"Religionsfreiheit muss auch für Minderheiten gelten"

Franz Magnis-Suseno ist ein deutscher Jesuitenpriester und Professor für Philosophie in Indonesien. Anett Keller sprach mit dem indonesischen Staatsbürger über das umstrittene Antipornografie-Gesetz in Indonesien, religiöse Toleranz und die Definition von Blasphemie.

Franz Magnis-Suseno; Foto: Arian Fariborz
"Blasphemie ist das Schmähen einer Religion, das kann man unter Strafe stellen, aber doch nicht das Abweichen von einer Mehrheitsmeinung", meint Franz Magnis-Suseno.

​​ In den letzten Monaten hat es in Indonesien eine Reihe von Entwicklungen gegeben, die Befürworter von Pluralismus und Religionsfreiheit besorgt stimmen. Das umstrittene Antipornografiegesetz wurde vom Verfassungsgericht bestätigt und eine Revision des Blasphemie-Gesetz von 1965 lehnten die Verfassungsrichter ab. Wiederholt bekamen Kirchengemeinden keine Baugenehmigungen für Gotteshäuser. Wird Indonesien zunehmend intolerant?

Franz Magnis-Suseno: Ich sehe zwei Tendenzen. Die Positive: In der muslimischen Mehrheitsgesellschaft gibt es eine wachsende Zahl pluralistisch gesonnener Vertreter. Da sind zum Beispiel die jungen Intellektuellen in den großen muslimischen Massenorganisationen Muhammadiyah und Nadhlatul Ulama. Aber auch zahlreiche andere Gruppen, die Pluralismus propagieren. Es gibt zahlreiche Studien- und Austauschprogramme; der Dialog zwischen Christen und Muslimen wächst. Generell stellt niemand das Grundprinzip der Pancasila, wonach das Land allen Bewohnern gleichermaßen gehört, in Frage.

Besorgt stimmt mich indes, dass die Intoleranz an der Basis zuzunehmen scheint. Das ist sicher einem wachsenden Einfluss von Hardliner-Gruppen wie der Hizbut Tahrir und der FPI (Front Pembela Islam = Front der Verteidiger des Islam) geschuldet, aber auch dem Einfluss von politischen Bewegungen, die zunehmend auf die islamische Karte setzen.

Was bedeutet das für die Zukunft Indonesiens?

Indonesische Jugendliche von der islamistischen Gruppierung Hizbut Tahrir schwenken Fahnen mit islamischer Schrift; Foto: AP
Indonesische Jugendliche von der Hizbut Tahrir: Franz Magnis-Suseno ist besorgt wegen des wachsenden Einflusses von islamistischen Gruppen in Indonesien.

​​ Magnis-Suseno: Das wird davon abhängen, wie sich die Demokratie stabilisiert. Ich finde, dass im Land vieles besser ist, als es nach außen aussieht. Das Wirtschaftswachstum ist beachtlich, die Armut nimmt ab; der im letzten Jahr wieder gewählte Präsident Susilo Bambang Yudhoyono erfreut sich großer Beliebtheit. Es wird darauf ankommen, wie die Indonesier langfristig die Situation in ihrem Land empfinden. Wenn das Volk glaubt, dass Indonesien im Sumpf von Korruption und Armut stecken bleibt, werden es religiöse Hardliner natürlich umso leichter haben.

Am 19. April hat das Verfassungsgericht eine Revision des umstrittenen Blasphemie-Gesetzes abgelehnt, das lediglich die sechs anerkannten Hauptreligionen (Islam, Katholizismus, Protestantismus, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus) akzeptiert und in der Vergangenheit zur Verfolgung religiöser Minderheiten benutzt wurde. Sie haben sich als Experte in einer Anhörung vor dem Verfassungsgericht für die Revision des Gesetzes eingesetzt. Warum?

