Im Spannungsfeld zwischen Kunst und Aktivismus

Wie verarbeiten Syriens Künstlerinnen und Künstler die Gewalt in ihrem Land seit dem Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime? Die ifa-Galerie Berlin zeigt Videos und Kurzfilme unter dem Einfluss der Revolution.

Von Charlotte Bank

Eine Gestalt erhebt sich aus einer grauen Masse am Boden, sie wächst und wächst, bis sie sich vom Boden erhebt und zu einem Himmelsgestirn wird, zuerst strahlend, bis dieser wieder untergeht. In dem Animationsvideo "A Sad Morning, Every Morning" beschreibt der syrische Künstler Kevork Mourad seine Gefühle angesichts der sich wiederholenden schlechten Nachrichten, die ihm jeden Morgen in seinem US-amerikanischen Exil erreichen.

Für den Künstler ist, wie für so viele andere Exil-Syrer die ständige Sorge um Angehörige und Freunde, die Bestürzung über zerstörte Städte und Dörfer zum festen Bestandteil des Alltags geworden, zu einem Teil der Realität, die sie auf neue Art mit ihrer Heimat verbindet.

Hatten viele Künstler und Intellektuelle ihre Heimat aus Frust über soziale und kulturelle Stagnation und fehlende Möglichkeiten verlassen, so konnten sie in den letzten 20 Monaten ihr Land neu entdecken.

Den gemischten Gefühlen, mit denen die Ereignisse in der Heimat verfolgt werden, anfangs die Erleichterung darüber, dass endlich Veränderung möglich scheint, dass die Menschen in Syrien die lähmende Angst überwunden haben, unter der sie 40 Jahre lang zur Passivität verdammt waren, und dann in zunehmenden Maße das Entsetzen über die Brutalität, mit der das Assad-Regime ihren Herrschaftsanspruch verteidigt, diesen Gefühlen verleiht "A Sad Morning, Every Morning" Ausdruck.

Die Angst überwinden

Seine Freude darüber, dass es den Menschen in Syrien gelungen ist, ihre Angst zu überwinden, bringt der syrische Oppositionelle Riad al-Turk, einer der prominentesten Kritiker des Baath-Regimes, im Film "Ibn Al-Am Online" von Mohammad Ali Atassi zum Ausdruck.

Riad al-Turk; Foto: AFP/Getty Images
Im Visier des Assad-Clans: Al-Turk hat einen hohen, persönlichen Preis für seinen Mut bezahlt, sich gegen das Regime aufzulehnen, er verbrachte 17 Jahre im Gefängnis, zuerst unter Hafiz al-Assad, dann unter dessen Sohn Baschar und lebt jetzt im Untergrund in Syrien; Foto: AFP/Getty Images

​​Al-Turk hat einen hohen, persönlichen Preis für seinen Mut bezahlt, sich gegen das Regime aufzulehnen, er verbrachte 17 Jahre im Gefängnis, zuerst unter Hafiz al-Assad, dann unter dessen Sohn Baschar und lebt jetzt im Untergrund in Syrien. Im Film, der Anfang des Jahres entstand, zu einer Zeit, als noch Hoffnung auf ein absehbares Ende des Assad-Regimes bestand, erzählt er von seiner Erleichterung über den Aufstand und den Mut der Syrer – darüber, dass nicht länger bloß vereinzelte kritische Stimmen wie die seinige zu hören sind.

Seine Stimme sei nicht mehr wichtig, jetzt soll das gesamte Volk sprechen, vor allem die jungen Menschen. Die fehlende Stellungnahme zu Gunsten des Aufstandes ist eines der Punkte, die der Filmemacher mit al-Turk lebhaft diskutiert. So wie al-Turk aus Bescheidenheit, haben andere syrische kritische Intellektuelle der älteren Generation bisher keine eindeutigen Erklärungen der Solidarität mit dem Aufstand abgegeben und sind hierfür auch scharf kritisiert worden.

Atassis Film basiert größtenteils auf einem Skype-Gespräch des in Beirut lebenden Filmemachers mit al-Turk aus dessen Versteck in Syrien. Damit rückt eines der wichtigsten technologischen Tools der syrischen Aufständischen in den Mittelpunkt. Hat Skype für die direkte Kommunikation und Koordination unter Aktivisten und Aufständischen eine herausragende Bedeutung bekommen, so nutzen seit Mitte 2011 syrische Künstler, ob aus dem Exil oder im Land selbst, in bisher nie dagewesenem Maß soziale Foren im Internet wie Facebook und YouTube, um künstlerisch zu den aktuellen Geschehnissen Stellung zu nehmen.

