Islamisten im Klassenzimmer?
Im März dieses Jahres wurde ein anonym verfasstes Dossier geleakt, in dem es um eine Verschwörung namens „Operation Trojanisches Pferd“ ging. Demnach sollen Islamisten in Birmingham, der zweitgrößten Stadt Großbritanniens, die Kontrolle über einige säkulare staatliche Schulen übernommen haben, um diese systematisch zu islamisieren. Das Dossier deutet ferner an, dass der gleiche Plan auch in den Städten Bradford und Manchester umgesetzt werden könnte.
Auch wenn sich das Dossier recht schnell als Schwindel erwies, warf es Fragen auf, die eine weitere Untersuchung notwendig machten. Im April erklärte der Stadtrat in Birmingham, dass es nach der Bekanntmachung des Dossiers geradezu überschwemmt worden sei mit Informationen über angebliche Schulübernahmen durch Islamisten und über Mobbing von Schulpersonal.
Zum Fall wurden vier Untersuchungen eingeleitet, darunter eine durch den Stadtrat von Birmingham. Zwei unterschiedliche Untersuchungen wurden an insgesamt 21 Schulen von Birmingham durchgeführt – eine durch die zuständige Schulaufsichtsbehörde, dem Amt für Bildungsstandards und Fähigkeiten von Kindern (Ofsted) sowie eine durch die Nationale Agentur für die Bildungsförderung (EFA).
Die vierte Untersuchung wird vom Bildungsministerium durchgeführt. Mit einigem Erstaunen wurde die Nachricht aufgenommen, dass der Bildungsminister Michael Gove ausgerechnet Peter Clarke zum Leiter der Untersuchung ernannte. Clarke war ehemals ein hochrangiger Beamter der Londoner Polizeibehörde und Leiter der Terrorabwehr. Die Verbindung des Falls „Trojanisches Pferd“ mit dem islamistischem Terror durch Minister Glove brachte ihm Kritik ein: Dies sei eine vorschnelle Bewertung des Sachverhalts. Schon im Juli soll Clarke einen Bericht vorlegen.
Die Verbindung zwischen dem angeblichen Extremismus an Schulen und islamistischem Terrorismus passt zur Position, die Michael Gove bereits 2006 in einem Buch kundgetan hatte.
Ein sehr öffentlicher Streit unter Ministern
Der aggressive Kurs, den Gove im Fall „Trojanisches Pferd“ an den Tag legte, führte ihn auch auf Konfrontationskurs mit der Innenministerin Theresa May. Nach einem Gespräch zwischen der britischen Times und Minister Gloves schrieb die Zeitung: „Kabinett wegen der islamistischen Verschwörung zur Übernahme von Schulen in Birmingham zerstritten“.
Der Bericht berief sich auf eine „hochrangige Quelle“ (als die sich Gove selbst erwies), nach der Michael Gove glaube, dass es tatsächlich einen Plan extremistischer Muslime gegeben habe, Schulen in Birmingham zu übernehmen und er entschlossen sei, diese „zu vertreiben“.
The Times schreibt weiter, Gove mache die „Zurückhaltung innerhalb der Regierung“ verantwortlich, „vor allem des Innenministeriums, sich dem Extremismus zu stellen, es sei denn, dieser hat bereits die Schwelle zum Terrorismus überschritten“. Dies aber sei eine Haltung, die der von Minister Gove diametral gegenüberstehe. Er glaube, „den Sumpf des Extremismus“ könne man nur durch hartes Durchgreifen trockenlegen.
Als Antwort veröffentlichte das Innenministerium auf seiner Website einen ursprünglich privaten Brief an Gove vom Mai. Darin wird sein Ministerium beschuldigt, nicht reagiert zu haben, als bereits im Jahr 2010 Besorgnis um die Schulen in Birmingham geäußert worden war.
Premierminister Cameron ärgerte sich über den Zank in seinem Kabinett und ordnete eine Untersuchung durch den Kabinettssekretär Sir Jeremy Heywood an. Gove seinerseits entschuldigte sich in Briefen an Cameron und an Charles Farr, den Anti-Terror-Beauftragten im Innenministerium.
Angst und Einschüchterung an den Schulen
Die Ergebnisse der Untersuchungen durch die Ofsted und EFA wurden am 9. Juni veröffentlicht. Sir Michael Wilshaw, Vorsitzender des Ofsted, berichtet darin, dass sich an einigen Schulen seit ihrer letzten Untersuchung eine Atmosphäre von „Angst und Einschüchterung“ breit gemacht hätte.
„Einige Schuldirektoren, darunter welche mit hervorragendem Ruf in Bezug auf die Anhebung pädagogischer Standards, haben erklärt, dass sie sich an den Rand gedrängt fühlten oder sogar aus ihrem Job gedrängt worden sind“, sagte er. Manche Lehrkräfte berichteten von einer organisierten Kampagne, die auf bestimmte Schulen abziele, um deren Charakter und ethische Ausrichtung zu verändern.
