Blick auf eine Welt im Umbruch

Die Biennale arabischer Fotografie der Gegenwart in Paris hat ein visuelles Zeichen für Vielfalt und Pluralität in einer Zeit gesetzt, in der Krisen und Konflikte den Blick auf die Region dominieren. Felix Koltermann hat sich die Ausstellungen für Qantara.de angesehen.

Von Felix Koltermann

Die Fotografie gelangte in Begleitung europäischer Kolonisatoren in die arabische Welt. Trotz allem entwickelten sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eigene fotografische Traditionen in der Region, die jedoch lange Zeit unter dem Radar der Aufmerksamkeit kultureller Institutionen aus Europa blieben.

In Zeiten globaler digitaler Vernetzung hat sich das Panorama völlig verändert: Die Digitalisierung der Fotografie hat den Einstieg in das Medium extrem vereinfacht und junge Fotografen aus der Region können über soziale Medien direkt ein internationales Publikum ansprechen. Wie spannend der Blick auf verschiedene Generationen von Fotografen aus der arabischen Welt ist, zeigte die Biennale für Fotografie der Gegenwart aus der arabischen Welt in Paris.

Für die Biennale hatten sich zwei prestigeträchtige Pariser Institutionen zusammengetan: das Institut du Monde Arabe und die Maison Européenne de la Photographie. Dazu kamen verschiedene kleinere Galerien, die alle in der unmittelbaren Umgebung der beiden Institutionen im vierten Arrondissement zwischen Seineufer und Place des Vosges liegen. Das Europäische Haus der Fotografie gehört zu den wichtigsten Ausstellungsorten für Fotografie in Frankreich, während das Institut du Monde Arabe eine europaweit einzigartige Institution ist, die sich dem kulturellen Austausch zwischen Europa und den arabischen Ländern verschrieben hat. Insgesamt waren auf der Biennale Werke von 50 Fotografen zu sehen.

Überzeugende Werke junger Fotografen

Zentraler Ausstellungsort der Biennale mit der Präsentation von 18 fotografischen Arbeiten war das Institut du Monde Arabe. Die Ausstellung war in vier Kapitel untergliedert: Frühling (in Anlehnung an den Arabischen Frühling), Kultur und Identität, Innenräume und Landschaften. Begleitet wurden die Arbeiten von kurzen Statements, mit denen die Fotografen selbst in ihre Arbeiten einführten, was spannende Hintergrundinformationen lieferte. Eine Vielzahl von Themen wurde in den fotografischen Arbeiten angesprochen: die Rolle der Jugend, das Thema Flucht und Migration, religiöse Identitäten, sexuelle Gewalt gegen Frauen und Fragen der Urbanisierung. Beeindruckend waren die durchweg hohe fotografische Qualität und die hervorragende Präsentation der Bilder.

Es war vor allem eine junge Fotografengeneration, in den 1980er Jahren geboren, die mit der Ausstellung ihre Chance bekommen hat und beeindruckend ihr Können zur Schau stellte. Eine überzeugende Umsetzung des Themas sexuelle Gewalt gegen Frauen fand beispielsweise die Französin Mouna Saboni in einer Mischung aus fotografischen Porträts und Gesprächszitaten.

Der marokkanische Fotograf Hicham Gardaf und der aus Doha stammende George Awde widmeten sich in ihren Arbeiten hingegen dem Leben junger Menschen in den arabischen Mittelmeerländern mit eindrücklichen, beobachtenden Bildern des jugendlichen Alltags. Awde beispielsweise porträtierte mit Hilfe einer Großformatkamera auf sensible, unprätentiöse Art und Weise junge Syrer im Libanon.

"Sinai Park, Decor mille et une nuit", 2014 (photo: © Andrea&Magda; work exhibited at the MEP)
Zeichen der ägyptischen Wirtschaftskrise zu Beginn des Arabischen Frühlings: Der Vergnügungspark “Sinai Park”. Dieses und andere gescheiterte Infrastrukturprojekte stehen im Fokus der palästinensischen Fotografen Andrea&Magda.

