Wenn Wasser zu Wein wird
Das neoklassizistisch anmutende "Taybeh Golden Hotel" mit seinen eleganten Glasfassaden könnte sich wohl ohne weiteres auch in das Stadtbild von London oder Paris einfügen. In dem verschlafenen Dorf Taybeh in der Westbank sticht es allerdings geradezu hervor – es ist fast unmöglich die hell erleuchtete, mit Kerzenleuchtern eingekleidete Lobby des Hotels zu übersehen.
Das kleine Dorf Taybeh ist mit ungefähr 1.400 Einwohnern die letzte übrig gebliebene christliche Enklave in der Westbank. Die unscheinbare Ortschaft liegt in den besetzten palästinensischen Gebieten, rund 20 Kilometer nördlich von Jerusalem entfernt. Aus dem Dorf ein touristisches Reiseziel zu machen, schien lange Zeit ein unerreichbarer Traum zu sein. Dennoch hat ihn eine Familie aus Taybeh wahr gemacht.
Kurz nach dem Oslo-Abkommen war der in Boston lebende Nadim Khoury in seine Heimat Taybeh zurückgekehrt. Er begann sich das vorteilhafte Klima und die vorübergehende Stabilität des Landes zunutze zu machen und eröffnete eine Brauerei, die dem Dorf schon bald darauf großes Ansehen verleihen sollte: Seit 2005 lockt das alljährliche Oktoberfest tausende Besucher in die Gegend.
Im letzten November eröffnete Khoury die "erste Boutique-Weinkellerei Palästinas" und machte wenig später seinen 23-jährigen Sohn, den Harvard-Absolventen Canaan Khoury, zum Geschäftsführer des Unternehmens. Ende Februar 2015 lud die Khoury-Familie im Untergeschoss des Hotels zum ersten Weinfestival in Taybeh ein.
"Jede Familie in Taybeh stellt ihre eigenen, hausgemachten Weine her", berichtet Nadim Khoury. "Jesus verwandelte Wasser in Wein – und wir sind Christen. Eine Weinkellerei zu eröffnen, war die logische Folge in der Entwicklung des Unternehmens", scherzt er.
Illustre Gesellschaft
Im Vergleich zu dem sehr stimmungsvoll anmutenden Bierfestival nimmt sich das Taybeh-Weinfest recht bescheiden aus. Nichtsdestotrotz zog das Festival auch in diesem Jahr zahlreiche Besucher in den neuen Weinkeller. Das Publikum bildete eine illustre Gesellschaft aus Botschaftern, wohlhabenden Unternehmern, Chucks-tragenden Ausländern und jungen Palästinensern, die sich auch für gewöhnlich in diesen Kreisen tummeln.
"Ich bin hierher gekommen, weil ich ständige Besucherin des Bierfestivals bin. Für mich ist es so etwas wie eine Tradition geworden", erzählt die 30-jährige Ayat Said, die aus einer muslimischen Familie stammt.
Das Taybeh-Weinfest ist noch immer ein reines Familienunternehmen. Doch am Eifer, das Projekt noch weiter auszubauen, fehlt es den Khourys nicht. Trotz der vielen Erschwernisse, in einem Gebiet tätig zu sein, das wirtschaftlich von Israel abhängig ist, halten die Khourys an ihrem ehrgeizigen Ziel fest, mit ihrem Unternehmen weiter zu expandieren.
Tourismus im Schatten des Gaza-Konflikts
"Der Konflikt in Gaza hatte natürlich auch einen negativen Einfluss auf den Tourismus in der Westbank, weil die Menschen grundsätzlich Angst haben, in die Palästinensergebiete und nach Israel zu kommen. Es gab schon viele Absagen, obwohl hier niemals Fälle von Gewalt gegen Touristen vorgekommen sind", meint George Rishmawi, Geschäftsführer der palästinensischen NGO "Masar Ibrahim al Khalil".
Außerdem ist die palästinensische Wirtschaft stark auf ausländische Hilfe angewiesen. Pro Kopf gerechnet zählen die Palästinenser zu den größten Empfängern internationaler Entwicklungshilfe. Ein Viertel der palästinensischen Bevölkerung lebt in Armut, rund 40 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. "Wir leisten auf unsere Art wirtschaftlichen Widerstand, indem wir versuchen, unabhängig und nachhaltig zu wirtschaften", sagt Canaan Khoury.
Die Trauben, aus denen der Wein gewonnen wird, werden von einheimischen Bauern und im eigenen Weingarten der Familie angebaut. "Die Bauern sind die einzigen, die internationale Rebsorten anbieten. Einige von ihnen verkaufen sie auch an israelische Weingüter. In diesem Jahr waren sie froh, dass sie die Trauben verkaufen konnten, ohne dabei einen Checkpoint passieren zu müssen", fügt er hinzu. "Natürlich ist die Besatzung der Hauptgrund dafür, dass wir unser Unternehmen derzeit nicht weiter ausbauen können."
Erschwerend kommt hinzu, dass das Dorf nur einmal in der Woche Wasser erhält. Canaan Khoury gibt zu bedenken, dass Bier zu einem großen Teil aus Wasser hergestellt wird. "Ohne Wasser können wir hier nichts mehr brauen. Hinzu kommt, dass vor Kurzem auch noch die Elektrizität vorübergehend abgestellt wollte."
Da die Palästinensische Autonomiehörde der Westbank 430 Millionen Euro schuldete, fiel der Strom dort bereits zweimal aus. Die Oslo-Abkommen und das 1994 unterzeichnete Pariser Protokoll sehen vor, dass die Autonomiebehörde Elektrizität aus Israel einkauft. Das Pariser Protokoll legt nach wie vor die Rahmenbedingungen für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Autonomiebehörde und Israel fest – und dies, obwohl im Jahr 2012 eine neue Vereinbarung unterzeichnet wurde. Demnach ist die palästinensische Wirtschaft in großen Teilen von der israelischen abhängig. Israel hat die vollständige Kontrolle über die Außengrenzen und erhebt Import- und Mehrwertsteuer. Letztere wird der Autonomiebehörde erst später überwiesen. Im Laufe der Jahre hat die israelische Regierung wiederholt Steuerzahlungen einbehalten, um die palästinensische Regierung politisch unter Druck zu setzen.
Eigeninitiative und Nachhaltigkeit als Schlüssel zum Erfolg
Doch trotz der vielen Hürden halten die Khourys an ihrem Erfolgskonzept unbeirrt fest. "Der Schlüssel für den erfolgreichen Aufbau des palästinensischen Staates liegt in der Gründung von nachhaltigen Unternehmen und Arbeitsstellen", argumentiert Nadim Khoury. "Und das bietet allen Beteiligten viele Vorteile. Wir müssen auch die Palästinenser in der Diaspora dazu ermuntern, zurückzukommen und beim Aufbau Palästinas mitzuwirken."
Viele stehen Nadim Khourys Ansichten zu ökonomischer Nachhaltigkeit und wirtschaftlichem Aufschwung unter den gegenwärtigen Umständen jedoch skeptisch gegenüber. Jedes Unternehmen ist in den gegenwärtig besetzten Gebieten bis zu einem gewissen Grad von den Beziehungen zu Israel abhängig.
Und im Augenblick zumindest scheint es tatsächlich so, als ob die Einwohner Taybehs für ein palästinensisches Wirtschaftswunder noch etwas mehr tun zu müssten, als Wasser in Wein zu verwandeln.
Ylenia Gostoli
© Qantara.de 2015
Übersetzt aus dem Englischen von Julis Koch