Poetische Funken, geflügelte Worte
Der kurdisch-syrische Schriftsteller Salim Barakat wurde im Jahr 1951 geboren. 1973 veröffentlichte er seine erste Gedichtesammlung – unter dem Titel Jeder der kommt, soll mich preisen, und auch jeder, der geht. Barakat war damals erst 21 Jahre alt, was man auch seinem Gesicht ansah, das kindliches Erstaunen ausdrückte. Aber das unschuldige Aussehen des jungen Kurden konnte keineswegs über die Intelligenz dahinter hinwegtäuschen. Sein Buch gab der damals stagnierenden arabischen Dichterszene einen enormen Schub. Selbst der berühmte Adonis sagte über Barakat: "Dieser kurdische Junge hat den Schlüssel zur arabischen Sprache in seiner Hosentasche."
Also betrat Salim Barakat mit Anfang 20 die literarische Bühne und fiel schon damals durch eine Sprache auf, die überwältigend, unwiderstehlich und auf schamlose Weise rebellisch war. Seine Wortgewalt erzeugte und übermittelte eine Kraft, die bis dahin unbekannt war – sogar in Beirut, das während der 1970er Jahre als Hauptstadt einer neuen arabischen Modernität galt.
Die kurdischen Themen Barakats waren für seine arabischen Leser ungewohnt, und das gilt sicherlich auch für das westliche Publikum. Die Art, wie er über den Zusammenprall von Geschichte, Geografie, Erzählung und Mythen schreibt, ist für unsere Vorstellungskraft eine große Herausforderung. In ihrer Struktur und Vision lehnen sich seine Gedichte an die arabischen Klassiker an, sind also nicht völlig ohne vertraute Elemente. Aber sie sind im besten Sinne des Wortes "re-formiert". Ihre seltsam fragmentierten Sätze strahlen eine nervöse Spannung aus.
Werke, die direkt aus der Seele kommen
"Salimo" (wie Barakat oft auf Kurdisch genannt wird) ist nicht nur für seine Gedichte berühmt, sondern auch für seine Romane. Diese sind ähnlich strukturiert und führen unsere Vorstellungskraft sogar noch weiter. Man kann sie als episch bezeichnen, allerdings nicht im traditionellen Sinne. Ihre Sprache orientiert sich an der rhythmischen Melodie der Klassiker, klingt dabei aber keineswegs banal. Barakat befreit sich hier völlig von der Erwartung, normale oder gewöhnliche Ansprüche zu erfüllen, und geht keinerlei Kompromisse ein.
Barakats meisterhaft formulierte Texte zeichnen sich durch einen enormen Wortschatz aus, klingen aber trotzdem so, als kämen sie direkt aus seiner Seele. Seine Sprache scheint aus dem Herzen lang vergessener und von ihm wiederentdeckter Wörterbücher zu stammen.
Was Salim Barakat am meisten auszeichnet, ist die Art, wie er das Gewöhnliche hinter sich lässt. Damit nimmt er unter den modernen arabischen Schriftstellern eine Sonderstellung ein. Sogar der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish, ein enger Freund von Barakat, fragte ihn einmal voller Bewunderung: "Was ist die Quelle deiner Sprache? Woher nimmst du deine Vorstellungskraft?" Darwishs Gedicht The Kurd Has Nothing But the Wind (Der Kurde besitzt nichts als den Wind), das letzte Gedicht aus seiner Sammlung Don′t Apologise for What You've Done (Entschuldige dich nicht für deine Taten) handelt von Barakat.
Barakat scheint nicht nur völlig innerhalb der arabischen Sprache zu leben, sondern führt sie auch in neue Höhen: Unter seinem Stift erwacht das Land, die Mutter, die Sehnsucht. Seine Werke, in welcher Form auch immer, sind ganz von "der Hitze des Aufruhrs" erfüllt. Und so hat dieser Mann in den über 40 Jahren seines Schaffens die Seiten seiner Bücher mit den Konflikten der Sinne erfüllt – mit den Schlachten und Kämpfen der Steine, Pflanzen, Tiere, Leidenschaften und Planetenbahnen.
Barakats 46 Werke umfassen 21 Gedichtesammlungen, zwei Memoiren über seine Kindheit und Jugend, eine Zusammenstellung von Essays, ein Lehrbuch und 22 Romane. Sein Stil nimmt nicht nur in der arabischen Literatur eine Sonderstellung ein, sondern auch in der zeitgenössischen Weltliteratur der letzten 50 Jahre.
