Das Zerstörungswerk der Dschihadisten
Zuletzt ging eine Berühmtheit in Mossul für immer verloren: Die Große Al-Nuri-Moschee aus dem 12. Jahrhundert wurde Ende Juni bei der Schlacht um die nordirakische Stadt zerstört – gesprengt von IS-Dschihadisten. Bekannt war die Moschee vor allem wegen ihres schiefen Minaretts, die ihr auch den Beinamen "Al-Hadba" ("die Bucklige") eingebracht hatte. Vor drei Jahren benutzte IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi die Moschee als Bühne, um sein "Kalifat" in den Gebieten von Syrien und dem Irak auszurufen, die seine Dschihadisten erobert hatten.
Es ist ein weiteres von vielen Denkmälern, die dem Krieg in den vergangenen Jahren zum Opfer gefallen sind. Kulturstätten gibt es in der Region viele, war sie doch einst die Wiege der Zivilisation und ist seit jeher ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen – ein Erdteil, in dem Araber und Juden, Assyrer und Jesiden, Kurden und Turkmenen friedlich nebeneinander lebten.
Was von ihren antiken Hinterlassenschaften noch übrig ist, wollen Experten nun klären. Denn jetzt, wo die Terrororganisation "Islamischer Staat" auf dem Rückzug ist, koordinieren sich Archäologen aus Syrien und dem Irak mit internationalen Fachleuten, um den Schaden zu evaluieren und "Erste-Hilfe-Maßnahmen" einzuleiten, die verhindern sollen, dass beschädigte Monumente einstürzen.
Kriegsschäden in Syrien – eine Bestandsaufnahme
Massive Schäden stellte eine erste Unesco-Mission im Januar 2017 bereits in Aleppo fest – an der Großen Umayyaden-Moschee, an der Zitadelle, den hunderte Jahre alten Madrasas, zahlreichen orientalischen Hammams, den mehr als 1.000 Jahre alten Kirchen und den Märkten, die zum Teil seit dem 13. Jahrhundert bestehen. Etwa 60 Prozent der Altstadt sei zumindest deutlich beschädigt, 30 Prozent sogar komplett zerstört, befanden die Unesco-Gutachter. Vieles davon geschah bei einem Großbrand im Jahr 2012, nachdem Rebellen den Basar mit seinen labyrinthartigen Gassen besetzten und die Kämpfe gegen Regierungstruppen sich dorthin verlagerten.
[embed:render:embedded:node:26143]Wie die Altstadt von Aleppo gehört auch Palmyra wegen des Kriegs zum bedrohten Weltkulturerbe. Die berühmte Oasenstadt war einst ein Handelszentrum auf einer wichtigen Karawanenroute. Die legendäre Königin Zenobia lebte dort, die von sich selbst gesagt haben soll, sie stamme von Kleopatra ab. Sie regierte um 270 nach Christus nach dem Tod ihres Mannes, doch ihre Machtgier wurde ihr zum Verhängnis: Als sie Rom angreifen wollte, wurde sie geschlagen und ihre Stadt verwüstet. Im 11. Jahrhundert wurde Palmyra erneut zerstört – diesmal durch ein Erdbeben.
Der deutsche Archäologe Andreas Schmidt-Colinet hat 30 Jahre in Palmyra gearbeitet. Dort werde man schon viele Jahre brauchen, um allein die Schäden zu dokumentieren, sagt er. Jeder Stein müsse vermessen und numeriert werden. Beim Tempel des Baal allein dauere das mehrere Jahre.
"Eine Ruine hat ein Recht darauf, zu sterben"
Die Ruinenstadt wurde gleich zweimal von der IS-Miliz besetzt: zwischen Mai 2015 und März 2016 und noch einmal von Dezember 2016 bis zum März dieses Jahres. Bei ihrem Einmarsch töteten die Extremisten den Direktor der Kulturstätte Khaled al-Asaad. Das römische Theater nutzten sie wenig später für Enthauptungen. Viele der wichtigsten Monumente haben IS-Kämpfer massiv beschädigt: Neben dem Baal-Tempel, den antiken Triumphbogen, das römische Theater und den rekonstruierten Tetrapylon. Gesprengt wurde auch der Baalshamin-Tempel.
