Prüfender Blick
Am 1. Mai 2017 erschien auf Qantara.de ein Interview der Deutschen Welle mit der Religionswissenschaftlerin Nina Käsehage. In diesem kritisierte sie den Umgang der deutschen Behörden mit dem Thema Radikalisierungsprävention im Bereich Salafismus.
Direkt zu Anfang des Interviews wird den Sicherheitsbehörden unterstellt, sie hätten den Salafismus bis 2013 überwiegend als eine nationale Bewegung erachtet. Dem entgegen steht das bereits 2011 unter maßgeblicher Beteiligung der Sicherheitsbehörden erstellte Lagebild zur Verfassungsfeindlichkeit salafistischer Bestrebungen.
In dem 63 Seiten umfassenden Dokument wird die salafistische Bewegung ausdrücklich und mehrfach als transnational charakterisiert. Die dem Lagebild zu Grunde liegende "Bund-Länder Arbeitsgemeinschaft Salafismus" ist zudem bereits 2009 ins Leben gerufen worden. Auch die 2012 durch den Verfassungsschutzverbund erstellte Broschüre Salafistische Bestrebungen in Deutschland weist auf die Verbindungen deutscher Salafisten zu international agierenden dschihadistischen Gruppierungen hin.
Keine Deutungshoheit über Islamismus-Begriff
Als nächstes kritisiert Käsehage den Begriff Islamismus. Dies ist im Rahmen eines wissenschaftlichen Diskurses selbstverständlich legitim, jedoch haben die Sicherheitsbehörden den Begriff weder geprägt, noch besitzen sie darüber die Deutungshoheit. Ebenso wenig setzen sie Islam und Islamismus gleich und differenzieren dementsprechend in ihren Veröffentlichungen. Der Begriff wurde vielmehr aus der Wissenschaft übernommen.
Im wohl umfangreichsten deutschen Referenzwerk der Islamwissenschaft, "Der Islam in der Gegenwart", herausgegeben von Prof. Dr. Udo Steinbach und Prof. Dr. Werner Ende, wird der Begriff im Artikel "Islamistische Gruppen und Bewegungen", verfasst von Dr. Jan-Peter Hartung und Dr. Guido Steinberg, bereits 2005 verwendet.
Knappe zehn Jahre später erschien in der Reihe Beck Wissen das durch Prof. Dr. Tilmann Seidensticker verfasste aktuelle Standardwerk zum Thema mit dem Titel "Islamismus. Geschichte, Vordenker, Organisationen", in dem die historische Genese des Begriffes detailliert aufgearbeitet wurde. Dabei weist Seidensticker die Verwendung des Begriffs bereits seit den 1980er Jahren nach.
Sowohl der Begriff, als auch seine Definition, finden ebenfalls Verwendung bei internationalen Vorreitern der modernen Islamwissenschaft wie Prof. Dr. Gilles Kepel und Prof. Dr. Olivier Roy. Eine Suche nach "Islamism" im Index Islamicus, der weltweit größten Datenbank für wissenschaftliche Artikel im Bereich der Islamwissenschaft, liefert über 1.200 Ergebnisse. Recherchiert man zusätzlich in politikwissenschaftlichen Datenbanken wie JSTOR, Web of Science oder Academic Search Premier, kommt man sogar auf über 5.000 Ergebnisse.
Die Evidenz für die Anerkennung des Begriffes "Islamismus" wird zudem auch dadurch unterstrichen, dass die Begriffe "Islamismus" (islamiyya) und "Islamisten" (islamiyun) auch in der arabischsprachigen Welt, sowohl von Wissenschaftlern (z.B. Usama 'Abd al-Haqq) als auch von Islamisten selbst (z.B. Hassan al-Turabi), weitläufig Verwendung finden.
Der nächste Vorwurf an die Sicherheitsbehörden lautet, sie hätten gehofft, dass die ausgereisten Dschihadisten nicht zurückkommen würden und wären somit nicht auf dieses Szenario vorbereitet gewesen.
Bereits im Verfassungsschutzbericht 2013 wurde jedoch auf Seite 197 auf die Gefahr der Rückkehrer hingewiesen. Zu dieser Zeit konnte noch ein regelmäßiger Zuwachs an Ausreisen festgestellt werden; die Zahl der Rückkehrer war im Vergleich dazu eher gering.