Arabisch – seine einzige Heimat
Barakat wurde in der nordsyrischen Stadt Kamishli geboren. Danach lebte er in Damaskus, Beirut, Nikosia und schließlich in Stockholm. Auf diesem langen Weg war die arabische Sprache seine eigentliche Heimat, die er immer mit sich genommen hat – der einzige Teil seiner Heimat, der ihn nie verlassen hat. Ich erinnere mich noch gut daran, als sein Roman Les Plumes (Die Federn) ins Spanische übersetzt wurde. Die Einführung wurde damals von dem großen spanischen Schriftsteller und Übersetzer Juan Goytisolo verfasst. Er schrieb über den Eindruck, den Barakats literarische Experimente auf ihn machten:
Wie bei Lezama Lima ist auch Salim Barakats Prosa immer wieder ein Geschenk erfrischender Erfindungen, inspirierender Bilder, unerwarteter Wendungen, poetischer Funken und geflügelter Worte. Eine gewaltige Mischung aus Traum und Wirklichkeit, aus Legende und bitterer Historie. Sie gehorcht weder den Gesetzen der Zeit noch denen des Raumes.
Ein authentisches Festmahl
Weiter schreibt Goytisolo: "Der Text bewegt sich innerhalb einer Art visionärer Geografie, zwischen flüchtigen und veränderlichen Monumenten: Tausendmal erscheint Kurdistan im Traum, als Gegenpol zum Leben in Zypern. Die Kindheit vermischt sich mit der Welt der Erwachsenen, das Reale mit dem Fantastischen. Mem, die Hauptfigur des Romans, wird verwandelt: mal in einen Vogel, mal in einen Schakal. Er spricht sowohl mit den Menschen als auch mit den Tieren. Barakat lässt seiner Gestaltung freien Lauf und überschreitet dabei die Grenzen der Plausibilität."
Und weiter: "Auch wenn manche es nicht glauben werden: Barakats Erfindungs- und Gestaltungreichtum muss sich weder hinter Faulkner noch hinter Garcia Marquez verstecken. In seinem Werk finden wir endlose Schichten von Mythen, Legenden, Chroniken vergangener und gegenwärtiger Tragödien. Und unter der Oberfläche all dessen liegt die melancholische Geschichte der Stadt, in der er geboren wurde."*
Zum Schluss schreibt Goytisolo noch: "Für uns, die wir es lieben, alle großen Romane zu lesen und immer wieder zu lesen, ist Les Plumes ein wahres Festmahl. Man kann es mit einer eigenen Tier- oder Pflanzenart vergleichen, die vom Aussterben bedroht ist."
Angesichts dieser Einführung und Barakats unglaublicher literarischer Produktivität müssen wir uns daran erinnern, dass er inzwischen sein 65 Lebensjahr erreicht hat. Die letzten fast 20 Jahre seines Lebens verbrachte er außerhalb von Stockholm in den einsamen schwedischen Wäldern von Skogas. Aber trotz dieser Isolation haben Barakats Werke ihren Weg ins Schwedische, Spanische, Katalanische, Französische, Kurdische und Türkische gefunden.
Umso trauriger ist es, dass von einer literarischen Stimme, die nicht nur in Arabien, sondern in der ganzen Welt einmalig ist, momentan kein einziges komplettes Werk ins Englische übersetzt wurde – weder seine Gedichte, noch seine Autobiografie oder seine Romane.
Barakat befindet sich dabei in guter Gesellschaft: Erinnern wir uns nur an die Schwierigkeiten, die James Joyce, Marcel Proust, Faulkner oder Marquez hatten, ihre Werke in anderen Sprachen zu veröffentlichen.
Aber trotzdem muss es für die Leser der englischen Sprache – immerhin der meistgesprochenen der Welt – extrem frustrierend sein, dass ihnen die literarischen Werke von Salim Barakat vorenthalten wurden. Die Liebhaber arabischer Literatur und literarischer Experimente aus aller Welt hätten es eigentlich besser verdient.
Müssen wir wirklich darauf warten, dass Salim Barakat den Nobelpreis bekommt, bevor seine Werke ins Englische übersetzt werden?
Mahmoud Hosny
© Qantara.de 2017
Aus dem Englischen von Harald Eckhoff
*Dieser Abschnitt wurde von Andre Naffis-Sahely für eine Rezension im Banipal-Magazin ins Englische übersetzt.