Das verunsicherte Königreich
2013 suchte die königliche Familie nach Verbündeten in der Region und versuchte – wie in Ägypten – früheren Partnern wieder zur Macht zu verhelfen. Auch seine gewaltigen Ölressourcen setzte das Königreich dafür ein, die Art von Stabilität wiederherzustellen, an die es sich in den letzten Jahrzehnten gewöhnt hatte.
Zur Erleichterung der saudischen Königsfamilie hatte der Arabische Frühling bislang nicht stabile demokratische Verhältnisse in den Ländern des Umbruchs geschaffen – weder in Tunesien, noch in Ägypten, im Jemen, Bahrain, Libyen oder Syrien. Positiver ist es ihre Ansicht nach, dass die islamistischen Regimes, die an die Macht gekommen waren, sich als entweder völlig inkompetent herausstellten und somit leicht wieder aus dem Amt gejagt werden konnten (wie im Fall des Sturzes von Ägyptens Präsident Mursi) oder sich lediglich als dysfunktional erwiesen (wie die Regierung in Tunesien), was sie als Modell für andere Länder auch nicht attraktiver erscheinen lässt.
Und doch untergruben die Revolutionen des Arabischen Frühlings das Fundament, auf denen das alte System in der Region fußte, und mit welchem sich das Königshaus so gut arrangiert hatte. Alte, verlässliche Verbündete, wie Hosni Mubarak in Ägypten und Zine El Abidine Ben Ali in Tunesien, wurden gestürzt (letzterer versteckt sich mittlerweile in Riad). Aus einst politisch tolerierten Regimes, wie dem Baschar al-Assads in Syrien, wurden schließlich erbitterte Feinde.
Stellvertreterkrieg gegen den Iran
Die unmittelbare Reaktion Saudi-Arabiens auf den Zerfall des mit Petrodollars zusammengehaltenen Systems war es, die bestehenden Allianzen auszuweiten – und zwar auf Jordanien, Libanon und Bahrain. Der nächste Schritt war es, die ägyptische Armee beim Sturz Mursis zu unterstützen, womit sie die USA sehr schlecht aussehen ließen, die einmal mehr nicht Herr der Lage in der Region zu sein schienen.
Im Laufe des Jahres 2013 geriet Syrien immer mehr in den Fokus der saudischen Außenpolitik – und das aus ganz existenziellen Gründen. Der Kampf zwischen Assad und seinen Gegnern im Land wird von Saudi-Arabien als ein Stellvertreterkrieg angesehen, der sich weniger gegen Assad als gegen den Erzfeind Iran richtet. Das saudische Königreich gehört deshalb zu den größten Geldgebern, wenn es um die Waffenlieferungen an die sunnitischen Rebellen geht, die gegen Assads Armee kämpfen, die wiederum massive Militärhilfe aus dem Iran und Waffenhilfe von der Hisbollah erhält, der im Libanon beheimateten Schiiten-Miliz.
Bei diesem Kampf gegen das iranische Regime, das von Russland unterstützt wird, würde die saudische Königsfamilie selbstverständlich gern auf die fortgesetzte Hilfe von Seiten ihres Hauptverbündeten, den USA, zählen können. Den Vereinigten Staaten fühlen sie sich allerdings nicht mehr so weit verpflichtet, dass sie auf die Zustimmung aus Washington warten müssten, um Aktionen durchzuführen, oder von solchen gar Abstand nehmen würden, sollte damit gegen US-amerikanische Interessen gehandelt werden. Saudi-Arabien fühlt sich von den Vereinigten Staaten zunehmend vernachlässigt und verhält sich dementsprechend.
Politik der Verweigerung gegenüber den USA
Seit dem Zweiten Weltkrieg ist das Land durch die USA am Leben gehalten worden – und hat sich, seit Ausgabe der ersten Ölkonzessionen aus dem Jahr 1938, auf deren militärische und politische Unterstützung verlassen können. Doch seitdem Präsident Barack Obama darauf verzichtete, seiner Drohung bezüglich der "roten Linie", die Assad durch den Einsatz chemischer Waffen überschreiten würde, auch Taten folgen zu lassen, schlossen die Entscheidungsträger in Saudi-Arabien, dass sie es wohl mit anderen USA zu tun hätten als denen, die vor 22 Jahren eine halbe Million Soldaten losschickten, um die Armee Saddam Husseins aus dem benachbarten Kuwait zu verjagen.
Die Frage, die man sich nun innerhalb des Königreichs stellt, ist: Sind die Sorgen der Saudis den USA lediglich egal oder wird die Politik der USA in der Region in den nächsten Jahren dazu beitragen, diese Sorgen noch zu vergrößern? Die Iranfrage wird deshalb schon 2014 und darüber hinaus zu einem Lackmustest auch für die künftigen Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien.