Die Arbeiten bewegen sich teilweise im Spannungsfeld zwischen Kunst und Aktivismus, mit dem erklärten Ziel der sozialen Mobilisierung, andere Produktionen wiederum stellen eher nachdenkliche Reflektionen dar. Und trotz der Gewalt im Land erscheint immer wieder ein Element der Hoffnung in diesen Arbeiten – eine Hoffnung, dass am Ende doch nicht die übermenschliche Brutalität des Regimes siegen wird, sondern der Wunsch der Syrer nach Freiheit und einem Leben in Würde.

Festhalten an der Hoffnung

Es scheint fast, als hätten die syrischen Künstler es sich zur Aufgabe gemacht, an dieser Hoffnung festzuhalten und sie immer wieder in Erinnerung zu rufen. So stellt Khaled Abdulwahed, ein syrischer Künstler, der wie Kevork Mourad in den USA lebt, den Ball eines Kindes in den Mittelpunkt seines kurzen Videos "Tajj". Abdulwahed ist im Sommer 2012 für kurze Zeit nach Syrien zurückgekehrt, um an einem Filmprojekt zu arbeiten, aber auch um sich selbst ein besseres Bild von der Lage im Land zu machen. Nach seiner Rückkehr hat er "Tajj" fertiggestellt – ein Film über die Fähigkeit von Kindern, auch inmitten von Ruinen und Kampfhandlungen zu spielen.

Kinder in Aleppo; Foto: AFP
Das Trauma des Krieges: Kinder sind seit Anfang des Aufstandes gegen das Assad-Regime im besonderen Maße Leidtragende der Gewalt gewesen; Foto: AFP

​​Kinder sind seit Anfang des Aufstandes im besonderen Maße Leidtragende der Gewalt gewesen. So war es die Verhaftung und Folter einer Gruppe Kinder und Jugendlicher in Deraa im Süden des Landes, die der Anlass der ersten Proteste im März 2011 waren. Und immer wieder erreichten Meldungen über Grausamkeiten gegenüber Kindern die Öffentlichkeit.

In den Filmen "His Name was Hamzeh Bakkour" von Dani Abo Louh und "The Sun's Incubator" von Ammar al-Beik sind solche Fälle von zentraler Bedeutung. Abo Louhs Arbeit nimmt Bezug auf eines der vielen Fotos getöteter Kinder, die immer wieder im Internet kursieren. Hamzeh Bakkour verlor bei einem Angriff in Homs die untere Hälfte seines Gesichtes und verblutete unter großen Schmerzen. Sein Foto wurde in Internetforen zum Sinnbild der Grausamkeit des syrischen Regimes.

Abo Louh kontrastiert das Foto des Kindes mit sich überlagernder Aufnahmen – Videos und Schnappschüsse – alltäglicher Mimik und Gestik. Trotz beharrlicher Versuche, zum Tagesgeschehen überzugehen, bleibt doch das eine Bild hängen: das Bild eines Kindes, das sein Leben in dem Bombardement des Wohnviertels Baba Amr verlor. Gleichzeitig scheint das Video die Frage aufzuwerfen, was bei der alltäglichen Bilderflut einer hoch-mediatisierten Welt noch an wirklichen Eindrücken hängen bleibt.

Ammar al-Beiks Film "The Sun's Incubator" entstand Anfang 2011 unter dem Eindruck der ägyptischen Revolution und als man in Syrien noch davon ausging, das Regime von Baschar al-Assad würde ebenso rasch fallen. Al-Beik verwebt die Geschichte einer jungen Familie mit den Demonstrationen und Protesten auf der Straße. Die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft sind eng verknüpft mit der Geburt eines Kleinkindes – Hoffnungen, die empfindlich getroffen werden durch die Bilder des zu Tode gefolterten Jungen Hamza al-Khatib.

Die junge Künstlerin Madonna Adib präsentiert mit ihrem Video "Demain l'adieu" eine ganz persönliche Liebeserklärung an ihr Land, ihre Stadt und ihren Geliebten, indem sie einen imaginierten Abschied durchspielt, der gleichzeitig zu einem Versprechen wird, nie den Kampf um Freiheit aufzugeben.

Wie Madonna Adib, leben alle erwähnten Künstler mittlerweile außerhalb Syriens. Zu schwierig sind mittlerweile die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Land geworden. Und die lange Liste getöteter, verhafteter, misshandelter und im Untergrund lebender Künstler zeigt nur allzu deutlich, dass Syriens unabhängige Kulturschaffende ein großes Risiko eingehen, wenn sie sich offen gegen das Regime stellen.

Charlotte Bank

© Qantara.de 2012

Bewegte Bilder – syrische Kurzfilme und Videos aus einer Zeit der Umbrüche (2011 – 2012), 8. November, 19:00 Uhr, ifa-Galerie Berlin

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de