Für ein Ende der Intoleranz

Die jüngsten Ausbrüche religiös motivierter Gewalt haben verschiedene Ursachen. Die gesellschaftlichen Akteure – einschließlich der Regierung – müssen die multikonfessionelle Verfasstheit Indonesiens anerkennen.

Von Luther Kembaren

Zu Beginn des Jahres 2010 waren die religiösen Minderheiten Indonesiens mehrfach gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt. Am 3. Januar brannten Mitglieder einer radikalen Gruppierung die Filadelfia-Kirche, ein Gotteshaus der protestantischen Batak-Christen in Bekasi in Westjava, nieder. In einem anderen Fall erzwangen extremistische Gruppierungen, darunter die Islamische Verteidigungsfront (FPI) und die Taliban-Brigade, gewaltsam die Schließung einer Moschee sowie eines Gemeindezentrums einer indonesischen Ahmadiyyah-Gemeinde.

Am auffälligsten agiert die FPI in den Außenbezirken Jakartas, wo sie Amtspersonen durch die Androhung von Angriffen oder die Störung des öffentlichen Friedens dazu zwingt, eine konservative Auslegung des islamischen Rechts umzusetzen. Diese Art der Aggression untergräbt die natürliche Toleranz, die zwischen den religiösen Gruppen Indonesiens bis vor wenigen Jahrzehnten geherrscht hatte.

Ursachen der Intoleranz

Jeirry Sumampow, Generalsekretär der Indonesischen Christlichen Partei, ist der Auffassung, dass drei grundlegende Probleme zu dieser Zunahme der religiös motivierten Gewalt geführt haben.

Erstens hängt interreligiöse Gewalt häufig mit politischen Faktoren zusammen. Gewisse Gruppen verschärfen religiöse und ethnische Unterschiede, um in Lokalwahlen größere Unterstützung zu erzielen. Dabei üben Sie Druck auf die Wähler aus, ihre Stimme gemäß der religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit abzugeben.

Zweitens hat die Zuwanderung von Menschen aus den Dörfern in die Städte zu einer höheren Arbeitslosigkeit im städtischen Raum geführt. Diejenigen, die aus den ländlichen Gebieten in die Städte kommen, verfügen in der Regel über eine schlechtere Bildung und haben somit größere Schwierigkeiten, eine Arbeit zu finden. Die daraus resultierende wirtschaftliche Kluft und der Neid gegenüber den Reichen haben zu einer Änderung der allgemeinen Stimmungslage geführt und bestimmten religiösen Gruppen Aufwind verschafft, die den Armen wirtschaftliche Unterstützung versprechen.

Stillschweigend wird als Gegenleistung für diesen Beistand natürlich erwartet, dass die Ansichten der Wohltäter geteilt werden, was häufig zu einer Ausgrenzung anderer Religionen führt. So stehen den Bemühungen, einen starken Sinn für die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Religionen zu entwickeln nicht nur theologische, sondern auch sozioökonomische Hürden im Wege.

Theologischer Hochmut

Und drittens verfolgen einige Gruppen eine chauvinistische Auffassung von Religion: Sie behaupten, dass ihr Glaube über dem anderer stehe. Solche Ansichten können zu Gewalt innerhalb der religiösen Gruppierung führen, wenn einige Glaubensanhänger andere angreifen, da sie als Abweichler vom "wahren" Islam gesehen werden.

Obwohl bereits einige Gruppen auf lokaler Ebene hart daran arbeiten, Spannungen zwischen den Glaubensrichtungen abzubauen und interreligiöse Gewalt zu verhindern, müssen die Menschen in Indonesien mehr tun.

Das Wahid-Institut ist eine Organisation, die für eine moderate und tolerante Auffassung des Islams steht und sich für das Wohl aller Indonesier einsetzt. Gemeinsam mit dem 'Zentrum gegen Ausgrenzung' (CMAR) verleiht sie religiösen Minderheiten eine Stimme, steht mit ihnen auf nationaler Ebene im Dialog und organisiert gemeinsam Kampagnen gegen die religiöse Diskriminierung. Diese Kampagnen ermöglichen Minderheiten, ihre Standpunkte als "potenzielle Opfer" einer breiteren Bevölkerung zu vermitteln. Und gleichzeitig helfen das Wahid-Institut und das CMAR dabei, Fragen religiöser Gewalt auf dem Land anzugehen, indem sie ausgegrenzte Gruppen aufnehmen und sie so davon abhalten, in den Extremismus abzugleiten.

Gegenseitiger Respekt religiöser Gruppen

Ungeachtet der oben erwähnten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen ist der Geschäftsführer des Wahid-Instituts, Ahmad Suaedy, davon überzeugt, dass sich zurzeit ein positiver sozialer Wandel in der indonesischen Gesellschaft vollzieht, der durchaus nachhaltige Wirkung haben könnte. Er argumentiert jedoch, dass die "religiösen Gemeinschaften in Indonesien ein neues System oder einen neuen Mechanismus benötigen, mit dem die in der Gemeinschaft auftretenden sozialen Probleme bewältigt werden können."

Eine kontinuierliche Werbung für Frieden und Toleranz zwischen den Religionsgruppen – auch in den Medien – ist dringend notwendig. Dazu gehört, dass neue Initiativen besondere Beachtung finden, nämlich solche, die zu einer Änderung der Einstellungen führen, hin zu gegenseitigem Respekt zwischen Religionsanhängern – unabhängig vom Glauben.

Die indonesische Regierung muss ihrer Rolle ebenfalls gerecht werden. Die Einsetzung einer nationalen Kommission – in der die verschiedenen religiösen Gruppierungen Indonesiens repräsentativ vertreten sind – würde das Bewusstsein Indonesiens als einer multireligiösen Gesellschaft stärken und darüber hinaus Erkenntnisse bezüglich religiös motivierter Konflikte fördern.

Im Hinblick auf eine politische und soziale Stärkung religiöser und ethnischer Minderheiten würde es die Arbeit der Kommission ermöglichen, fundierte und nachhaltige politische Empfehlungen an die Regierung auszusprechen. Die Empfehlungen der Kommission könnten auch auf lokaler Ebene zur Anwendung kommen.

Ohne entschiedene Schritte hin zur Bildung einer pluralistischen Gesellschaft, in der niemand ausgeschlossen ist, wird die Gewalt gegen religiöse Minderheiten weiter dazu führen, dass die Vielfalt, die Indonesien geformt und bereichert hat, zerstört wird. Religiöse Organisationen, die Medien und die Regierung müssen zusammenarbeiten, damit Frieden und Toleranz in Indonesien zu den Grundfeilern eines pluralistischen Gesellschaftsmodells werden.

Luther Kembaren

© Common Ground News/Qantara.de 2010

Luther Kembaren arbeitet als Journalist für die Tageszeitung 'Jurnal Nasional' und war Teilnehmer des Trainings für interkulturelle Berichterstattung, das von der 'UN Alliance of Civilizations' and 'Search for Common Ground' im Januar 2010 in Jakarta organisiert wurde.

Übersetzung aus dem Englischen: Mirjana Rimac

Redakteur: Lewis Gropp/Qantara.de

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