Das erste arabische Onlinelexikon für Genderfragen
Kann eine einzelne Onlineplattform Diskurse anstoßen, Wissen generieren und öffentlich sichtbar machen sowie den Austausch von Erfahrungen fördern? Ja, sie kann. Das zumindest hofft das Team hinter dem jüngst lancierten Onlinelexikon Wiki Gender, dass im Zuge der offiziellen Projektvorstellung in den Räumlichkeiten des Goethe-Institut Kairos der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Die Ziele des Projektes sind ambitioniert, doch aufgrund des eklatanten Mangels an allgemein zugänglichen Informationen zu genderrelevanten Fragen in arabischer Sprache keineswegs unrealistisch.
"Wir wollen jedes einzelne Wort zum Thema Gender und Frauen wie zum Beispiel Genderstudien, Definitionen oder Dokumente in arabischer Sprache in das Wiki aufnehmen, so dass dieses als frei zugängliche Quelle zum Lesen, sich informieren und lernen genutzt werden kann", erklärt Habiba Mohamed Montasser, Mitglied der Gruppe. Eines der wichtigsten Ziele, sei es jedoch, dass Menschen die Plattform dafür nutzen, um sich auszutauschen und Diskussionen anstoßen, sagt die 26-jährige Aktivistin aus Kairo, die gemeinsam mit einem Dutzend anderer seit Ende 2014 an dem Projekt arbeitet.
Eine offene Plattform gestalten und mit Inhalten füllen
Die Idee einer Plattform in Form eines Wikis entstand dabei erst vor einem Jahr. Denn das Projekt startete als informelle und unregelmäßig stattfindende Austausch- und Diskussionsrunde, erzählt Montasser. Ursprünglich wollten wir Kontakte zwischen Organisationen, die sich mit Themen rund um Genderfragen beschäftigen, etablieren, so dass sich diese besser kennenlernen und Erfahrungen und Informationen austauschen können.
Der zweite Schritt sollte es sein, diese Organisationen in Ägypten bekannter zu machen, so Montasser. "Wir wollten eine Website lancieren, doch als sich die Arab Digital Expression Foundation (ADEF) dem Projekt anschloss, entstand schnell die Idee, nicht nur eine einfache Website einzurichten, sondern diese als offene Plattform zu gestalten.
"Ein Wiki war für diesen Zweck die optimale Lösung, erzählt Ahmad Gharbeia, technischer Berater bei ADEF und bereits seit 2008 aktiv für die Organisation. ADEF befasst sich vor allem mit Fragen zu Informations- und Kommunikationstechnologien und organisiert Sommercamps für Jugendliche und andere Bildungsveranstaltungen.
Als Partner für die Umsetzung der Idee eines Wikis zu Fragen rund um das Thema Gender und Frauen ist die Organisation mit Sitz in Moqattam im Osten Kairos folglich genau der richtige Ansprechpartner. Seit Dezember 2015 organisierten ADEF-Mitarbeiter/-innen mehrere Workshops, in denen die für ein solches Wiki notwendige technische Expertise vermittelt wurde.
Erst Ende 2016 begannen Montasser und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter die fertig konzipierte Plattform mit Inhalten zu füllen. Heute finden sich hier Profile von Organisationen wie HarassMap, die sich gegen Gewalt gegen Frauen einsetzen. Insgesamt 40 Organisationen sind es bisher. "Wir wollen jedoch auch Informationen zusammentragen über Gruppen oder Initiativen, die es nicht mehr gibt. Denn wir denken, dass es wichtig ist, dass diese Informationen nicht verloren gehen", sagt Montasser. Doch es soll nicht nur bei Profilen von Organisationen oder Initiativen, die oft nur in sozialen Netzwerken operieren, bleiben.
Diskussionen in arabischer Sprache ermöglichen
Ziel des Projektes sei es auch, Inhalte zu Themen rund um Genderfragen kontinuierlich zu sammeln und frei zugänglich zu machen. Das Projekt soll dazu beitragen Diskurse und Bildung zu Geschlechterfragen in Ägypten und anderen Ländern zu fördern, hofft das Goethe-Institut.
