Eine Chance für Marokkos junge Ökologie-Bewegung?
Seit Monaten steht das Telefon von Mamoun Ghallab nicht still. Der junge Politikwissenschaftler und Umweltberater aus Casablanca beantwortet neben seinem regulären Job reihenweise Medienanfragen. Ghallab ist ein bekanntes Gesicht der noch jungen, aber wachsenden zivilgesellschaftlichen Bewegung für Ökologie und Nachhaltigkeit in Marokko. Die wird immer bunter: Von Bio-Landwirtschaft über Öko-Technologien bis zu sozialen Kämpfen für Land- und Wasserrechte reicht das Spektrum.
Mamoun Ghallabs Arbeitsfeld sind Abfallvermeidung und Klimaschutz. 2013 begann er, bei sich zuhause in Casablanca den Verpackungsmüll zu reduzieren. Vorbild war die internationale "Zero-Waste" - Bewegung. Mittlerweile produziere er in seiner Etagenwohnung nur noch fünf Prozent der früheren Müllmenge, erzählt Ghallab. "Ich benutze Einkaufskörbe, habe eine Komposttonne auf dem Balkon und ich mache meine Seife selbst. Nur Milch und Medikamente kaufe ich abgepackt, aus gesundheitlichen Gründen".
Seine Erfahrungen mit dem Null-Abfall-Experiment hielt Ghallab auf seinem Blog ZeroZbel (Marokkanisch-Arabisch für Null Abfall) fest. Seit dem Frühjahr 2016 ist ZeroZbel (www.zerozbel.ma) auch der Name eines eingetragenen Vereins, den Ghallab gemeinsam mit der ökologisch engagierten Künstlerin Soukaina Aziz El Idrissi gegründet hat.
Appell zur Eigeninitiative
Zerozbel.ma will die Marokkaner mit innovativen Aktionen und Formaten motivieren: "Wir wollen, dass die Bürger besser informiert sind und wir wollen, dass der Staat bessere Umweltgesetze macht und für die Einhaltung sorgt", erklärt Ghallab. "Aber wir wollen den jungen Leuten auch zeigen, dass Veränderungen nur dann kommen werden, wenn sie bei sich selbst anfangen. Jeder kann durch individuelle Aktionen dazu beitragen, dass sich die Situation für alle verbessert."
Das Verbot von Plastiktüten beim Einkauf, das in Marokko am 1. Juli 2016 in Kraft getreten ist, sei in diesem Kontext ein wichtiger Schritt. "Man hätte die Unternehmen und die Bürger besser vorbereiten können, aber generell ist das Gesetz eine gute Sache, und es zeigt Wirkung", meint Ghallab.
Der Verein ZeroZbel wird auch bei der UNO-Klimakonferenz COP 22 in Marrakesch präsent sein. Mit Unterstützung des Rabat-Büros der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung wird ZeroZbel im Rahmen einer sogenannten "Climate Open Zone" eine Woche lang Raum für die unterschiedlichsten Aktionen und Ansätze bieten: Von Recycling-Kunst über Outdoorsport bis zu Debatten über Umweltpolitik und Konzerten-. "Wir setzen sehr stark auf Kunst als Medium. So kann man Botschaften über die Sinne vermitteln, ohne moralisierend zu wirken", meint Ghallab.
"Marsch für das Klima"
Neben ZeroZbel werden in Marrakesch zahlreiche Aktionsbündnisse, NGOs und Initiativen aus ganz Marokko vertreten sein und im Rahmen des Parallelprogramms an verschiedenen Orten in der Stadt und für ihre Ziele werben. Die halboffizielle, im Mai 2015 von den UN und der EU mit ins Leben gerufene "Alliance Marocaine pour le Climat et le Developpement Durable", und die eher unabhängige "Coalition pour la Justice Climatique", ein im Februar 2016 gegründeter Zusammenschluss von mittlerweile über 150 Netzwerken, Gewerkschaften und Vereinen haben gemeinsam mit anderen Akteuren für den Nachmittag des 13. November 2016 in Marrakesch zu einem "Marsch für das Klima" aufgerufen. Die Coalition pour la Justice Climatique organisiert außerdem nach dem Vorbild der Weltsozialforen sogenannte "selbstverwaltete Aktionsräume" (espaces auto-gérés), die von nationalen und internationalen Umweltinitiativen genutzt werden können.
Die offiziellen Organisatoren die COP22 erwarten auf rund 10.000 m² Ausstellungsflächen rund 2.500 NGOs aus aller Welt und aus Marokko, davon rund 300 aus Ländern in Afrika südlich der Sahara zu Kunstaktionen, Vorträgen und öffentlichen Debatten. "So viele Möglichkeiten zum Austausch zwischen marokkanischen und internationalen Umwelt-NGOs gab es noch nie", frohlockt Umaima, eine junge Aktivistin aus dem südmarokkanischen Ouarzazate. "Die COP22 und die Vorbereitungen während der letzten beiden Jahre haben der marokkanischen Ökologiebewegung eine nie dagewesene Sichtbarkeit beschert", meint auch Mamoun Ghallab. "Plötzlich haben wir fast schrankenlosen Zugang zu den Medien. Alle wollen mit uns reden."
