Terrorpanik als Vorwand?
Die Uiguren sind Muslime, sie sprechen eine Turksprache und unterscheiden sich auch kulturell von der Mehrheit der Han-Chinesen. Wer indes mehr über sie erfahren will, etwa als Forscher oder Journalist, kommt schnell an seine Grenzen. Denn das Thema religiöse Minderheiten in China ist ein heikles, besonders wenn es um die Uiguren geht.
Die Hamburger Ethnologin Patricia v. Hahn kann davon ein Lied singen. Sie plante vor zwei Jahren, eine Doktorarbeit über die muslimische Minderheit im Nordwesten Chinas zu schreiben, ließ das Projekt aber fallen, weil sich die Recherchen von Beginn an als sehr schwierig erwiesen.
"Ich wollte einen Informanten per Email kontaktieren. Mir war klar, dass ich Wörter wie Terrorismus oder Separatismus vermeiden sollte", erzählt sie. "Deswegen fragte ich ihn nur, wie das Verhältnis der Uiguren zu den Chinesen sei." Eine vergleichsweise harmlose Frage. Trotzdem bekam sie nie eine Antwort.
Erst als sie ihren Informanten auf persönliche Dinge ansprach, bekam sie wieder Rückmeldung. "Möglicherweise wurde die andere Email von den chinesischen Behörden abgefangen", vermutet Patricia v. Hahn.
Panik vor uigurischem Separatismus
Die Panik der Chinesen vor einem uigurischen Separatismus hängt mit der geographischen Lage Xinjiangs zusammen, dem Gebiet, in dem die Uiguren siedeln. Xinjiang grenzt im Westen an Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan, im Süden an Pakistan und Afghanistan – alles Länder, in denen es zum Teil starke islamische Bewegungen gibt, die, so die Befürchtung Pekings, sich mit den Uiguren zusammentun könnten.
Tatsächlich hielten sich während der Herrschaft der Taliban einige Uiguren in Afghanistan auf. Die chinesischen Behörden sprachen von bis zu 1.000 Extremisten, die die Taliban ausgebildet hätten, 300 davon hätten die USA aufgegriffen.
Diese Zahl dürfte jedoch maßlos übertrieben sein. "Viele von den Uiguren in Afghanistan waren wahrscheinlich einfach nur Flüchtlinge", sagt Guido Steinberg, Experte für islamistischen Terrorismus bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik." Ich halte die Chinesen in dieser Sache für nicht sehr glaubwürdig."
Guido Steinberg ist nicht der einzige deutsche Sicherheitsexperte, der den Chinesen in dieser Sache nicht traut. Denn bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 hörte man wenig von islamischen Extremisten in Xinjiang. Zwar gab es in den 1990er Jahren einige Anschläge in der Region, wer aber dahinter steckte, ist bis heute nicht klar.
Umso erstaunlicher war, wie problemlos sich die chinesische Regierung nach dem 11. September am "Krieg gegen den Terror" beteiligte. China sei genauso vom islamischen Extremismus bedroht wie die USA und Europa, lautete die Begründung aus Peking.
Terrorpanik als Vorwand?
Die Chinesen konnten damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen verbesserten sich die Beziehungen zu den USA schlagartig, die unter starken Spannungen gelitten hatten. Die Regierung von George Bush betrachtete nämlich bis dahin China als ihren eigentlichen Gegner im Kampf um globalen Einfluss, nicht die islamische Welt.
Zum anderen konnten die chinesischen Sicherheitsbehörden ihre harschen Repressionsmaßnahmen gegen die Uiguren fortführen, ohne dafür großartig kritisiert zu werden. So gesehen ist die Lage der Uiguren noch schlechter als die der Tibeter, die immerhin eine global vernetzte Solidaritätsbewegung hinter sich haben. Für die Uiguren interessierte sich hingegen bis vor kurzem niemand.