Staatliche Präventionsmaßnahmen bereits ergriffen
Weiterhin richtet sich die Kritik Käsehages an Bundesjustizminister Heiko Maas, der angeblich sein Versprechen zur Förderung von Präventionsmaßnahmen nicht eingelöst hätte. Hierbei wird verschwiegen, dass Präventionsprogramme im Bereich Justiz über das Bundesprogramm Demokratie Leben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) umgesetzt werden.
In enger Abstimmung mit den jeweiligen Landesjustizministerien und den Landes-Demokratiezentren geht es bei den Projekten in diesem Programmbereich darum, präventiv-pädagogische Angebote für inhaftierte jugendliche Straftäterinnen und Straftäter zu schaffen und sie in und nach dem Strafvollzug unterstützend zu begleiten.
Weiterhin werden Ansätze der Ausstiegs- und Distanzierungsarbeit für bereits ideologisch radikalisierte Inhaftierte gefördert. Anstatt Parallelstrukturen in der Präventionslandschaft zu schaffen, hat man sich also richtigerweise dazu entschieden, bereits bestehende und funktionierende Programme und Mechanismen zu nutzen.
In Bezug auf bestehende Präventions- und Deradikalisierungsprogramme wird die Behauptung aufgestellt, dass Gelder nie an "kleinere Gruppen", sondern nur an große Bundesprojekte vergeben würden und zudem die meisten Projekte an sicherheitsbehördliche Institutionen angegliedert seien.
In Hinblick auf die heterogene Präventionslandschaft in Deutschland ist diese Aussage in ihrer Pauschalität unzutreffend. So sind in einigen Bundesländern die Sozialbehörden und in anderen wiederum die Innenbehörden federführend bei der Koordinierung der Präventionsnetzwerke.
In Hamburg existiert beispielsweise die Beratungsstelle Legato, die von zwei lokalen Trägern betrieben und von der Sozialbehörde finanziert wird. Eine Anbindung an ein Bundesprojekt besteht nicht. Ebenso wenig besteht bei den bundesweit agierenden Trägern Ufuq e.V. oder ZDK gGmbH mit der Initiative HAYAT-Deutschland eine Anbindung an die Sicherheitsbehörden.
Davon unabhängig gilt, dass auch zivilgesellschaftliche Träger gemäß §138 StGB dazu verpflichtet sind, etwaige Straftaten zur Anzeige zu bringen. In einem Arbeitsfeld, in dem unter anderem mit stark radikalisierten und möglicherweise gewaltbereiten Personen gearbeitet wird, können die Sicherheitsbehörden nicht vollständig außen vor bleiben.
Große Resonanz auf Beratungsstelle Radikalisierung des BAMF
Dass eine behördliche Anbindung grundsätzlich ein Fehler sei und dass hierdurch eine unüberwindbare Hemmschwelle für Hilfesuchende geschaffen sei, dem widersprechen die nackten Zahlen. In den fünf Jahren seit Einrichtung der Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge haben über 3.400 Personen das Beratungsangebot in Anspruch genommen. Hinzu kommen Hunderte von Fällen, in denen sich Personen direkt an die lokalen Angebote der jeweiligen Bundesländer gewandt haben.
Die auf islamistische/dschihadistische Radikalisierung ausgerichtete Präventionsarbeit ist im Vergleich zur Präventionsarbeit im Bereich Rechtsextremismus ein eher neues Themenfeld. Demzufolge ist die Arbeit der Behörden sicherlich nicht ohne Makel. Um die Arbeit dort wo notwendig zu optimieren und um Konzepte – auch im Licht neuer Herausforderungen – nachjustieren zu können, werden die verschiedenen, bundesweit umgesetzten Ansätze wissenschaftlich evaluiert.
Zudem findet ein stetiger Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren statt. Insofern muss auch für die Medien der Anspruch gelten, vorschnelle Pauschalurteile über die Arbeit der Behörden kritisch zu hinterfragen, mit der Faktenlage abzugleichen und der beständigen Selbstreflexion der Behörden über die eigene Arbeit in diesem sensiblen Arbeitsbereich Rechnung zu tragen. Der Fairness halber und im Sinne von verantwortungsvollem, wohl-informiertem Journalismus.
Hazim Fouad
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