Angst vor einem Dominoeffekt

Obwohl der Libanon zu den liberalsten Ländern der arabischen Welt zählt, werden Frauen noch immer zivilrechtlich benachteiligt und von Männern unterdrückt. Die Frauenrechtsorganisation KAFA fordert nun ein Gesetz, das Frauen vor häuslicher Gewalt effektiver schützen soll. Einzelheiten von Juliane Metzker aus Beirut

Von Juliane Metzker

Tragische Ereignisse wie diese sind im Libanon kein Ausnahmefall: Tala und Sara mussten mit ansehen, wie ihr wutentbrannter Vater mit einem Dampfkochtopf immer wieder auf ihre Mutter einschlug. Aus einem Ehestreit wurde plötzlich ein Kampf um Leben und Tod. Manal al-Assi erlag schließlich ihren Verletzungen zwölf Stunden später in einem Beiruter Krankenhaus.

Die schwangere Fatima al-Nashar aus Tripoli hatte den Bon für die nächste Wasserlieferung verloren. Deshalb lauerten ihr der Ehemann, sein Bruder und die Schwiegermutter auf und prügelten auf sie ein. Fatima und ihr ungeborenes Kind überlebten die Attacke nur knapp.

Vor der Tat hatte sie bei der Polizei mehrfach Beschwerde gegen ihren gewalttätigen Ehemann eingelegt. Dennoch blieb die Polizei untätig, da es sich in beiden Fällen um Familienangelegenheiten handelte.

Genug ist genug!

"Wir fordern ein Gesetz, das Frauen vor häuslicher Gewalt schützt", sagt Hiba Abbani, eine der Mitarbeiterinnen der zivilgesellschaftlichen Organisation KAFA (zu Deutsch: "Genug"). In Kooperation mit 60 weiteren NGOs konzipierte KAFA einen Gesetzesentwurf, den das libanesische Parlament letztes Jahr zur Überarbeitung an eine Kommission überstellte.

Einige religiöse Würdenträger und Politiker kritisierten die Entscheidung des Parlaments, ein derartiges Gesetz überhaupt zu erwägen. "Sie haben Angst vor einem Dominoeffekt. Sie wissen, dass dieses Gesetz zu dramatischen Veränderungen in der libanesisch-konfessionalistischen Gesellschaft führen könnte", erklärt Abbani.

Obwohl der Libanon in der arabischen Welt als eines der liberalsten Länder gilt, ist die Frau gegenüber dem Mann immer noch zivilrechtlich benachteiligt. Beispielsweise können Libanesinnen ihre Nationalität nicht an ihre Kinder weitergeben, sollte der Vater ausländischer Herkunft sein.

"Wenn ein Gesetz speziell für Frauen erlassen wird, so könnte auch irgendwann das Staatsangehörigkeitsgesetz gekippt werden und viele weitere Vorschriften", erklärt Abbani und fährt fort: "Die Gleichberechtigung stellt eine Bedrohung für das konfessionalistische System dar. Viele Frauen würden sich doch dann von ihren gewalttätigen Männern sofort scheiden lassen, wenn ein Gesetz sie schützt."

Die Frauenrechtlerin zeigt sich zuversichtlich, dass ein solches Gesetz womöglich bald zustande kommen könnte: "Die Mehrzahl der Parlamentarier ist im Prinzip für das Gesetz und würde auch dafür stimmen."

Ein Kampf mit der Zeit

Doch den Aktivisten läuft die Zeit davon, denn die noch junge Regierung unter Ministerpräsident Tammam Salam ist tief gespalten. Einige Minister der "Allianz des 14. März" drohen mit einem Rücktritt, sollten bestimmte Formulierungen in der neuen Regierungserklärung erhalten bleiben, die die Hisbollah-Miliz als bewaffneten Widerstand gegen Israel im Libanon legitimieren. Minimale Korrekturen im Wortlaut der Deklaration sollen nun beide Seiten versöhnlich stimmen. Aber erst wenn die Wogen in Salams Kabinett geglättet sind, kann die Regierung ihre eigentliche Arbeit aufnehmen.

