"Unsere Körper sind kein Schlachtfeld"
Seit Beginn des demokratischen Aufstands im Sudan im Dezember 2018 wurde sexualisierte Gewalt gegen Frauen immer wieder als politische Waffe eingesetzt. Ihren Höhepunkt erreichte dieses schrecklichen Vorgehen nach der gewaltsamen Auflösung eines friedlichen Sitzstreiks am 30. Juni 2019 in der Hauptstadt Khartum, bei dem die Protestierenden vor dem Militärhauptquartier eine mehrheitlich zivile Regierung gefordert hatten.
Mit äußerster Brutalität zerschlug die paramilitärischen Eingreiftruppe Rapid Support Forces (RSF), unterstützt von regulären Streitkräften, die friedliche Demonstration. Dutzende Menschen kamen dabei zu Tode oder wurden verletzt. Nach der Militäraktion wurde bekannt, dass mehr als siebzig Frauen (und mehrere Männer) sexuell missbraucht und vergewaltigt worden waren. Anführer der RSF ist Mohamed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, der stellvertretende Vorsitzende des sudanesischen Übergangsrats.
Seitdem haben Frauen bei zahlreichen Protesten klargemacht, dass sie sich entschlossen gegen sexuellen Missbrauch zur Wehr setzen und der sexualisierten Gewalt insgesamt den Kampf ansagen wollen.
Sexualisierte Gewalt zur gezielten Einschüchterung
Im Januar beschuldigte Al-Tayeb Youssef, ehemaliger Generalsekretär des aufgelösten sudanesischen Komitees für die Beseitigung von Macht und Korruption und die Rückforderung öffentlicher Gelder (ERC), namentlich nicht genannte politische Akteure, seine Tochter entführt und sexuell missbraucht zu haben, um ihn einzuschüchtern. Er sagte, der Überfall auf seine Tochter ziele darauf ab, ihn für seine Arbeit in dem Ausschuss zu bestrafen. Dieser sollte nach dem Sturz des Regimes von Langzeitdiktator Omar al-Bashir im April 2019 Gelder zurückfordern, die das alte Regime an sich genommen hatte.
Der Vorfall empörte die Frauen im Sudan. Wütend protestierten sie auf den Straßen dagegen, dass politische Konflikte auf den Körpern von Frauen ausgetragen werden. Die Protestierenden forderten, die Täter sollten ermittelt und vor Gericht gestellt werden.
Es war weder das erste noch das einzige Mal, dass Frauen den Mut aufbrachten, gegen sexualisierte Gewalt zu protestieren. Im Dezember 2021 hatte Salima Ishaq, Leiterin der Stelle zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen der sudanesischen Regierung, eine Dokumentation über neun Fälle von Vergewaltigung und Gruppenvergewaltigung veröffentlicht. Sie hatten sich während der Demonstrationen gegen den Militärputsch am 25. Oktober 2021 in der Umgebung des Präsidentenpalastes ereignet. Damals hatte das Militär den zivilen Premier Abdullah Hamduk gestürzt. Die Dokumentation von Ishaq führte in mehreren Stadtteilen der Hauptstadt zu Demonstrationen sudanesischer Frauen, die die Verbrechen anprangerten.
Von ihren Proteste ging ein mutiges Zeichen in Richtung der Täter und der Gesellschaft im Allgemeinen aus: Sudanesische Frauen haben keine Angst mehr davor, gegen sexualisierte Gewalt zu kämpfen.
Vergewaltigung von Frauen in Darfur
Vergewaltigung als politische Waffe wurde in vielen bewaffneten Konflikten im Sudan eingesetzt, insbesondere in Darfur, wo die vom ehemaligen Regime unterstützten Dschandschawid-Milizen in großem Stil für sexualisierte Gewalt verantwortlich waren. Sie wollten damit traditionelle Gemeinschaften, für Frauen die Garantinnen der Ehre von Familie und Stamm sind, demütigen. Tausende von Frauen und Mädchen wurden in Darfur von Regierungstruppen und Dschandschawid-Milizen sexuell missbraucht und vergewaltigt.
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In einem Bericht über einen besonders massiven Vorfall beschuldigt Human Rights Watch sudanesische Militärs, im November 2014 mehr als 200 Frauen im Dorf Tabit im Norden Darfurs vergewaltigt zu haben. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Opfer aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Regierung gezögert haben, als Zeuginnen auszusagen.
Sexualisierte Gewalt ist der Versuch, den Widerstand von Frauen zu brechen. Ihr Kampf gegen den sexuelle Gewalt als politische Waffe kann dabei nicht isoliert von ihrem Einsatz für Frauenrechte und von ihrer aktiven Rolle in der sudanesischen Protestbewegung verstanden werden.
Denn während der Revolution in 2019 haben sich Frauen mutig für Rechte und Freiheiten eingesetzt, die ihnen so viele Jahre lang verweigert worden sind. Bis heute kämpfen sie für Geschlechtergerechtigkeit, Sicherheit und das Recht auf Teilhabe am öffentlichen Leben. Allzu oft sind sie enttäuscht werden, wenn sie versucht haben, feministische Anliegen wie die Strafbarkeit staatlich legitimierter Gewalt auf die Tagesordnung zu bringen. Sie fordern auch weiterhin bessere Gesetze, die garantieren, dass die Täter nicht mehr straffrei ausgehen und die Menschenrechte der Überlebenden in vollem Umfang gewahrt werden.
Leider wird ihren Forderungen nicht die nötige Aufmerksamkeit zuteil, nicht einmal von männlichen Aktivisten. Keine der Vereinbarungen der Übergangsregierung (die im Oktober 2021 vom Militär gestürzt wurde), thematisiert die strafrechtliche Verfolgung von Verantwortlichen für sexuelle Übergriffe.
Das gilt auch für das Rahmenabkommen, das im Dezember 2022 auf Vermittlung der Vereinten Nationen von der militärischen wie der zivilen Führung des Sudan unterzeichnet wurde. Es soll den Grundstein für eine endgültige Einigung und die Bildung einer neuen zivilen Regierung über einen Zeitraum von zwei Jahren legen. Doch auch diese Vereinbarung enthält keinerlei Bestimmungen, die garantieren, dass die Opfer sexualisierter Gewalt Gerechtigkeit erwarten können – weder in den Gebieten, in denen offen gekämpft wird, noch in der Hauptstadt und anderen Gouvernoraten.
Seit mehr als vier Jahren spielen Frauen bei den friedlichen Protesten für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit im Sudan eine zentrale Rolle. Ihr Traum von einem Staat, der die Menschenrechte und die Menschenwürde in vollem Umfang gewährleistet, muss Wirklichkeit werden.
Amal Habani
© Qantara.de 2023
Übersetzt aus dem Englischen von Karola Klatt.
Die Journalistin Amal Habani ist eine der führenden Aktivistinnen im Kampf um einen demokratischen Wandel im Sudan. Sie erhielt mehrere internationale Auszeichnungen, darunter 2018 den International Press Freedom Award der Menschenrechts- und Pressefreiheitsorganisation CPJ sowie 2015 den Ginetta Sagan Preis von Amnesty International USA für die Verteidigung der Rechte von Frauen und Kinder.