Wenn Migranten den Ton angeben dürften
Es ist Wahlkampf. Eine Nation spricht über die Hautfarbe der Spitzenkandidaten. Fragen der Zuwanderung und Integration stehen ganz oben auf der Agenda. Und am Ende entscheidet das Wahlverhalten von eingewanderten Personen über den Ausgang der Wahl. Ja – so war das 2012 in den USA. In der Nachanalyse zur Wiederwahl Obamas hieß es sogar: Wenn die Partei der Republikaner sich nicht bald ändert, werden sie nie mehr eine US-Wahl gewinnen. Auf Politikern wie Marco Rubio – Sohn kubanischer Einwanderer – liegen nun die Hoffnungen einer ganzen Partei.
Jetzt ist hierzulande Wahlkampf. Aber welche Rolle spielt das Thema Integration und Zuwanderung bei den hiesigen Parteien? In Deutschland leben 80 Millionen Menschen. 15 Millionen haben einen Migrationshintergrund. Und der Bundeswahlleiter hat kürzlich mitgeteilt: Rund sechs Millionen Menschen mit Migrationshintergrund werden am 22. September bei der Bundestagswahl wahlberechtigt sein. Das sind neun Prozent aller Wahlberechtigten. Und diese Wähler könnten durchaus den entscheidenden Ausschlag geben.
Klare Präferenzen
Allerdings: Die Gruppe ist insgesamt nicht sonderlich wahlfreudig – ihre Wahlbeteiligung fällt unterdurchschnittlich aus. Dies gilt gerade für Zuwanderer der ersten Generation. Und welche Partei würden sie wählen? Insbesondere die Arbeiten des Migrationsforschers Andreas Wüst zeigten schon 2010, dass sich klare Zusammenhänge zwischen den Herkunftsländern der Zuwanderer und ihren Präferenzen ergeben: Während Eingebürgerte aus der früheren Sowjetunion vor allem in Richtung der konservativen Unionsparteien tendieren, schlägt das Herz eingebürgerter Türken vor allem für die Sozialdemokraten.
Eine jüngst vorgelegte Studie des "Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration" (SVR) kommt allerdings auch zu dem Ergebnis, dass der größte Teil der Eingebürgerten keine der im Bundestag vertretenen Parteien wählen würde: Kommen die Migranten aus der EU, ist es jeder Dritte, aus Staaten außerhalb der EU jeder Vierte.
Volksvertreter mit Migrationshintergund
Ein Grund für die festgestellte Distanz vieler Zuwanderer zur deutschen Politik wird in der Tatsache gesehen, dass so wenige Menschen mit (erkennbarem) Migrationshintergrund zur Wahl stehen. Aber ist dem wirklich so? Der FDP-Vorsitzende Philipp Rösler hat vietnamesische Wurzeln, sein Pendant bei den Grünen, Cem Özdemir, türkische. Auch im Kompetenzteam von Peer Steinbrück ist mit Yasemin Karakaşoğlu eine Frau mit Migrationshintergrund vertreten. Und David McAllister, der frühere CDU-Ministerpräsident in Niedersachsen, hat eine doppelte Staatsbürgerschaft.
Eine Recherche des "Mediendienst Integration" zu Bundestagskandidaten mit Migrationshintergrund bei der Wahl 2013 kommt zu dem Ergebnis, dass mindestens - nicht alle Parteien haben geantwortet – 89 Personen mit Migrationshintergrund bei dieser Wahl antreten: Das sind nur etwa vier Prozent aller Kandidaten. Die meisten treten dabei für Parteien links der Mitte an: 23 für die Grünen, 20 für die SPD und 20 für die Linke. Ein Teil davon hat durchaus gute Erfolgsaussichten. Sollten sie es in den Bundestag schaffen, könnte sich der Trend hin zu mehr Abgeordneten in deutschen Parlamenten, die einen Migrationshintergrund haben, wohl fortsetzen.
Nicht wahlkampftauglich: Zuwanderungspolitik
Dabei hat Andreas Wüst in seinen Arbeiten zeigen können, dass sich ein Migrationshintergrund auch im parlamentarischen Handeln der Abgeordneten niederschlägt: Sie schenken Themen der Zuwanderung und Integration eindeutig mehr Beachtung. Menschen mit Migrationshintergrund wären also nicht bloß personell stärker vertreten. Auch ihre inhaltlichen Anliegen fließen in stärkerem Maße ein als bisher.
Einig in Uneinigkeit
Im gegenwärtigen Wahlkampf merkt man davon allerdings wenig. In der öffentlichen Debatte sind Zuwanderung und Integration kaum existent. Zwar finden sich in allen Programmen der Parteien einschlägige Passagen, etwa wenn von einer "Willkommenskultur" die Rede ist. Grundsätzlich herrscht über Parteigrenzen hinweg Einigkeit: Deutschland braucht Zuwanderung. Uneinigkeit herrscht über die Details, aber Details der Zuwanderungspolitik sind zu sperrig für einen Wahlkampf, der nun in seine heiße Phase kommt.
Zuwanderung und Integration werden voraussichtlich auch bis zum 22. September nicht die Hauptschlagzeilen dieses Wahlkampfs werden. Oft ist derzeit von "amerikanisierten Wahlkämpfen" die Rede. Die Politiker machen Hausbesuche, die Spitzenkandidaten treten bei Fernsehduellen gegeneinander an, der Wahlkampf wird professioneller – all das ist über den Atlantik zu uns hinüber geschwappt. Aber die Bedeutung der Themen Zuwanderung und Integration für Wahlen ist hier noch nicht angekommen – dabei findet die Amerikanisierung also nicht statt. Zumindest dieses Mal noch nicht.
Thorsten Faas
© Deutsche Welle 2013
Redaktion: Sabine Faber/DW.de
Thorsten Faas ist Politikwissenschaftler an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er leitet den Bereich "Empirische Politikforschung" am Institut für Politikwissenschaft.