Wer aber sind die uigurischen Islamisten? Die Vereinten Nationen setzten 2002 auf amerikanischen Druck die "Islamische Bewegung Ostturkestans" (ETIM) auf ihre Terrorliste. Die chinesischen Behörden werfen ihr vor, mit Osama bin Laden zusammenzuarbeiten. Gehört hatte man von der ETIM vorher kaum etwas, und auch heute tritt sie nicht in Erscheinung.
Guido Steinberg vermutet, dass sich einige Uiguren der "Islamischen Jihad Union" (IJU) angeschlossen haben könnten. Die IJU, die hauptsächlich aus Usbeken besteht, operiert im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und soll deutsche Muslime dazu angestachelt haben, einen Anschlag in Deutschland zu verüben.
Der Prozess gegen die Mitglieder der so genannten "Sauerland-Zelle", die im August 2007 festgenommen wurden, beginnt im kommenden Herbst.
Ungeachtet dessen hält sich die Furcht deutscher Sicherheitsexperten vor uigurischen Extremisten in Grenzen – und das, obwohl in München der "World Uyghur Congress" beheimatet ist, eine der wichtigsten Exilorganisationen aus Xinjiang.
Seit Jahren liegt die chinesische Botschaft in Berlin der deutschen Regierung in den Ohren, sie solle den "World Uyghur Congress" schließen. Er sei für Terroranschläge in China verantwortlich.
Um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen, reisten einige Beamte des Bundeskriminalamtes nach Peking und ließen sich über die vermeintlichen Terroraktivitäten der in Deutschland lebenden Uiguren unterrichten. Die Beweise waren jedoch dünn, der "World Uyghur Congress" ist bis heute in Deutschland legal.
Großes Potential für Gewalt
"Meine Erfahrung ist, dass die Exil-Uiguren die Autonomie wollen", sagt die Ethnologin Patricia v. Hahn. "Laut der Verfassung von 1955 haben die Uiguren sogar das Recht auf Autonomie, wie sie auch das Recht auf freie Religionsausübung haben." Die werde ihnen jedoch verwehrt.
Das Potential für Gewalt sei durchaus vorhanden. "Ich weiß von Leuten, die vor Ort waren, dass es eine radikalere Fraktion unter den Uiguren gibt, die möglicherweise eine Gefahr werden kann."
Die jüngsten Anschläge könnten von einer solchen Fraktion verübt worden sein. Sie hätte damit die Aufmerksamkeit der Welt auf die Probleme der Uiguren gelenkt. Aber es sind auch andere Szenarien denkbar. Steckt womöglich der chinesische Geheimdienst dahinter?
Deswegen traut dem Geheimdienst kaum einer mehr über den Weg, sie sind Opfer ihrer eigenen undurchsichtigen Informationspolitik geworden. Möglicherweise ist ihnen das egal: Die nun getroffenen verschärften Sicherheitsmaßnahmen lassen sich mit den jüngsten Anschlägen jedenfalls bestens rechtfertigen.
Albrecht Metzger
© Qantara.de 2008
Qantara.de
Chinas muslimische Minderheit
Pekings Kampf gegen die Uiguren
Chinas Umgang mit aufständischen Tibetern empört den Westen. Das Leid der Uiguren findet dagegen wenig Beachtung. Peking rechtfertigt die Unterdrückung der muslimischen Minderheit als Kampf gegen den Terrorismus. Andreas Leixnering berichtet.
Die Islamische Jihad-Union
Terrorfreiwillige aus Deutschland
Die Islamische Jihad-Union, eine Abspaltung der Islamischen Bewegung Usbekistans, steht für eine konsequente Internationalisierung des "Heiligen Krieges" an der Seite der Taliban in Afghanistan und der al-Qaida auf internationaler Ebene. Eine Analyse von Guido Steinberg.
China
Peking fordert Auslieferung islamistischer Aktivisten
Seit zwei Jahren ist China bemüht, den Kampf gegen die uigurischen Unabhängigkeitsbestrebungen mit dem weltweiten Anti-Terror-Kampf zu koppeln. Nun möchte Peking die Auslieferung islamistischer Aktivisten erreichen, die im Ausland leben, unter anderem in Deutschland.