"Die ursprüngliche Idee war es einen Wegweiser für genderrelevante Organisationen zu veröffentlichen, doch schnell hat die Gruppe festgestellt, dass mit dieser Herangehensweise viele Dinge unsichtbar bleiben bzw. verloren gehen würden. Daher hat sich das Projekt geöffnet und möchte eine Plattform bieten, um Gender-Wissen sichtbar zu machen und selbst zu produzieren", so die Projektkoordinatorin für Gender- und Bildungsprojekte beim Goethe-Institut in Kairo, Johanna Ullmann. Es gehe insbesondere darum Kenntnisse und Debatten zu den Themen Gender, Gleichstellung und Gleichberechtigung auf Arabisch zu produzieren.
In der Tat ist die sprachliche Ausrichtung eine zentrale Motivation hinter dem Wiki Gender. Denn es sei schwierig sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, da alles auf Englisch verfügbar sei, aber nicht auf Arabisch, erzählt Montasser. Auch deshalb sucht das Projekt nach Menschen, die sich dem Wiki-Team anschließen wollen.
"Wir wollen, dass sich mehr Menschen beim Wiki engagieren, ihre Informationen hier veröffentlichen und Diskussionen ermöglichen", so die junge Aktivistin. Zweck des Eröffnungsevents war es daher vor allem, zum Mitmachen anzuregen. Und das Interesse an dem Projekt war deutlich größer als erwartet. Der Veranstaltungssaal des Goethe-Instituts in Doqqi platzte bei dem Launch des Wiki Genders aus allen Nähten.
Hatten interessierte Besucher zunächst ausgiebig Zeit, sich an mehreren Informationsständen in der Open Corner über das Projekt zu informieren und sich individuell durch die bestehende Website zu klicken, galt die Einführungspräsentation als offizieller Startschuss für das Wiki Gender.
Die vier wichtigsten Ziele des Projektes sind die Sammlung und Produktion von Wissen, das Monitoring und Dokumentieren von Initiativen, Gruppen, Projekten und Aktivitäten, aber auch das Netzwerken und der Erfahrungsaustausch sowie das Anregen von Diskussionen und Interaktionen auf dem Wiki und anderen Plattformen und Foren.
Eine kollektive und kollaborative Erfahrung
Vor allem für dieses offene und partizipatorische Konzept war ADEFs Beteiligung überaus wichtig. Denn die Idee eines Wikis ermöglicht genau das, erklärt Gharbeia. "Ein Wiki ist eine Kombination einer technologischen Methode und des gemeinsamen Veröffentlichens im Internet. Es ermutigt und ermuntert Menschen dazu ihren Anteil zu einem bestimmten Gegenstand – in unserem Fall ein Wiki zum Thema Gender – beizusteuern und erhöht den Stand des Wissens in diesem Feld", so Gharbeia.
Das prominenteste Beispiel sei Wikipedia, das vor 15 Jahren als kleines Onlinelexikon startete und schnell wuchs. "Das Konzept dahinter beinhaltet auch, dass Beteiligte am Gegenstand interessiert sind und aktiv daran teilnehmen möchten, gleichzeitig jedoch Kritik annehmen können. Es ist eine Art kollaborative Erfahrung für Menschen, die gemeinsam an etwas arbeiten wollen", erzählt er.
Interessant sei auch der Transparenzgedanke dahinter, denn jeder Artikel starte mit einigen Zeilen und entwickelt, mutiert und vernetzt sich nach und nach. Es gäbe keinen Redigier Raum, denn alles geschehe öffentlich, so dass Debatten und Fortschritte hinter einem einzelnen Text nachvollziehbar werden.
Auch deshalb beschreibt Ullmann das Projekt als sehr komplexe kollektive Übung eines Diskurses, der in arabischer Sprache entstehen und weiterentwickelt werden soll. Die größte Herausforderung des Projektes ist es derweil, auch außerhalb der großen Städte im Land zu wirken, denn bisher liegt der Hauptfokus des Wiki Gender auf Ägyptens Hauptstadt Kairo.
Sofian Philip Naceur
© Goethe Institut 2017