Doch wie steht es jenseits des COP22-Medienhypes tatsächlich um die Klimapolitik in Marokko, die Sicherung der Lebensgrundlagen und die Beteiligung der Bürger? Auf der weltweiten Liste der Klimasünder steht Marokko eigentlich relativ gut da, die CO²-Emissionen sind vergleichsweise gering.
Doch da Marokko unter anderem zum Kühlen von Gebäuden viel Energie braucht und da das Land zu 95 Prozent von Energieeinfuhren abhängig ist, besteht auch ohne hohe CO²-Emissionen ein Interesse an erneuerbaren Energien. Marokko präsentiert sich seit Jahren als Vorreiter für die Nutzung erneuerbarer Energien auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.
Mega-Solarkraftwerke in der Kritik
Die natürlichen Ressourcen (Boden, Wasser) und der Wohlstand sind allerdings extrem ungleich verteilt, die Bürger können nicht mitentscheiden und Marokko hat nicht die Kapazitäten, um die riesigen Solarkraftanlagen eigenständig zu finanzieren und zu nutzen. Medien können diese Mängel nicht frei thematisieren, da es keine wirkliche Meinungs- und Pressefreiheit gibt. Ebenso fehlen funktionierende rechtsstaatliche Mechanismen, die es den Bürgern erlauben, unfähige Staatsbeamte oder Umweltsünder zur Verantwortung zu ziehen.
Ghassan Wail El Karmouni, ein Journalist und Experte für Energiepolitik fällt daher in einer Spezialausgabe der Zeitschrift "Perspectives" zur COP22 ein sehr kritisches Urteil: Die schon gebauten und noch geplanten Mega-Solarkraftwerke in Südmarokko verbräuchten kostbares Wasser, das der lokalen Bevölkerung langfristig fehlen würde. Außerdem müsse Marokko hohe Kredite aufnehmen, um die importierte Technologie zu installieren und zu betreiben. "Wir begeben uns von einer Abhängigkeit in die nächste", so das Fazit des engagierten Journalisten.
Jawad Moustakbal, Ingenieur und gegenwärtig Mitarbeiter am Internationalen Trainingsinstitut SIT in Vermont (USA) formuliert seine Vorbehalte noch schärfer: "Wir werden bei der COP22 viele kleine NGOs sehen, die auf Finanzierungen vom Staat oder aus dem Ausland hoffen (…) Der Staat tut alles, um diese NGO von den großen Umweltproblematiken fernzuhalten, die als politisch heikel gelten, und er wird versuchen, ihren Aktionsradius auf das Sammeln von Müll und das Pflanzen von Bäumen zu beschränken, oder auf das Reinigen von Meeresstränden."
Auch Mamoun Ghellab von Zero Zbel ist vorsichtig in Bezug auf die Nachhaltigkeit der COP22. "Ich denke, dass die Weltklimakonferenz nicht alle gesetzten Erwartungen erfüllen wird. Denn für Marokko ist sie in erster Linie eine diplomatische Angelegenheit. Es geht um internationale Sichtbarkeit, und darum zu zeigen, dass Marokko ein stabiler, vertrauenswürdiger Partner ist, der eine solch große Konferenz durchführen kann, auch in einem regionalen Kontext, der manchmal etwas schwierig ist." Marokko wolle sich als starker wirtschaftlicher Partner und als Investitionsstandort präsentieren, resümiert Ghallab.
Dennoch sieht er in der Konferenz eine Gelegenheit, die die Umweltaktivisten in Marokko nicht verpassen sollten: "Von Null-Abfall zur Reduzierung von CO²-Emissionen führt ein gerader Weg. Nahezu alle Plastikabfälle beruhen auf Erdölabfallprodukten. Bei ihrer Herstellung und vor allem bei der Verbrennung entstehen große Mengen CO2. Wenn man einmal anfängt, dann greift eins ins andere. Wir haben hier die Möglichkeit, einer großen Zahl Menschen diese Zusammenhänge zu vermitteln", erläutert Ghallab und verweist auf drei brandneue Kurzvideos.
"Wir präsentieren das Thema Klimawandel zum ersten Mal anschaulich in der Alltagssprache der Marokkaner, Dialektarabisch", fügt er hinzu. Ganz gewiss werde es einen "Post-COP"-Effekt geben, glaubt Ghallab. "Umweltthemen werden nach der Weltklimakonferenz möglicherweise nicht mehr so prominent in den marokkanischen Medien sein. Aber wir bleiben dran."
Martina Sabra
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