Doch selbst wenn das Gesetz rechtzeitig erlassen wird, so ist die Arbeit der KAFA-Initiatoren noch nicht beendet. Denn die Kommission hat den ursprünglichen Gesetzesentwurf modifiziert, sodass der neue Titel "Gesetz zum Schutz von Frauen und Familienmitgliedern vor häuslicher Gewalt" lautet. Damit fallen auch Kinder und Männer unter das Schutzgesetz.

Abbani kann diese Entscheidung nicht gut heißen: "Das sieht zwar auf ersten Blick gut aus. Aber Gewalt gegen Frauen ist doch sehr speziell. Und deshalb sind auch besondere Schutzmechanismen vonnöten." In diesem Zusammenhang weist Abbani darauf hin, dass Kinder bereits durch das Gesetz 442 geschützt sind, sowie Männer in Scheidungs-, Erbschafts- und Sorgerechtsfragen ohnehin das letzte Wort haben.

Anschubfinanzierungen für geschiedene Frauen

KAFA-Kampagne "Wir haben eine Mission; Quelle: KAFA/ISF
Umgang mit den Opfern von häuslicher und sexueller Gewalt: Ein Seminar über geschlechtsspezifischer Gewalt wurde bereits in den Lehrplan der libanesischen Polizeiakademie aufgenommen. Im vergangenen November verteilten Sicherheitskräfte in einer großangelegten Aktion Flyer mit der Aufschrift "Wir haben eine Mission", der Frauen auffordert, in dringenden Fällen die Notrufnummer 112 zu wählen, sollten sie sich bedroht fühlen.

KAFA fordert, Frauen, die überwiegend finanziell von ihren Ehemännern abhängig sind, Geldmittel aus einem Regierungsfond zur Verfügung zu stellen, vor allem Finanzhilfen für Frauen kurz nach einer geschiedenen Ehe. Diese Gelder könnten aber nur beantragt werden, wenn das Gesetz ausschließlich für Frauen gelte.Unter dem Motto "Wenn wir für das Gesetz demonstrieren müssen, werden wir kommen!" organisierte KAFA anlässlich des Weltfrauentags am 8. März eine Großdemonstration in Beirut. Laut Organisation beteiligten sich bis zu 5.000 Menschen an einem Protestzug vom Nationalmuseum in Richtung Justizpalast.

"Ich bin hier, weil es auch in meiner Familie Fälle von häuslicher Gewalt gab", berichtet eine 21-jährige Demonstrationsteilnehmerin. "Meine Mutter konnte meinen Vater gerade noch rechtzeitig verlassen, bevor er sie umbringen konnte. Ich erinnere mich auch daran, dass wir damals die Polizei mehrfach über die Gewaltausbrüche meines Vaters informierten. Doch stets sagten uns die Beamten, dass dies nicht zu ihren Aufgabengebieten gehörte."

Erst seit Mitte letzten Jahres steht unterlassene Hilfeleistung libanesischer Sicherheitskräfte bei Verdacht auf familiäre Gewalt unter Strafe. Die Behörde für innere Sicherheit (ISF) beauftragte KAFA als Beobachtungsinstanz.

In Kooperation mit der ISF schult KAFA Polizisten im Umgang mit den Opfern von häuslicher und sexueller Gewalt. Ein Seminar über geschlechtsspezifischer Gewalt wurde bereits in den Lehrplan der libanesischen Polizeiakademie aufgenommen. Im vergangenen November verteilten Sicherheitskräfte in einer großangelegten Aktion Flyer mit der Aufschrift "Wir haben eine Mission", der Frauen auffordert, in dringenden Fällen die Notrufnummer 112 zu wählen, sollten sie sich bedroht fühlen.

KAFA bezeichnet die Kampagne als großen Erfolg, da die Polizei seitdem über 100 Frauen an die Organisation weitervermittelt hat. Tendenz steigend, berichtet Abbani: "Die Zahl der Anruferinnen nimmt zu. KAFA betreut bis zum jetzigen Zeitpunkt 300 bis 500 Frauen. Aber ich bin mir sicher, dass da draußen noch viel mehr Frauen sind, die diesen Schritt wagen sollten."

Juliane Metzker

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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de