Geduldige Brückenbauer
Leise summt die Klimaanlage. Neonröhren erleuchten den Seminarraum im 3. Stock des Postgraduierten-Studien Gebäudes der renommierten Gadjah Mada Universität (UGM) im javanischen Yogyakarta. Sie bescheinen ein buntes Grüppchen von Studenten, deren Vielfalt ins Auge sticht: Kopftücher neben offen wallenden Haaren, Batikhemden neben Poloshirts.
Der Muslim Ahmed aus Ägypten sitzt neben dem Protestanten Jerson aus den Philippinen. Der katholische Indonesier Yohanes gegenüber seiner Landsfrau Nina, Vertreterin der muslimischen Minderheit der Ahmadiyah.
Jeden Mittwoch treffen sich die Doktoranden des Indonesian Consortium for Religious Studies (ICRS) zum Wednesday-Forum. Man unterhält sich auf Englisch, diskutiert wird heute über die Wurzeln des Konfliktes zwischen Muslimen und Buddhisten im Süden Thailands.
In den vergangenen Wochen standen Themen wie: "Relevance of Gandhian Philosophy in the 21st Century", "Religious Relations in Tamilnadu" und "Protest through Pictures: Gendered Forms of Coptic Christian Visual Culture" auf dem Programm.
Das ICRS beherbergt den landesweit einzigen PhD-Studiengang in Religionswissenschaften, den eine christliche, eine muslimische und eine religiös neutrale Universität gemeinsam betreiben. Seit 2007 bilden die UGM, die christliche Universität Duta Wacana und die muslimische Universität Sunan Kalijaga in einem vier Jahre dauernden Programm gemeinsam Doktoranden aus.
Interreligiös studieren
"Manche unserer Studenten lernen hier zum ersten Mal mit Andersgläubigen in einem Raum", erklärt Siti Syamsiatun, Direktorin des ICRS. "Der Religionsunterricht in Indonesien ist sowohl an staatlichen als auch an privaten Schulen sehr exklusiv", sagt Siti über die Motivation der Gründer des ICRS.
"Muslime lernen über den Islam. Ihre Lehrer sind Muslime. Christen lernen über das Christentum. Ihre Lehrer sind Christen. Für Anfänger mag das ja ausreichen. Aber doch nicht auf dem universitären Level", so Siti. "Und außerdem spiegelt es den pluralistischen Charakter unserer Gesellschaft überhaupt nicht wider."
Religiöser Pluralismus hat in Indonesien, dem Land mit der zahlenmäßig stärksten muslimischen Bevölkerung der Welt, eine lange Tradition. Doch das Bild des friedlichen Miteinanders hat Risse bekommen.
In der Berichterstattung der Medien tauchten vor allem die Hiobsbotschaften auf: Die Terroranschläge von Bali und Jakarta, die Einführung von Scharia-Gesetzen in Aceh.
Die Probleme von Kirchgemeinden, Baugenehmigungen zu bekommen, weil mehrheitlich muslimische Anwohner dagegen protestieren. Hetzjagden radikal muslimischer Mobs auf Christen oder Homosexuelle.
Und die Ende April erfolgte Ablehnung der Revision eines Blasphemiegesetzes von 1965, das immer wieder zur Grundlage der Verfolgung von Minderheiten dient, da es Blasphemie als "abweichenden Glauben" von den sechs in Indonesien offiziell anerkannten Religionen Islam, Protestantismus, Katholizismus, Buddhismus, Hinduismus und Konfuzianismus definiert.
Grabesruhe unter Suharto
Zainal Abidin Bagir, Direktor des Center for Religious and Cross Cultural Studies (CRCS) der UGM, eine der drei Säulen des ICRS, hat sich in einem Positionspapier für eine Revision der diskriminierenden Paragrafen im Gesetz stark gemacht.
Jährlich veröffentlich das CRCS zudem einen Bericht zum religiösen Zusammenleben in Indonesien, in dem es Empfehlungen an Regierung, Parlament, Justiz und die religiösen Organisationen im Land für ein pluralistisches Miteinander gibt.
"Natürlich enttäuscht es mich, wenn die Richter, wie beim Blasphemiegesetz, unseren Empfehlungen nicht folgen. Natürlich besorgen mich Konflikte zwischen den Vertretern der Religionen ebenso wie die zunehmende Politisierung der Religion", sagt Zainal. "Aber wir müssen realistisch sein. Eine Konsequenz der Freiheit ist doch auch, dass wir Stimmen vernehmen, die früher unterdrückt waren", sagt Zainal mit Verweis auf die vermeintliche Harmonie in Indonesiens mehr als 30-jähriger Diktatur, in der unter Suhartos eiserner Faust eher Grabesruhe statt Dialog herrschte.