„Dem Stadtrat von Birmingham ist es nicht gelungen, einer Reihe von Schulen Unterstützung zukommen zu lassen bei deren Versuch, die Schüler vor den möglichen Gefahren durch Radikalisierung und Extremismus zu schützen“, erklärte Wilshaw weiter. In einigen Schulen würden die Kinder „schlecht vorbereitet auf das Leben im modernen Großbritannien“.
Geschlechtertrennung im Klassenraum
Zu den von Ofsted angeführten Kritikpunkten an der Park View School gehörte die Geschlechtertrennung in Klassenräumen. Zudem würden Jungen und Mädchen, die „zu freundlich“ miteinander umgingen, diszipliniert. Im Biologie-Unterricht seien die Teile im Curriculum zur Fortpflanzungslehre ausgelassen worden. Der Lehrer, der die Grundprinzipien der Evolutionslehre darlegte, sagte dazu: „Das ist nicht das, was wir glauben.“ Außerdem sei ein extremistischer Geistlicher eingeladen worden, auf einer islamischen Schulversammlung eine Rede zu halten.
Die Oldknow Academy gab £50.000 (etwa 62.000€) für drei Reisen nach Saudi-Arabien aus, um es Schülern zu ermöglichen, die heiligen Stätten in Mekka und Medina zu besuchen. Die EFA nannte das in ihrer Untersuchung einen „unangemessenen Gebrauch öffentlicher Gelder“. Nicht-Muslime und Angehörige des Lehrerkollegiums waren von diesen Reisen ausgeschlossen.
An der Nansen Primary School hat „die Schulleitung einige Fächer aus dem Stundenplan gestrichen, wie etwa Musik“. Eine Schule ließ den Ruf zum Gebet über die Schullautsprecher abspielen.
Damit verlieren die Park View und andere Schulen, die von der Aufsichtsbehörde Ofsted in die Kategorie „Besondere Maßnahmen“ eingeordnet wurden, ihre finanzielle Förderung durch den Staat. Zwei andere Schulen wurden gewarnt, dass auch sie mit einer solchen Maßnahme zu rechnen hätten, würden nicht einige angemahnte Probleme behoben werden.
Eine Reihe von Schulleitern, Lehrkräften und Aufsichtsbeamten, aber auch Schüler, Eltern und Angehörige wiesen die Ergebnisse der Ofsted-Untersuchung zurück. Man gründete eine Organisation namens „Hands off Birmingham Schools“ (Hände weg von den Schulen in Birmingham), geleitet von der ehemaligen Vorsitzenden der linksorientierten Respect-Partei und ehemaligen Stadträtin in Birmingham, Salma Yacoob.
Ofsted führt nun ähnliche Inspektionen auch in Schulen in Bradford, Luton und East London durch. Cameron hat angeordnet, dass Gove dabei auch Gebrauch von „Razzia-artigen“ Inspektionsbesuchen machen soll, damit die Schulen keine Gelegenheit bekommen, extremistische Tendenzen in ihren Mauern zu verschleiern.
Britische Werte im Kampf gegen den Extremismus
Gove sagte gegenüber Parlamentsabgeordneten, dass in Zukunft alle Schulen darauf verpflichtet werden sollten, „britische Werte zu verteidigen“. Die erste Muslima, die im Kabinett sitzt, Baroness Sayeeda Warsi, frühere Staatsministerin im Außenministerium und heutige Staatsministerin für Glaubensfragen und Gemeinschaften, warnte Gove davor, „die Dinge noch schlimmer zu machen“.
Warsi glaubt nicht, dass es zwischen dem konservativem Islam und dem islamistischem Extremismus notwendigerweise eine Verbindung gibt. „Ich habe bisher noch keinen Beweis dafür gesehen, dass Religiosität in einer Religion gleichbedeutend mit Terrorismus wäre“, sagte sie.
Cameron fordert von den Schulen, dass britische Werte unterrichtet werden. Diese Werte sind für ihn: „Freiheit, Toleranz, Respekt für den Rechtsstaat, Glaube an die persönliche wie soziale Verantwortung und Respekt für britische Institutionen“. Die Titelschlagzeile der Zeitung „Mail on Sunday“ vom 15. Juni lautete entsprechend: „Cameron fordert von den Muslimen ‚Seid britischer!’”.
Am gleichen Tag verabschiedete das Muslim Council of Britain (MCB), ein Dachverband von 500 Organisationen, auf seiner Jahrestagung eine Erklärung. Darin ist von der „Sorge über den Ton und den Tenor der Debatte um britische Werte“ die Rede.
Das MCB sagte, es gebe von seiner Seite „keine Einwände gegen britische Werte“. Man glaube „an eine tolerante, freiere und gerechtere Gesellschaft“. Aber es müsse eine „wirkliche Diskussion geben, in der wir nicht nur als Briten unter Vorbehalt angesehen werden. Es ist nicht der Islam und es sind nicht die Muslime, die einer vollen Teilhabe im Wege stehen; es ist die intensive und lautstarke Kampagne, der es darum geht, Muslime aus dem öffentlichen Raum zu drängen“.
Susannah Tarbush
© Qantara.de 2014
Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de