"Muslime, geht wählen!"
Mohamed Tahi Sabri steigt die große hölzerne Minbar in der Dar Assalam Moschee hinauf und appelliert an seine 1.500 Glaubensbrüder, etwas zu tun, was für viele von ihnen anscheinend nicht selbstverständlich ist: bei der bevorstehenden Wahl in Berlin ihre Stimme abzugeben.
Die Moschee liegt in Neukölln, einem Berliner Stadtteil, in dem viele Migranten leben. Der in Tunesien geborene Imam kam vor 27 Jahren nach Deutschland. Er habe in seiner Wahlheimat zuletzt einen beunruhigenden Wandel der allgemeinen Haltung gegenüber Muslimen beobachtet: "Es gibt diese Bewegungen wie Pegida und die AfD, eine Partei, die in ihrem Parteiprogramm Muslime verunglimpft", sagt Sabri. "Wenn sie an die Macht kämen, dann würden sie Gesetze verabschieden, um Muslime auszugrenzen. Deshalb hatten wir die Idee, dass wir als Muslime etwas tun müssen, um das zu verhindern."
An die Wahl erinnern
Umfragen bestätigen einige der Befürchtungen des Imams: Wenn in Deutschland im vergangenen Monat Bundestagswahlen gewesen wären, hätte die Alternative für Deutschland (AfD) mit 14 Prozent aller Stimmen wahrscheinlich das drittbeste Ergebnis erreicht. Bei der Wahl im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern hat die AfD 20 Prozent der Stimmen bekommen.
Sabri will nicht, dass in Berlin dasselbe passiert. Deshalb startete er eine Kampagne, um gegen das anzukämpfen, was er und andere als ein weit verbreitetes "Gefühl der politischen Apathie" unter Muslimen in der deutschen Hauptstadt bezeichnen.
Sabri und sein Team haben in Stadtteilen mit einem hohen Anteil von arabischen oder deutsch-arabischen Einwohnern Plakate aufgehängt, die auf Deutsch und Arabisch daran erinnern, bei der Senatswahl am 18. September wählen zu gehen. Sabri hielt in Neukölln eine Predigt zu diesem Thema und lud außerdem zu zwei Veranstaltungen in seine Moschee ein.
Die erste war ein Informationsabend mit einem Vertreter der "Berliner Landeszentrale für Politische Bildung" (LPB), der alle praktischen Fragen beantwortete - zum Beispiel, ob man jemanden in seine Wahlkabine mitnehmen dürfe. Die zweite Veranstaltung war ein informelles Treffen mit Politikern von sechs verschiedenen Parteien, die am 18. September zur Wahl stehen, bei dem auch Fragen gestellt werden konnten. Ein Vertreter der AfD, der zunächst kommen wollte, sagte in letzter Minute ab.
Niedrige Wahlbeteiligung
Dass Sabri und andere Mitglieder der Gemeinde einen harten Kampf führen, wurde bei beiden Veranstaltungen klar, als die Gäste von den Gründen erzählten, warum sie nicht wählen gehen.
Ahmad Swayed trägt ein orangefarbenes T-Shirt, das mit dem Foto einer Wahlkabine und einem Häkchen bedruckt ist. Der 32-Jährige lebt seit 26 Jahren in Berlin - und darf nicht wählen. Er sagt, dass die Behörden sich weigerten, ihm die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen. "Ich würde gerne wählen, klar. Es ist wichtig", sagt er. "Wenn du nicht wählst, hilfst du nur den schlechten Parteien dabei, an Stimmen zu kommen."
Swayed kennt das Problem der Nicht-Wähler. Elf Jahre lang hat er in Neukölln gelebt. Der Stadtteil verzeichnet eine der niedrigsten Wahlbeteiligungen in Berlin. "Ich habe fünf Onkel. Deren Kinder sind alle deutsche Staatsbürger - und niemand von ihnen geht wählen", sagt Swayed. "Ich denke viel darüber nach, wie ich sie davon überzeugen könnte, ihre Meinung zu ändern."
Informationen der LPB weisen darauf hin, dass die Wahlbeteiligung in Bezirken mit einem hohen Anteil an Migranten niedriger ist. Im Wahlbezirk der Dar Assalam Moschee haben zum Beispiel nur rund 52 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. In einem Bezirk ein paar Straßen weiter gab es eine noch geringere Wahlbeteiligung von 49,1 Prozent.
Im Vergleich dazu haben in Stadtteilen mit weniger Migranten aus dem Nahen Osten mehr Wahlberechtigte auch wirklich gewählt: In Reinickendorf waren es 78,9 Prozent und in Steglitz-Zehlendorf 76,2 Prozent.
Soziale Lage ausschlaggebend
Reinhard Fischer von der LPB bemerkt, dass der Zusammenhang zwischen Religion, Herkunft und den Wahlgewohnheiten sehr nebensächlich ist. Tatsächlich leben beispielsweise in Steglitz-Zehlendorf nicht nur viel weniger Migranten, der Stadtteil ist auch einer der reichsten in Berlin. "Es hängt auch von der sozialen Situation der Menschen ab", sagt Fischer. "Jene, denen es finanziell besser geht, die also zum Beispiel einen Job haben, gehen eher wählen als Menschen am Rande der Gesellschaft."
Ahmed Tamim ist Verkäufer in einem Handy-Laden in Neukölln. Der 31-Jährige hat sein ganzes Leben in Deutschland verbracht. Er ist wahlberechtigt, hat sich aber wegen seiner religiösen Überzeugung dazu entschieden, nicht zu wählen. "Ich bin Muslim und es gibt einfach einen Unterschied zwischen dem Islam und der Kultur hier", sagt Tamim. "Für mich ist es nicht so wichtig, daran teilzunehmen."
Chris Cottrell
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