Musik gegen Hoffnungslosigkeit

Das Arab Youth Philharmonic Orchestra, das 2006 gegründet wurde, ist das erste panarabische Jugendorchester.
Das Arab Youth Philharmonic Orchestra, das 2006 gegründet wurde, ist das erste panarabische Jugendorchester.

Das weltweit einzige panarabische Jugendorchester traf sich in Berlin. Musik stand im Mittelpunkt der Arbeitsphase. Aber auch der Austausch über die Lage zu Hause – über Politik, Hoffnungen und Befürchtungen. Von Peter Zimmermann

Von Peter Zimmermann

Rund 60 Musikerinnen und Musiker aus sieben arabischen Ländern blicken dem Bremer Dirigenten Heiner Buhlmann tief in die Augen, folgen seinen Armbewegungen und Gesten: Dvořáks Sinfonie Nr. 8 ist ihr großer Auftritt beim Festival Young Euro Classic im Berliner Konzerthaus.

Gefördert vom Auswärtigen Amt hat sich das Arab Youth Philharmonic Orchestra mit Musikern aus Ägypten, Algerien, Bahrain, dem Libanon, Syrien, Tunesien und den palästinensischen Gebieten erstmals zu Proben in Berlin getroffen. Das musikalische Repertoire besteht aus europäischer Orchesterliteratur und traditionellen Werken arabischer Herkunft. "Wir haben zum Beispiel Claude Debussys 'Tänze für Harfe' im Gepäck, weil die Harfe ursprünglich ein ägyptisches Instrument ist", sagt die 22-jährige Harfenistin Toaa Salah El-Deen aus Kairo. "Ich bin so stolz, zum ersten Mal als Solistin mit einem Orchester auftreten zu dürfen. Das ist für mich eine unbezahlbare Erfahrung!"

Friedliches Miteinander

"Das Arab Youth Philharmonic Orchestra steht für die Vision eines friedlichen Miteinanders in der arabischen Welt, die zur traurigen Ungewissheit geworden ist", sagt Dr. Fawzy El-Shamy. "Der Gedanke bleibt gerade deshalb heute so groß!" Der ehemalige Direktor des Kairoer Konservatoriums und Gründer des Orchesters wirkt optimistisch.

"Natürlich reden die jungen Musiker in den Pausen auch viel über Politik. Denn alle wollen in Frieden leben! Sie fragen nach den Hintergründen der arabischen Konflikte und nach Dingen, die sie aus dem Fernsehen kennen aber nicht verstehen. Dieser Austausch ist sehr wichtig, denn das fördert den kleinen Frieden in unserer Gruppe. Und diese positive Energie bringen wir dann auf die Bühne!", sagt Fawzy El-Shamy der DW.

Flucht in die Musik

"Ganz schlechte Nachrichten!", beschreibt Cellist Somar Ashkar aus Damaskus die derzeitige Lage daheim. Er ist ratlos. "Langsam wird das Leben für uns richtig schwer. Nichts ist mehr so wie früher. Aber keiner weiß, was wir tun können. Wir warten. Nur auf wen? Irgendwas muss doch passieren… Das Elend muss doch gestoppt werden, die Kämpfe und so. Wirklich, das wünschen wir uns – Frieden!"

Seine mühsame Reise nach Berlin ging mit den syrischen Orchesterkollegen über den Libanon. In Berlin flüchten sie in die Musik. "Früher waren wir bei Proben immer glücklich! Das haben wir durch den Krieg verloren. Und trotzdem: Wir geben nicht auf! Ich kämpfe mit den Mitteln der Musik! Meine Freunde und ich versuchen unaufhaltsam, Menschen glücklich zu machen und sie vergessen zu lassen, was in Syrien passiert!"

Viele offene Fragen

"Gut 30 Prozent der Musikerinnen und Musiker in unserem Orchester kommen aus Syrien. Von denen wollte ich wissen: Wer ist denn bei Euch zuhause für und wer gegen Baschar al-Assad? Und was ist denn da bloß los?" Die Geigerin Jasmin Assom de Meledin El-Serafi aus Alexandria macht eine nachdenkliche Pause. "Dann erklären die mir, dass so viele Syrer in der Armee sind und gegen viele, viele Zivilisten vorgehen. Keiner von denen versteht warum! 'Warum kämpfen die nicht gegen Bashar's Leute?', fragen sie mich dann."

Musik soll das Leben anderer Menschen genauso wie das eigene verändern. "In der Musik gibt es kein richtig oder falsch", sagt der 22-jährige ägyptische Konzertmeister Kalim Samir Salé, der seit vier Jahren bei Kolja Blacher in Berlin studiert. "Auch wenn wir Araber der klassischen Musik gerne mal einen anderen Charakter geben, mit unserem Dirigenten Heiner Buhlmann finden wir immer eine gute Mitte. Wir wollen gerne immer etwas langsamer spielen. Er treibt uns nach vorne. Das funktioniert!"

Musik und Zeit

"Ich persönlich rede wenig über Politik: Da gibt es immer zwei Meinungen und jeder will Recht haben.", sagt der Konzertmeister. "Das macht mieses Karma! Und deswegen finde ich es in dieser Zeit besser, wenn wir nur an Musik denken. Die politische Situation ist für mich uninteressant! Sie ist nicht in Ordnung, das sieht doch jedes Kind!"

Als Mitbringsel aus der Heimat geben die ehrgeizigen jungen Musiker in Berlin die Arabische Suite von Attia Sharara aus dem Jahr 1978: Ein Potpourri von Melodien aus Ägypten, Marokko, Jordanien, Libyen, Syrien und dem Libanon. Bekannte Melodien. Nach lang anhaltendem Applaus kommen die Musiker von der Bühne. Sie wirken fröhlich. Wie ausgetauscht.

"Wir haben viele Sorgen", sagt der ägyptische Musikwissenschaftler Fawzy El-Shamy. "Zuhause war ich mit meinen Studenten jeden Tag am Tahir-Platz. Immer! Und wenn wir zurück sind, gehen wir auch wieder zum Tahir!". "Als Jugendlicher habe ich immer Hoffnung, natürlich.", fügt sein Konzertmeister hinzu. "Ich glaube wir brauchen mehr Zeit. Wir brauchen viel mehr Zeit!"

Peter Zimmermann

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de