Heillos zerstritten
Flauschige Teppichböden, vergoldete Armsessel und funkelnde Kronleuchter liegen zur Einweihung der VIP-Lounge parat. Draußen, vor dem internationalen Flughafen von Tripolis, ist ein roter Läufer ausgerollt. Es ist der Vorabend des 17. Februar 2016 - Jahrestag der Revolution, die 2011 zum Sturz von Langzeitmachthaber Muammar Gaddafi geführt hat. “Die Renovierung ist nahezu abgeschlossen, im März können wir den Flughafen wieder in Betrieb nehmen”, verspricht Ex-Premier Khalifa Ghwell vor jubelndem Publikum. Es hätte ein guter Tag sein können für die Hauptstädter, doch der Flughafen ist Territorium der Opposition, und die eigentliche Regierung sitzt machtlos 20 Kilometer stadteinwärts.
Der Flughafen wurde bei Kämpfen im Juli 2014 in Schutt und Asche gelegt und gilt als beschämendes Sinnbild des seither in Libyen wütenden Konflikts. Nach den Parlamentswahlen von 2014 war der Machtstreit eskaliert, bewaffnete Gruppen rissen sich um die Kontrolle der Hauptstadt. Darauf folgte die territoriale Spaltung des Landes unter erst zwei, dann drei gegnerischen Regierungen. Das Parlament tagt seither in Tobruk, über 1.000 Kilometer östlich der Hauptstadt. Die unter UN-Aufsicht gebildete Regierung der Nationalen Einheit sitzt seit März 2016 in Tripolis, wird aber von ihren Vorgängern nicht anerkannt.
Ghwell vertritt die islamistische "Heilsregierung", die vor einem Jahr zurückgetreten ist. Mittlerweile wollen er und seine Mitstreiter wieder an die Macht. Die Renovierung des Flughafens soll die Einheitsregierung blamieren. Doch letztere versucht dieses politische Manöver zu ignorieren. So gibt sich denn auch Transportminister Milad Matouq recht unbeeindruckt. "Wir haben unsere eigenen Pläne. Wir sind kurz davor, mit einer italienischen Firmengruppe einen Vertrag für den Bau eines provisorischen Terminals abzuschließen", erklärt er. Der Minister wünscht sich nachhaltige Investitionen und langfristige Partnerschaften mit Europa.
Spaltung statt Einigung
Auch die EU braucht einen verlässlichen Partner – vor allem um den Migrationsstrom über das Mittelmeer zu bremsen. Doch Premierminister Faiez Serraj und sein Präsidialrat, der Kern der Einheitsregierung, haben trotz westlicher Rückendeckung kaum Kontrolle über das Land.
Tatsächlich hat das im Dezember 2015 unter UN-Aufsicht unterzeichnete Friedensabkommen keine Grundlage zur Einigung geschaffen. Die ostlibysche Armeeführung unter General Khalifa Haftar weigert sich, mit Serraj zu kooperieren. Die Armee hat im Osten breiten Rückhalt in der Bevölkerung, dementsprechend gering ist dort das Ansehen der Einheitsregierung.
Das Parlament ist gespalten, und die Abgeordneten, die noch an den Sitzungen in Tobruk teilnehmen, sind mehrheitlich auf Seiten der Armee. Daher sind das Friedensabkommen und die Einheitsregierung nicht - wie vorgesehen - ratifiziert worden. Statt Serraj amtiert im Osten Abdallah al-Thinni, Premier der sogenannten Übergangsregierung.
Die Hoffnung, dass die kompromissbereiten Unterzeichner des Friedensabkommens ihre jeweiligen Lager zum Einlenken überreden könnten, hat sich nicht erfüllt. Stattdessen bestimmen Hardliner die Spielregeln. Das zeigte sich anhand der Kämpfe um Libyens wichtigste Ölhäfen, die Anfang März wieder entfacht sind. Haftars Armee ist dort von den "Brigaden zur Verteidigung von Bengasi" (BDB) in einem Überraschungsangriff zurückgeschlagen worden. Die islamistische BDB hat Verbindungen zur Heilsregierung und zur Stadt Misrata - größte Militärmacht in Westlibyen und wichtiger Stützpfeiler der Einheitsregierung.
Die Einheitsregierung übernimmt zwar offiziell keine Verantwortung für den Angriff, hat aber sofort Truppen entsandt, um die Häfen von der BDB zu übernehmen. Der Verteidigungsminister soll der BDB grünes Licht gegeben haben, die islamistischen Mitglieder des Präsidialrats lobten die Gruppe indes als "Revolutionäre".
Doch inzwischen ist das Pendel wieder zurückgeschlagen: Soldaten Haftars haben am vergangenen Dienstag (14.3.2017) zwei wichtige Ölterminals aus der Gewalt der Islamisten zurückerobert. Die selbsternannte libysche Nationalarmee habe das gesamte Erdölgebiet im Nordosten des Landes wieder unter ihrer Kontrolle, erklärte ein Sprecher Haftars.