Wachsende Intoleranz trotz Dialog
Seit 1998 ist Indonesien eine Demokratie. Und es gilt, Interessen durch Dialog auszugleichen. Der Abbau von Vorurteilen gehört dazu, wie der Doktorand Yohanes Slamet Purwadi beim ICRS am eigenen Leib erfuhr: "Ich hatte sehr schlechte Erfahrungen gemacht", berichtet der 44-jährige, der als Dozent an der Parahyangan Catholic University in Bandung Philosophie lehrt. "Meine Kirche wurde nach Protesten muslimischer Anwohner geschlossen. Für mich waren Muslime antiintellektuell und tendenziell fanatisch."
Nach zwei Jahren Studium am ICRS, sagt Yohanes, habe sich sein Blick auf seine muslimischen Landsleute geändert. "Und der ihre auf die Katholiken auch."
Franz Magnis-Suseno, deutscher Jesuitenpater mit indonesischem Pass und international gefragter Gesprächspartner im interreligiösen Dialog, setzt große Hoffnungen in die junge Generation und Programme wie das des ICRS. "In der intellektuellen Elite der muslimischen Mehrheitsgesellschaft gibt es eine wachsende Zahl sehr pluralistischer Vertreter", sagt Magnis-Suseno.
Besorgt stimmt ihn indes, "dass die Intoleranz an der Basis aufgrund des wachsenden Einflusses radikaler Gruppen und jenem von politischen Bewegungen, die zunehmend auf die islamische Karte setzen, zuzunehmen scheint."
Keine Trennung zwischen akademischen und theologischen Religionsstudien
Eine neue Generation von Führungspersönlichkeiten hervor bringen, die den Dialog in weitere Teile der Bevölkerung tragen, das haben sich die geduldigen Brückenbauer von Yogyakarta vorgenommen.
Dafür will das Konsortium Ansätze vereinen, die nach Ansicht von ICRS-Gründer Bernard Adenay-Risakotta andernorts zu weit auseinander klaffen: "Unser Programm ist weder ein mono-religiöses, das Religion nur aus einem bestimmten Blickwinkel sieht, noch ein säkulares, in dem Religion lediglich ein Studienobjekt darstellt." So will das ICRS die Trennung zwischen akademischen und theologischen Religionsstudien vermeiden, die im Westen häufig praktiziert wird.
Gleichzeitig stellt das Programm durch den Austausch mit Anders- und Nichtgläubigen eine enorme Bereicherung im bislang monoreligiös dominierten Religionsstudium in Indonesien dar.
Austausch mit ausländischen Intellektuellen
Wer am ICRS studiert, dessen Blick reicht weiter als nur durch die eigene religiöse Brille. Dafür sorgt der interdisziplinäre Ansatz des PhD-Programms, der nicht nur Religion, sondern auch Soziologie, Anthropologie und Geschichte umfasst. Dafür sorgen das reiche Kursangebot und der Literaturfundus an den drei beteiligten Universitäten.
Und dafür sorgt die internationale Vernetzung des ICRS. Immer wieder kommen ausländische Intellektuelle ans ICRS. Zu den GastprofessorInnen gehört unter anderem Amina Wadud, Professorin für Islamwissenschaften an der amerikanischen Virginia Commonwealth University in Richmond.
Wadud sorgte 2005 weltweit für Schlagzeilen, als sie in New York öffentlich ein gemeinsames Freitagsgebet für muslimische Männer und Frauen leitete. Die Islamwissenschaftlerin sorgte im August bei Studenten und Gästen der UGM mit ihrem Vortrag über "Gender und Pluralismus" für Diskussionsstoff.
"Food for thought" hatte im gleichen Monat auch Gastdozent Robert Hefner im Gepäck. Der Direktor des Institute on Culture, Religion, and World Affairs (CURA) an der Universität Boston ist Autor von "Civil Islam- Muslims and Democratization in Indonesia" und hat gerade das Buch "Schooling Islam: The Culture and Politics of Modern Muslim Education" herausgegeben. Hefner begeisterte die Zuhörer nicht nur mit fließenden Indonesisch-Kenntnissen, sondern auch mit vehementer Kritik an Stimmen wie Samuel Huntington, die muslimischen Ländern per se ein Demokratiedefizit unterstellen.
Zugunsten eines Perspektivwechsels absolvieren alle Doktoranden des ICRS ein Gastsemester an einer ausländischen Universität. Bisherige Austauschprogramme finden vor allem mit amerikanischen Universitäten statt, aber zunehmend will man am ICRS auch mit europäischen Lehranstalten kooperieren.
Kürzlich stattete der Tübinger Theologe und Welt-Ethiker Hans Küng Yogyakarta einen Besuch ab und zog an der UGM 450 Studenten in seinen Bann. "Küngs unermüdlicher Aufruf zum Dialog und sein Ansatz, Religion im größeren Kontext von sozialem Leben, Wirtschaft und Politik zu sehen, ist sehr nah an dem, was wir hier vermitteln", sagt CRCS-Direktor Zainal Abidin Bagir.
Und fügt hinzu, warum diese Aufgabe zuweilen viel Geduld erfordert: "Wir müssen unsere Gesellschaft nehmen, wie sie ist. Eine andere haben wir nicht."
Anett Keller
© Qantara.de 2010
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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