Rohanis vorhersehbares Scheitern
Die Rezession vor seinem Amtsantritt hat Irans Präsident Hassan Rohani in ein Wirtschaftswachstum umgewandelt, das aber in erster Linie der Verdoppelung der Ölexporte zu verdanken ist. Diesen Anstieg des Bruttoinlandprodukts sowie die Senkung der Inflation werden somit von vielen Iran-Beobachtern in Europa als Beweis für seinen wirtschaftlichen Erfolg dargestellt. Doch zu wessen Gunsten dieses Wachstum zu verbuchen ist, fragt indes kaum jemand.
Wie die wissenschaftliche Forschung seit Jahren immer wieder belegt hat, ist Wirtschaftswachstum per se kein verlässlicher Indikator, um sozio-ökonomische Entwicklungen abzulesen. Stattdessen sollte der Fokus auf das sogenannte "inklusive Wachstum" gerichtet werden – ein Wirtschaftswachstum, dessen Dividenden gerecht verteilt und somit allen Bevölkerungsschichten – und nicht nur den Eliten – zugute kommen.
Berücksichtigt man noch weitere wichtige ökonomische Faktoren, so fällt das Vermächtnis der ersten Rohani-Präsidentschaft doch sehr viel nüchterner aus. Zum einen zeigte eine Weltbank-Studie auf, dass seit seiner Amtseinführung Armut sowie Einkommensungleichheit zugenommen haben. Zum anderen profitierte von der Wiederbelebung des Handels mit dem Ausland bislang fast ausnahmslos der autoritäre Staat: Von den knapp 110 Wirtschaftsabkommen in Höhe von rund 80 Mrd. US-Dollar, die nach dem Atomdeal vom Juli 2015 abgeschlossen wurden, gingen ganze 90 an Unternehmen, die sich entweder im Besitz oder unter Kontrolle der "ökonomischen Imperien" der Revolutionsgarden oder des Staatsoberhauptes Ali Khamenei befinden.
Der schöne Schein des ökonomischen Aufschwungs
Allein diese beiden Faktoren weisen auf das Ausbleiben eines "inklusiven Wirtschaftswachstums" unter Rohani hin. Somit erwiesen sich die von vielen Iran-Beratern und der Rohani-Regierung selbst gehegten westlichen Hoffnungen auf einen "Wandel durch Handel" und einen Trickle-Down der wirtschaftlichen Gewinne auf breitere Bevölkerungsschichten als Trugbild.
Dabei gab es bereits frühzeitig ausreichend Anhaltspunkte, um Rohanis wirtschaftspolitischen Vorstellungen kritisch zu hinterfragen. Diese stellen im Kern eine vom Primat der (Regime-)Sicherheit getriebene neoliberal-autoritäre Doktrin dar, was bereits zu Beginn seiner Amtszeit in führenden intellektuellen Zeitschriften Irans kritisch behandelt wurde.
In diesem Zusammenhang spielt auch sein 2010 erschienenes Buch Die Nationale Sicherheit und das Wirtschaftssystem Irans eine zentrale Rolle. Das Projekt "iranisch-islamischer Entwicklung", schreibt er, solle die Islamische Republik zu einem Land machen, das "entwickelt und sicher ist", was nur durch eine "Strategie der wettbewerbsfähigen Produktion" zu erreichen sei.
Vorbehalte gegen Gewerkschaften und Mindestlöhne
Weiterhin beklagt Rohani Irans angeblich "äußerst restriktive" Arbeitsgesetze für Unternehmen. So plädiert er dafür, den Mindestlohn (der im Iran ohnehin viel zu niedrig angesetzt ist) abzuschaffen und Einschränkungen zur Entlassung von Arbeitern aufzuheben, falls die "Kapitaleigner" Irans die "Freiheit" erlangen sollten, Wohlstand zu schaffen.
Und weiter heißt es in seinem Buch: "Eine der größten Herausforderungen für unsere Arbeitgeber und Unternehmen besteht in der Existenz von Gewerkschaften. Die Arbeiter sollten fügsamer gegenüber all jenen Kräften sein, die ihnen ihre Arbeitsplätze erst geschaffen haben". Dass jedoch im Rahmen eines fortgeschrittenen neoliberalen Wirtschaftsmodells die Klassengegensätze abnehmen, ist nichts als Augenwischerei.
