Schönheit muss leiden

Alexandra Chreitehs Debütroman "Always Coca-Cola", den sie bereits im Alter von 19 Jahren geschrieben hat, zeigt, welche Gefahren eine blinde Idealisierung westlicher Schönheitsvorstellungen für junge Menschen birgt – nicht nur im heutigen Beirut. Volker Kaminski hat das Buch gelesen.

Von Volker Kaminski

Abirs wichtigster Gegenstand in ihrem Zimmer ist der Wandspiegel. Jeden Morgen nach dem Aufstehen verbringt sie eine Stunde damit ihr Gesicht nach neuen Fältchen und ihre Haut nach Anzeichen von drohender Cellulite abzusuchen.

Zu gerne würde sie dem Idealbild der "perfekten weiblichen Schönheit" entsprechen, das sie aber schon aufgrund ihrer geringen Körpergröße und ihrer zu dunklen Haut nicht erfüllt.

Anders ist das bei ihrer Freundin Jana. Jana ist Star-Model in einer Coca-Cola-Werbung. Mit ihr muss sich Abir in ihrem Spiegelbild jedes Mal vergleichen, denn kurioserweise zeigt ihr der Spiegel nicht nur sie selbst, sondern gleichzeitig auch immer ihre Freundin auf der Plakatwand auf der Straße vor ihrem Fenster.

Dabei ist Abir gar nicht übertrieben eitel, sie entstammt einer traditionellen libanesischen Familie und studiert an der Beiruter American University, während ihre Freundin als Tochter rumänisch-deutscher Eltern in der Beiruter Gesellschaft kaum verankert ist, sich unverkrampfter durchs Leben bewegt und darum auch den Model-Job bekam.

Freizügigkeit als Provokation

Für Abir ist Janas freizügiger Lebensstil eine ständige Provokation, obwohl sie ihr andererseits heimlich nachzueifern versucht. Dass es neben ihrer der Tradition verpflichteten Herkunft und Janas vermeintlich modernerer Haltung noch andere Lebenswege gibt, sieht sie an ihrer Mitstudentin Jasmin, die sich weder um gesellschaftliche Zwänge kümmert noch dem gängigen Schönheitsideal huldigt: Jasmin trägt ihre Haare kurz und verbringt ihre Freizeit hauptsächlich mit Kickboxen.

Buchcover Always Coca Cola von Alexandra Chreiteh im Verlag Hans Schiler
Alexandra Chreitehs „Always Coca-Cola“ ist eine tiefsinnige Coming-of-Age-Geschichte. Drei befreundete Beiruterinnen, die am Anfang ihres Studiums und Berufslebens stehen, sind hin und her gerissen zwischen ihren vom westlichen Lebensstil geprägten Ansprüchen und den Erwartungen, die die patriarchalisch dominierte Gesellschaft an sie hat.

Der Roman, der sich äußerst kurzweilig liest, kreist in der Hauptsache um Abir, doch die Unbeschwertheit, die der Erzählton suggeriert, erweist sich als trügerisch. Gekonnt reiht die Erzählerin Motive aneinander, in denen sich die Erwartungen und Enttäuschungen der jungen Frau widerspiegeln.

Abir scheint in einem Netz aus Markennamen wie Coca-Cola, Always (Damenbinden), Starbucks u.a. gefangen, die ihr jeden Tag Entscheidungen aufnötigen und ihr Verhalten bestimmen. Das Leben der jungen Frauen ist in einem hohen Maße von den Medien beherrscht, von massiver Werbung und der Produktion von Träumen durch bestimmte Videoclips vor Palmenoasen mit perfekt gestylten singenden Tänzerinnen.

Spur der Gewalt

Unter diesem Netz aus Unterhaltung und Kommerz verbirgt sich eine Spur von Gewalt. Immer wieder ist vom Blut die Rede, dem Monatsblut ebenso wie den blutigen Verletzungen beim Kickboxen oder den Schmerzen, die eine Körperhaarentfernung im Schönheitssalon verursacht, der sich Jana unterzieht.

Doch Abir begegnet auch direkter massiver Gewalt, so wird sie von ihrem Arbeitgeber in einem unerwarteten Moment in dessen Büro vergewaltigt. Statt den Mann anzuzeigen, quält sie sich mit Schuldgefühlen und dem "Skandal" einer möglichen "unehrenhaften" Schwangerschaft und richtet auf ihren eigenen Körper den männlichen Blick der "geöffneten Rose". In ihrer Verzweiflung beschließt sie sogar ihr Jungfernhäutchen durch einen medizinischen Eingriff wieder herstellen zu lassen, um ihr Leben, "das wie ein Puzzle in seine Einzelheiten zerfallen war, wieder in Ordnung zu bringen." Ihre unangepasste Freundin Jasmin redet ihr glücklicherweise dieses Ansinnen aus.

Gespür für drastische Situationskomik

Chreiteh hat ein großes Gespür für drastische Situationskomik, die einen dunklen Hintergrund besitzt. Manchmal steigert sich diese Komik ins Groteske und das Erzähltempo, das ohnehin hoch ist, überschlägt sich beinahe. Die Übersetzerin Christine Battermann erklärt in ihrem klugen und sehr instruktiven Nachwort, worin der besondere Reiz dieses Romans besteht. Sie weist auf die "verborgenen Ebenen" hin, die den Text durchziehen und ihn so für "unterschiedliche Lesarten" öffnen.

Der Erzählerin ist ein kleines Kunststück gelungen: Trotz der „munteren Erzählweise“ und dem leichten Ton wird deutlich spürbar, welche Ängste die Protagonistin in einer Welt auszustehen hat, die ihr jeden Tag aufs Neue mit den trügerischen Bildern (und Liedern) einer verlockenden Hochglanzwelt begegnet und ihr andererseits traditionelle Werte und Identifikationsmuster anbietet, die für sie als moderne Frau kaum noch lebbar sind.

Hier ist eine junge, äußerst begabte Autorin zu entdecken, der es mit Leichtigkeit gelingt, der heutigen durchkommerzialisierten Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten – egal ob in West oder Ost.

Volker Kaminski

© Qantara.de 2015

Alexandra Chreiteh: "Always Coca-Cola", hrsg. von Rafik Schami, übersetzt aus dem Arabischen von Christine Battermann, Verlag Hans Schiler, 150 Seiten, ISBN 9783899304152