Magnis-Suseno: Ich habe vor allem den ersten Artikel des Gesetzes kritisiert. Erstens wird Blasphemie dort als "abweichende Lehre" bezeichnet. Das ist eine falsche Definition von Blasphemie. Blasphemie ist das Schmähen einer Religion, das kann man unter Strafe stellen, aber doch nicht das Abweichen von einer Mehrheitsmeinung.

Zweitens: Der Staat hat nicht das Recht, festzulegen, welche Lehre "die richtige Lehre" ist und welche davon abweicht. Der Staat kann doch nicht sagen, Katholiken haben Recht und die Zeugen Jehovas nicht, nur weil erstere viel mehr Anhänger haben. Religionsfreiheit muss schließlich auch für Minderheiten gelten.

Wie bewerten Sie die Ablehnung der Revision durch das Verfassungsgericht, die von einer Gruppe von pluralistischen NGOs und Vertretern der Nationalen Menschenrechtskommission gefordert wurde?

Magnis-Suseno: Es ist ein Rückschritt, der eigentlich nicht akzeptabel ist. Ich hätte gehofft, dass die Richter den Mut haben, das Gesetz zu revidieren.

Warum haben sie es Ihrer Meinung nach nicht getan?

Indonesierin in traditionell balinesischer Kleidung auf einer Demonstration gegen das Antipornografie-Gesetz; Foto: AP
Indonesierin in traditionell balinesischer Kleidung auf einer Demonstration gegen das Antipornografie-Gesetz.

​​ Magnis-Suseno: Die Befürworter des Gesetzes, darunter die Regierung und die Vertreter der großen muslimischen Massenorganisationen haben mit dem sozialen Frieden argumentiert, der ohne das Gesetz nicht gewährleistet sei. Eigentlich haben sie uns erpresst, in dem sie indirekt mit Gewalt gedroht haben.

Aber auch die Vertreter des Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus haben für die Beibehaltung des Gesetzes gestimmt, weil sie fürchteten, ohne das Gesetz gebe es für die Ausübung ihrer Religion keinen rechtlichen Rahmen. Vielleicht hätten die Petitionäre auch mehr Zeit darauf verwenden müssen, diese Bedenken auszuräumen.

Gibt es jetzt noch rechtliche Möglichkeiten, das Gesetz zu revidieren?

Magnis-Suseno: Es gebe die Möglichkeit, dass das Gesetz über den parlamentarischen Weg revidiert wird, aber ich glaube daran, ehrlich gesagt, nicht.

Dann haben die Hardliner also gesiegt?

Magnis-Suseno: Das Problematische sind nicht die zahlenmäßig kleinen Hardliner, sondern dass sich breite Teile der Bevölkerung so leicht aufhetzen lassen, weil die sozialen Probleme noch immer so groß sind. Viele Indonesier befürworten beispielsweise die Einführung von Verordnungen, die auf der Scharia-Gesetzgebung basieren, weil sie sich davon eine Verringerung der Kriminalität erhoffen.

Dazu kommt, dass viele Muslime – auch wegen der Stimmung im Westen - den Eindruck haben, dass der Islam weltweit unter Beschuss steht. Das mobilisiert ein Misstrauen, das die Hardliner geschickt ausnutzen. Außerdem darf man nicht vergessen, wie paternalistisch die indonesische Gesellschaft noch immer ist. Und dass bei weitem nicht genug in Bildung investiert wird, was ja den Schlüssel zu mehr Toleranz und Gleichberechtigung darstellen würde.

Wo muss in punkto Bildung mehr getan werden?

Magnis-Suseno: Das indonesische Schulsystem ist noch immer zu feudal organisiert. Lehrer haben die unangetastete Macht, Kinder haben sich dieser zu beugen. Anstatt des puren Paukens von Wissen müsste viel mehr Wert auf Charakterbildung gelegt werden, auf die Erziehung von offenen, kritisch denkenden, kreativen, pluralistisch gesinnten Menschen. Kinder müssten von Lehrern und Eltern zuallererst Mut vermittelt bekommen, um Fragen zu stellen.

Interview: Anett Keller

© Qantara.de

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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