Auch ein Blick in Rohanis Budgetplanung hätte ernsthafte Zweifel daran aufkommen lassen müssen, ob der Regierung wirklich an der Linderung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes gelegen ist. So basierte sein Budgetplan für das Jahr 2015/16 auf zwei problematischen Pfeilern: Austerität und Militarisierung. Mitte April prahlte Rohani sogar damit, dass seit Beginn seiner Amtszeit die Ausgaben für das Militär um ganze 145 Prozent gestiegen seien.
In zahlreichen Entwicklungsländern des Südens, insbesondere in Westasien und Nordafrika, stellt das Verfolgen eines neoliberalen Paradigmas ein ungeeigntes Mittel dar, um tiefgehende sozio-ökonomische Probleme zu meistern. Letztere sind im Iran sehr ähnlich wie in den Ländern, die vom "Arabischen Frühling" erfasst wurden: eine alarmierend hohe Jugendarbeitslosigkeit von allein offiziell 31,9 Prozent, ein ebenso beunruhigendes Maß an sozialer Ungleichheit sowie Korruption und Vetternwirtschaft.
Als Folge hat sich auch im Iran eine im Westen kaum wahrgenommene Ernüchterung und Frustration der unteren und mittleren Bevölkerungsschichten über die wirtschaftliche Situation in ihrem Land ausgebreitet. Nicht nur, dass das Wirtschaftswachstum alles andere als inklusiv ist: Das durch Ölexporte generierte Einkommen ist kapitalintensiv, ohne dass damit jedoch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Umso auffälliger ist, dass viele hiesige Iran-Analysten diesen Sachverhalt eher ausblenden. Denn deren Fokus auf die Sicherheitspolitik kann – wie der "Arabische Frühling" unmissverständlich demonstrierte – eben nicht von sozio-ökonomischen Entwicklungstendenzen getrennt werden. Dabei ist bei genauem Hinsehen offensichtlich, dass die allseits unterstrichene Stabilität Irans fragiler Natur ist.
Ein politisches Vakuum für die Rückkehr der Hardliner
Durch das Ausblenden der "sozialen Frage" hat Rohanis Neoliberalismus iranischen Zuschnitts dieselben politischen Effekte erzeugt wie zuvor die reformorientierte Khatami-Regierung, die den Aufstieg von Hardlinern wie Mahmud Ahmadinedschad ermöglicht hatte. Doch genau wie andere radikale Politiker hatte auch Ahmadinedschad keine Umverteilungspolitik verfolgt.
Zwar hat dessen Disqualifizierung durch den Wächterrat im vergangenen April Rohanis gefährlichsten Widersacher um das Präsidentenamt ausgeschaltet. Doch als Folge seiner sozio-ökonomischen Verfehlungen sind inzwischen andere rechtskonservative Kontrahenten aufgerückt: So versprechen der Kleriker Ebrahim Raeissi und Teherans Bürgermeister Mohammed Bagher Ghalibaf mehr Geld für die ärmeren Schichten und die Schaffung von vier bis fünf Millionen Arbeitsplätzen – wobei sie die strukturellen Probleme der von einer kleinen Elite kontrollierten iranischen Wirtschaft im Wahlkampf nicht thematisieren.
Somit ist Rohanis sozio-ökonomischer Misserfolg zur Hauptangriffsfläche für seine Kontrahenten geworden. Der Präsident kann nur hoffen, dafür letztlich nicht von den Wählern abgestraft zu werden, die in ihm – wie bereits in der Vergangenheit –möglicherweise nur das kleinere Übel sehen und ihm den Vorzug geben.
Ali Fathollah-Nejad
© Qantara.de 2017
Dr. Ali Fathollah-Nejad ist als Iran-Experte an der "Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik" (DGAP) und am "Belfer Center for Science and International Affairs" der "Harvard Kennedy School" tätig.