Wie ein Film in Israel Politik macht
Dass ein Film wochenlang die Schlagzeilen großer Zeitungen beherrscht, ist in Deutschland so gut wie undenkbar. Kunst findet im Feuilleton statt, auch wenn dort gelegentlich politische Themen verhandelt werden. Eines ist recht sicher: Die Politik mischt sich nicht ein.
Ganz anders in Israel. Hier sorgte der Film "Foxtrot" aus dem Jahr 2017 für einen regelrechten Eklat. Der Regisseur Samuel Maoz hatte gerade die Premiere in Venedig gefeiert, da erklärte die Kulturministerin, dieser Film beschmutze den guten Namen der IDF, der israelischen Armee. Der Regisseur sei eine Schande für Israel.
Dabei hatte die Ministerin den Film noch gar nicht gesehen. In Israel war er noch in keinem Kino gezeigt worden. In Venedig gewann "Foxtrot" aber den Silbernen Löwen. Und plötzlich standen sich zwei verfeindete Lager gegenüber – sinnbildlich für die derzeitige Spaltung der israelischen Gesellschaft.
Auf der einen Seite die aktuelle israelische Regierung, in diesem Fall verkörpert durch die Kulturministerin Miri Regev. Sie erklärte in der Vergangenheit immer wieder Kritiker der Besatzungspolitik zu Verrätern, ja zu Staatsfeinden – nicht nur Samuel Maoz. Auf der anderen Seite Künstler und Intellektuelle, linke Israelis, die die Besatzungspolitik hinterfragen. Im Falle von "Foxtrot" kam ein internationales Publikum hinzu, dass sich tief beeindruckt zeigte von der hoch emotionalen und zugleich so bildgewaltigen Familiengeschichte.
Die Todesnachricht junger Soldaten ist in Israel Alltag
Es ist die Geschichte des Ehepaars Feldman, das gleich in den ersten Minuten des Films erfährt, dass der Sohn während seines Armeedienstes gefallen ist. Jonathan ist tot. Die Eltern stehen unter Schock. Die Professionalität mit der diese Nachricht überbracht, der Mutter fachkundig eine Beruhigungsspritze gesetzt und dem Vater das regelmäßige Wassertrinken empfohlen wird – diese Routine der Soldaten ist das eigentlich schockierende im Film. Denn es zeigt, wie sehr das Überbringen von Todesnachrichten junger Soldaten in Israel zum Alltag gehört. Alltag in einem Land, das sich auch 70 Jahre nach seiner Staatsgründung noch immer nicht im Frieden mit seinen unmittelbaren Nachbarn befindet – den Palästinensern.
Was die Ministerin auf die Barrikaden trieb, war jedoch nicht diese erste Szene des Films. Es ging um eine andere Schlüsselszene, die eigentlich im Sinne der Spannung nicht erzählt werden dürfte, mittlerweile aber bereits in sämtlichen Zeitungen wiedergegeben wurde. Machen wir es also kurz: Jonathan – eben jener Sohn, der zu Beginn des Films für tot erklärt wird – erschießt als Soldat an einem Checkpoint im besetzten Westjordanland vier junge Palästinenser. Und diese sind keine Terroristen. Die Spuren des Verbrechens werden von den Vorgesetzten verwischt.
Kunst und keine Dokumentation
Man werde keine Filme mehr fördern, die den Namen Israels beschmutzen so wie "Foxtrot" dies tue, hatte die Ministerin aufgrund dieser Szene erklärt. So etwas würde die israelische Armee nie tun. Es ist die moralischste Armee der Welt, lautete auch die Kritik von Zuschauern bei einer der ersten Vorführungen des Films in Tel Aviv.
"Da täuschen Sie sich", antwortete Samuel Maoz auf dem Podium. "Ich war im Libanonkrieg. Glauben Sie mir, da sind noch ganz andere Dinge passiert". Darum gehe es aber auch gar nicht, berichtet der Regisseur. Schließlich sei sein Film ja keine Dokumentation, sondern Kunst. Und diese müsse keine objektiven Wahrheiten präsentieren.
Drohungen im Netz gegen den Regisseur
Dass der Film in Venedig Premiere feierte, ist nun bereits zehn Monate her. Inzwischen ist er auf etlichen internationalen Filmfestivals gezeigt worden, hat in Israel den renommierten Ophir-Award gewonnen und war damit offizieller Beitrag Israels für den Auslands-Oscar – gegen den Willen der Ministerin, die applaudierte als ihr eigenes Land in Los Angeles nicht in die engere Auswahl kam.
In diesen Tagen wird "Foxtrot" auf dem Jüdischen Filmfest Berlin & Brandenburg gezeigt. Der Regisseur ist dabei und wird mit dem Publikum diskutieren. Als der Film vor wenigen Wochen das jüdische Filmfest in Paris eröffnen sollte, erklärte die israelische Regierung kurz zuvor, sie werde das Festival boykottieren. Der Film wurde dennoch gezeigt.
Bessere Werbung kann man gar nicht machen, meint Samuel Maoz. Damit habe es sein Film schließlich auch in die französischen Hauptnachrichten geschafft. Er lacht. So wie auch der Zuschauer sich ein lautes Lachen über die Absurdität des Lebens nicht verkneifen kann, wenn es eigentlich doch gerade furchtbar tragisch zugeht. Das war die Herausforderung, sagt Moaz. Wenn du schreist, hört dir keiner zu. Wenn du ein bisschen schwarzen Humor hinzufügst, schon eher.
Ganz so locker wie es auf den ersten Blick scheint, nimmt der Regisseur die Angriffe jedoch nicht. "Ich habe Drohungen bekommen", erzählt er. Bei öffentlichen Fantasien, ihn mit Säure zu verätzen, hört es dann aber auf. Eine Zeit lang sei er nur mit Sonnenbrille auf die Straße gegangen. Dann habe der Trotz bei ihm eingesetzt. Er werde sich weiterhin kritisch äußern und nicht einschüchtern lassen, sagt er. Zum Interview in Tel Aviv erscheint Samuel Maoz ohne Sonnenbrille. Es wirkt fast ein wenig absurd, so wie eine Szene aus seinem Film. Denn die Sonne in Tel Aviv scheint an diesem Tag ziemlich grell.
Sarah Judith Hofmann
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