Der Iran, der seit der Islamischen Revolution von 1979 ein politischer Rivale der USA in der Region darstellt, scheint am Anfang eines Normalisierungsprozesses mit den Vereinigten Staaten zu stehen. Und tatsächlich könnte sich dies als einfacher erweisen, als es drei Jahrzehnte voller Feindseligkeit vermuten lassen.
Wie Henry Kissinger es schon so oft sagte, widersprechen sich die strategischen Interessen der USA und Iran prinzipiell keineswegs. Die Entfremdung seit 1979 ist also die Ausnahme und nicht die Regel. Und tatsächlich bildete der Iran vor 1979 ja einen verlässlichen Außenposten des US-amerikanischen Einflusses im Nahen Osten und Zentralasien. Und da für die königlichen Herrscher in Saudi-Arabien – wie für alle Dynasten – die Vergangenheit ein allgegenwärtiges Bezugssystem bildet, erinnern sie sich an diese Beziehung nicht nur sehr gut, sondern fürchten auch ihr Wiederaufleben.
Natürlich verstehen die Saudis, warum die USA so begierig nach einer Verständigung mit Iran sind. Auf das iranische Atomprogramm gibt es keine einfache militärische Antwort und keine Bombardierung des Landes kann zunichte machen, was der Iran bisher an Know-how in der Nukleartechnologie bereits gesammelt hat.
Aber auch wenn die Sanktionen allein den Iran nicht von seinen nuklearen Ambitionen abhalten werden, so ist es doch deren allmählicher Ausweitung zu verdanken, dass das Regime ernsthaft in Schwierigkeiten geraten ist. Nun aber vermindert Obama den Druck – und das obwohl ein weiteres Anziehen der Sanktionsschraube das Regime womöglich hätte zusammenbrechen lassen.
Sorge um iranischen Einfluss in der Region
Für Saudi-Arabien geht es nicht nur um die Frage, ob Iran eine Nuklearstreitmacht wird oder nicht. Ein Abkommen zum iranischen Atomprogramm würde eine seit Jahrzehnten nicht dagewesene Aufwertung des iranischen Einflusses in der Region bedeuten, was auch den hegemonialen Bestrebungen Teherans entgegenkommen würde. In Saudi-Arabien besteht deshalb die Sorge, dass es das letzte Ziel der iranischen Ambitionen ist, die Oberhoheit über Mekka zu erlangen, der Wiege des Islam.
Aus diesem Grund hätten die Saudis es lieber, wenn der Iran auch weiterhin durch Sanktionen von Seiten der internationalen Gemeinschaft gefesselt bliebe. Zwar ist es dem Iran trotz der Wirtschaftssanktionen gelungen, sich immer mehr in die arabische Politik einzumischen, aber es waren doch letzten Endes die USA, die es durch den Sturz von Saddam Husseins sunnitischen Minderheitsregimes im Irak erst ermöglichten, dass dort heute eine von Iran gestützte schiitische Regierung an der Macht ist.
Besonders misstrauisch beäugt das saudische Königshaus die jahrzehntelangen Versuche Irans, die kleinen Emirate am Golf von einer neuen Sicherheitsarchitektur sowie Wirtschaftsabkommen zu überzeugen, die die USA außen vor lassen würden. Dies war auch einer der Gründe für die Saudis Truppen nach Bahrain zu schicken, als der Funke des Arabischen Frühlings auf die schiitische Bevölkerungsmehrheit im Golfstaat übersprang; und auch ein Grund dafür, warum die USA, die ihre Lektion aus dem Irak-Kapitel gelernt haben, ihr schweigendes Einverständnis gaben.
Was die Situation noch heikler macht, ist die Tatsache, dass Saudi-Arabiens größte Trumpfkarte – das Öl – heute zunehmend an Gewicht verliert. Neue Energieressourcen, besonders das Schieferöl in den USA und in Australien, haben dafür gesorgt, dass die Vereinigten Staaten Saudi-Arabien immer weniger brauchen.
Die mögliche Rückkehr Irans als größerer Öllieferant für den Fall einer Einigung in der Atomfrage würde die saudische Kontrolle über die Ölpreise weiter verringern, wenn nämlich "schiitisches" Öl aus Iran und dem Irak den Markt überschwemmt. In diesem Fall würde wohl nicht einmal mehr der vom saudischen König angenommene Ehrentitel "Beschützer der beiden Heiligen Stätten" die Führung in der muslimischen Welt garantieren.
Mai Yamani
© Project Syndicate 2014
Aus dem Englischen von Daniel Kiecol
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de