Umkämpfte Hauptstadt
In Tripolis hatte die Einheitsregierung zunächst großen Zuspruch erfahren, doch dieser schwindet zunehmend. Zeitweise kommt es in der Hauptstadt zu Strom und Wasserausfällen, eine anhaltende Finanzkrise beschränkt derzeit die Auszahlung von Löhnen und Gehältern. Und auch Gewaltverbrechen und Kriminalität nehmen in Tripolis immer mehr zu. Jeder Stadtteil wird inzwischen von unterschiedlichen Milizen bewacht, regelmäßig kommt es zu Schießereien.
Ohne Armee ist die Regierung auf die Zusammenarbeit alliierter Brigaden angewiesen. Doch bei der Koordination und Vergabe von Sicherheitsaufträgen entsteht oft Streit. Beispielsweise an der ehemaligen Militärbasis Mitiga, zu der bislang alle Flüge umgeleitet wurden. Mehrere Milizen teilen sich dort die Überwachung des Flughafens. In der Regel verläuft am Flughafen alles friedlich, allerdings gab es in der Vergangenheit bereits handfeste Auseinandersetzungen gegeben, einschließlich militärischer Gewalt. Es ist zudem ein offenes Geheimnis, dass der eine oder andere Brigadenchef den Flughafen für Schmuggelgeschäfte nutzt.
Transportminister Matouq beteuert, dass die Regierung an diesen Problemen arbeitet. "Die Mitiga-Brigaden werden in die Nationalgarde übernommen", erklärte er jüngst. Die im September ausgerufene Nationalgarde soll als Kern einer zukünftigen Armee die Sicherheit von Institutionen und Grenzübergängen gewährleisten.
Seither hat die gegnerische Heilsregierung jedoch mehrere Regierungsgebäude stürmen können und ihre eigene “Nationalgarde” aufgestellt. “Die Einheitsregierung hat die Lage verschlimmert und die Korruption gefördert”, meinte Ghwell jüngst gegenüber Vertretern der lokalen Presse. “Deshalb sehen wir uns gezwungen, in unsere Ministerien zurückzukehren.“ Sicher ist, dass dies nicht ohne Gewalt vonstatten gehen wird. Kürzlich geriet sogar der Konvoi von Premierminister Serraj während einer Fahrt durch die Hauptstadt unter Beschuss. Mitglieder der Regierung bezichtigten Ghwells Leute, hinter der Tat zu stecken.
Das Scheitern des Präsidialrats
Der Präsidialrat ist gegenwärtig politisch zu schwach, um sich den Herausforderungen in Tripolis zu stellen. Von den ursprünglich neun Mitgliedern sind nur noch acht übrig, denn der Vertreter Südlibyens, Mussa al-Koni, ist inzwischen zurückgetreten. Sein Kollege Ali al-Gitrani vertritt Haftars Interessen und greift die Entschlüsse des Rates an.
Auch die anderen Ratsvertreter sind hoffnungslos zerstritten. “Die Delegierten sind uneins darüber, wie sie das Land künftig regieren wollen. Dabei geht es nicht nur um Grundsatzfragen, sondern auch um das Ego dieser Leute”, sagt Belgassem Gzit, der das Friedensabkommen mit unterzeichnet hat. Aus seiner Sicht besteht dennoch Hoffnung. “Eine vom Parlament ratifizierte und somit legitime Regierung würde ihren Widersacher Ghwell Paroli bieten – auch ohne große Streitkräfte“, meint der Politiker im Gespräch mit Qantara.de in seiner Heimatstadt Misrata.
Dies ist vorerst aber in weite Ferne gerückt, denn die Eskalation in der Erdölregion hat der Pro-Haftar-Fraktion im Parlament zum Durchbruch verholfen. Bei einer Abstimmung am vergangenen Dienstag (14.3.2017) haben die Parlamentarier den Präsidialrat als illegitim erklärt. Der Parlamentsvorsitzende schlägt nun vor, im kommenden Frühjahr Neuwahlen abzuhalten.
Kleinster gemeinsamer Nenner
Die Vertreter der EU Staaten halten weiter am Friedensvertrag und der Einheitsregierung fest, für sie ist dies der “einzige Weg aus der Krise”. Italiens Sonderbeauftragter für Libyen, Giorgio Starace, weist die Abstimmung in Tobruk von der Hand. “Es gab kein Quorum - das Parlament funktioniert immer noch nicht”, ließ er jüngst aus Rom verlauten. Er begrüßte zudem die Übernahme der Ölhäfen durch die Einheitsregierung.
Offenbar hofft man, dass sich Haftar doch noch zu Verhandlungen mit Serraj bewegen lässt. Auch Haftars ausländische Alliierte, Russland und Ägypten, versuchen derzeit, ein Treffen zu vermitteln. Doch wie genau eine Machtteilung aussehen könnte ist noch völlig unklar. Kleinster gemeinsamer Nenner ist allerdings, einen totalen Bürgerkrieg und weiteren Zerfall Libyens doch noch abzuwenden.
Valerie Stocker
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