitlaufen, müsste klar sein, wozu ihre Vorurteile, ihre Parolen, ihre Demos führen. Es geht nicht um den Islam, es geht auch nicht unbedingt um die Muslime. Sonst würden sie nicht pauschal gegen Flüchtlinge demonstrieren, die ja nicht alle Muslime sind. Es geht um "Othering", das Fremdmachen. Bis zur Schoa war dieser Fremde der Jude, heute sind es die Migranten, die Muslime, die "People of Colour".
Wahldeutsche, keine Ausländer
Unsere Aufgabe ist es, die antimuslimischen und antimigrantischen Kampagnen in der Öffentlichkeit zu stoppen. Wir werden ihnen unsere Städte nicht überlassen. Intoleranz darf nicht toleriert werden.
Der erste Schritt wäre, dass die Politik endlich erkennt, dass Islamfeindlichkeit eine Form von Rassismus ist. Davon sind die meisten Politiker, Entscheidungsträger in Deutschland jedoch meilenweit entfernt. Zweitens, Redakteure dürfen Beiträge mit antimuslimischen Inhalten nicht zulassen. Eine Sensibilisierung wie beim Thema Antisemitismus wäre wünschenswert.
Solange Gleichheit und Akzeptanz nicht die Norm ist, müssen wir Druck auf die Entscheidungsträger ausüben. Für eine Gesellschaft, in der die NSU-Morde nicht als "Döner-Morde" bezeichnet werden, in der Todesfälle wie der von Marwa El-Sherbini, die Opfer eines rassistischen Attentats wurde, nicht bagatellisiert und vernachlässigt werden. Und in der Muslime und Migranten nicht als Ausländer, sondern als Wahldeutsche angesehen werden: für ein friedliches Miteinander in Berlin und darüber hinaus.
Armin Langer
© Qantara.de 2015