Ein eigener Blick auf die Welt

Während die Ausstellung im Institut du Monde Arabe eher als Gesamtschau konzipiert war, legte die Maison Européenne de la Photographie den Fokus stärker auf einzelne fotografische Positionen, wodurch der einzelne Fotograf mehr Raum erhielt. So war dort beispielsweise eine Retrospektive des in den 1950er Jahren geborenen marokkanischen Fotografen Daoud Aoulad-Syad zu sehen, dessen schwarz-weiß Bilder einen herausragenden Blick auf das ländliche Marokko der 1980er und frühen 1990er Jahre richten: Zu sehen waren die einfachen Leute, die Buden von Schaustellern und das Treiben am Rande von Hochzeiten. Man merkte den Bildern an, dass der Fotograf auch Cineast ist, da sie aus einer beobachtenden, sehr zurückgenommenen Perspektive aufgenommen wurden. Der Verzicht auf ausführliche Bildunterschriften überließ es dem Betrachter, das Gezeigte in einen Kontext zu stellen.

Mit der ökonomischen Krise auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel infolge des Arabischen Frühlings  beschäftigte sich die Arbeit „Sinai Park“ des in Palästina lebenden Fotografenpaares Andrea&Magda. Sie zeigten Bauruinen am Toten Meer, vereinsamte Hotelanlagen und gescheiterte Infrastrukturprojekte. Exemplarisch deutlich wurde die Absurdität dieser Welt im Bild eines Vergnügungsparks.

In der Bildmitte war eine Bühne zu sehen, auf der fünf Männer in traditionellen Kostümen musizierten, während daneben eine Person im Mickey Mouse-Kostüm stand. Für wen auch immer die Vorstellung gedacht war, auf dem Platz vor der Bühne waren keine Besucher zu sehen. Besser hätte man den Titel „Sinai Park“ und die ökonomische Krise fotografisch nicht umsetzen können.

Frankreich und die arabische Welt

Die Ausstellung bezog sich auf einen sehr weit gefassten Begriff von der arabischen Welt. Dies zeigte sich zum einen daran, dass auch Arbeiten von Fotografen ohne persönliche biographische Verbindung zur Region dazugehörten. Zum andern wurde dies am Inhalt deutlich: So zeigten die Arbeit von Fayçal Baghriche Moscheen in Montreal und warfen damit einen Blick auf muslimisches Leben außerhalb der arabischen Welt.

Leider präsentierte die Ausstellung im Institut du Monde Arabe von einigen Fotografen nur Einzelbilder, obwohl diese aus umfangreicheren Werkkomplexen stammen. Damit wurden die Einzelbilder aus ihrem Kontext gerissen und zu reinen Platzhaltern für das Werk eines Fotografen.

Einmal mehr wurde an der Ausstellung das besondere Verhältnis Frankreichs zur arabischen Welt deutlich. Die kulturellen Beziehungen vor allem in die ehemaligen französischen Kolonien in Nordafrika sind um einiges enger, als dies bei den europäischen Nachbarländern der Fall ist. Dies war sichtbar unter anderem durch die vielen Fotografen und Künstlern mit arabischen Wurzeln, die in Frankreich leben, aber auch durch die große Aufmerksamkeit, die fotografische Arbeiten aus der Region in Frankreich genießen. Von daher lohnt sich immer wieder der Blick auf die französische Kulturszene, wenn es um die Arbeiten von Künstlern aus der arabischen Welt geht.

Wie die Biennale eindrucksvoll bewies, blicken die arabischen Fotografen der Gegenwart in beeindruckender und künstlerisch überzeugender Weise auf eine Welt im Umbruch. Auf der Webseite der Biennale werden alle beteiligten Künstler und ihre Arbeiten vorgestellt.

Felix Koltermann

© Qantara.de 2016