Nun wird über einen Wiederaufbau Palmyras nachgedacht. Archäologe Schmidt-Colinet mahnt dabei aber: "Wie mit Palmyra umgegangen wird, müssen die Syrer selbst entscheiden." Er verweist darauf, dass schließlich auch die Dresdner Frauenkirche nicht von den Alliierten aufgebaut worden sei, sondern von den Bürgern der Stadt selbst – und das erst nach 60 Jahren.
"Eine Ruine hat ein Recht darauf, zu sterben", gibt er zugleich zu bedenken. "Eine Ruine hat das Recht, seine Geschichte zu erzählen, wie das Gesicht einer Großmutter." Vor allem aber müsse als Erstes die zerstörte Stadt Tadmur, wie Palmyra ebenfalls heißt, wieder aufgebaut werden – die Moscheen, die Krankenhäuser und die Schulen.
Auch im Irak werden derzeit die Schäden evaluiert. Dort fiel 2014 südlich der Stadt Mossul das antike Nimrud, einstige Hauptstadt des neoassyrischen Königreichs, unter die Kontrolle der IS-Extremisten. Mit Bulldozern und Vorschlaghämmern zertrümmerten die fanatischen IS-Kämpfer den Nabu-Tempel und kostbare Steinskulpturen und verbreiteten ein Video davon über die sozialen Medien. Iraks Vize-Antiquitätenminister Kais Raschid erklärte während einer Unesco-Konferenz, dass Extremisten bis zu 80 Prozent von Nimrud zerstört hätten.
Plünderungen und Schmuggel von antiken Artefakten
Auch die irakische Stadt Hatra, deren Herrscher einst wegen der Wehrhaftigkeit gegenüber Feinden "König der Araber" genannt wurde, blieb von den Dschihadisten nicht verschont. Sie verrichteten ihr Zerstörungswerk mit Bulldozern auch in dieser Stätte, die dank ihrer hohen und dicken Mauern einst sogar römischen Invasionen standhielt."Zwei Jahre lang war Hatra der Inbegriff für kulturelle Säuberungen, die den Nahen Osten bis heute plagen", sagte Unesco-Chefin Irina Bokova anlässlich der Vertreibung des IS aus der Stätte im vergangenen Jahr.
Doch nicht allein durch Zerstörung, sondern auch durch Plünderungen hat die IS-Miliz einen Schaden in unschätzbarer Höhe angerichtet. So gehen Experten davon aus, dass ein Fünftel der rund 10.000 weltbekannten Stätten in Syrien und im Irak unter Kontrolle des IS ausgeraubt wurden. Die Dschihadisten klauten antike Goldmünzen aus Idlib, Totenbüsten aus Palmyra, antike syrische Artefakte wie die berühmten Augenidole, Tafeln mit Keilschrift aus dem Irak, Amulette, Siegel und sogar Mosaiken. Die Schätze wurden aus dem Land geschmuggelt und online verkauft.
Doch manchmal geht selbst aus einem Zerstörungswerk doch wieder etwas Neues hervor: Als IS-Kämpfer im Sommer 2014 die berühmte Jonas-Moschee zerstörten, in der sich das Grab des Heiligen Jona befand, und unter den Schrein-Trümmern Tunnel gruben, brachten sie versehentlich etwas bislang Unentdecktes ans Licht. Archäologen hoffen nun, dass es sich dabei um den Palast des assyrischen Königs Asarhaddon handelt, der das neo-assyrische Reich vor etwa 2.700 Jahren regierte.
Mey Dudin
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