Die Sprache meiner Gedichte lebt
Als der junge Maysara El-Din Ende der 1990er Jahre die ersten Gehversuche als Dichter machte, schwankte er kurz: Sollte er auf Hocharabisch schreiben? Oder lieber auf Ägyptisch? Zunächst probierte er es auf Hocharabisch. Doch schon bald entschied er sich endgültig dafür, seine Gedichte nur noch auf Ägyptisch zu verfassen. Inzwischen gibt es drei Gedichtbände und zwei lyrische Dramen von ihm. Er ist davon überzeugt, dass Ägyptisch als eigene Sprache gelten kann, mit bestimmten grammatischen Regeln und eigener Terminologie. Vor allem sei Ägyptisch, seiner Ansicht nach, eine lebendige Sprache, die sich stets weiterentwickle.
Der junge Dichter weiß sehr wohl, dass das Ägyptische auf das Hocharabische zurückgeht. Doch die Unterschiede sind, seiner Meinung nach, inzwischen sehr groß. Außerdem könne man das Ägyptische noch einmal in verschiedene Dialekte unterteilen, je nachdem, ob der Sprecher aus Kairo, Alexandria, Assuan oder Qina kommt. Diese Dialekte unterscheiden sich zwar geringfügig voneinander, aber nicht so sehr, dass dadurch Verständigungsschwierigkeiten entstünden, sagt Maysara Salah El-Din.
Am wichtigsten ist für Maysara Salah El-Din die Lebendigkeit des Ägyptischen: Er sei ja unmittelbar bei der Entwicklung der Sprache dabei, die täglich neue Strukturen und Ausdrücke hervorbringe. Man könne die Lebendigkeit des Ägyptischen förmlich spüren.
Die Lebendigkeit des Ägyptischen bestehe auch darin, dass die Leute im Alltag Ägyptisch miteinander reden, auf der Straße, zu Hause, bei der Arbeit, in den Medien: "Ich spreche nun mal kein Hocharabisch mit meinen Mitmenschen, genauso wenig wie ich Englisch mit ihnen spreche. Meine Alltagssprache ist Ägyptisch. Warum sollte ich also nicht auf Ägyptisch schreiben?"
Maysara Salah El-Din hat zwar die meiste Zeit seines Lebens in Alexandria verbracht und wohnt auch momentan dort. Trotzdem achtet er beim Schreiben stets darauf, dass das von ihm verwendete Ägyptisch nach Möglichkeit keine überzogenen lokalen Besonderheitenlichkeiten aufweist, sondern in ganz Ägypten verstanden wird.
Eine Art "Intellektuellen-Ägyptisch"
Man könne diese Sprache, so Maysara Salah El-Din, auch "Intellektuellen-Ägyptisch" nennen, eine Sprache der Dichter, die seit den 1960er Jahren kontinuierlich weiter entwickelt worden sei, insbesondere vom Dichter Fouad Kaoud (1963 – 2006).
Maysara Salah El-Din verfasst seit über zehn Jahren Gedichte. Sein erster Gedichtband mit dem Titel "Ich bin ein Liebender, kein Kämpfer" erschien 2002 bei der "Organisation für Wissenschaft, Kunst und Literatur" in Alexandria. Sein dritter Gedichtband "Geheimziffern", der 2010 im Sefsafa-Verlag erschienen ist, erhielt einen Preis von der ägyptischen Kulturorganisation GOCP (General Organisation for Cultural Palaces).
Als 2011 die Revolution ausbrach, war Maysara Salah El-Din von Anfang an mit Begeisterung dabei. Jeder Erfolg stimmte ihn euphorisch. Jeder Rückschlag betrübte ihn zutiefst. Natürlich, sagt er, sei all das nicht spurlos an seiner Arbeit als Dichter vorüber gegangen: Im Zuge der Revolution habe er gegenüber dem ägyptischen Volk und seinem Heimatland ganz neu empfunden. Und als sich nach der Revolution die Lage auf der politischen Bühne zuspitzte, habe er gespürt, dass die traditionellen Ausdrucksmittel der Lyrik bald nicht mehr ausreichen würden, um über die Geschehnisse zu schreiben.
Lyrik als skandierte Sprechchöre
Maysara Salah El-Din erinnert sich noch gut an die schweren Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten in der Mohamed-Mahmoud-Straße in Kairo im November 2011, die zahlreiche Opfer forderten. Beim Versuch, ein Gedicht darüber zu schreiben, merkte Maysara Salah El-Din, dass alles, was er zu Papier brachte, wie skandierte Sprechchöre klingen würde.
Da war ihm klar, dass er mehr schreiben müsse, als nur ein Gedicht, und dass es einer anderen Form bedürfe, um die Komplexität und das hohe Maß an Aggression rund um die Vorfälle besser erfassen zu können.
Schließlich habe er sich für die Form des lyrischen Dramas entschieden.Auf diese Art entstand das Stück "Die Rose", das Maysara Salah El-Din ebenfalls auf Ägyptisch verfasste und das 2012 bei der ägyptischen Kulturorganisation GOCP erschien. 2013 wurde dann in der staatlichen ägyptischen Theaterzeitschrift Maysara Salah El-Dins zweites Stück aš-šarḫ (was auf Hocharabisch "Blüte der Jugend" bedeuten kann, auf Äygptisch aber durchaus auch "Riss") veröffentlicht.
Unter dem Eindruck, den die Vorfälle während der Revolution bei ihm hinterlassen haben, verfasste Maysara Salah El-Din jedoch nicht nur zwei lyrische Dramen, sondern er iniziierte auch ein Kunstprojekt mit dem Titel "Zaglutter" – vermutlich eine Wörtschöpfung aus den Worten zagal ("Volksdichtung", häufig als wortgefechtartige Wechselgedichte) und "Twitter" – bei dem sich der Dichter von den einfach strukturierten und rhythmisch eingängigen ägyptischen Zagal-Gedichten inspirieren ließ.
Die Volksdichtung soll den Leuten ihr Vertrauen zurückgeben
Das Muster von "Zaglutter" ist einfach: Ein kurzer Text berichtet in Reimen von einer Persönlichkeit, die einen wichtigen Beitrag in der Geschichte Ägyptens geleistet hat. Zu jedem Text ist außerdem eine Zeichnung vom Gesicht der jeweiligen Persönlichkeit abgebildet. Die Idee zu diesem Projekt kam Maysara Salah El-Din, als er feststellen musste, dass die Leute allmählich den Mut, den Glauben an sich selbst und an das ägyptische Volk verloren, weil die erwünschten Erfolge der Revolution ausblieben. Um seine Mitbürger wieder etwas aufzubauen, wollte der Dichter ihnen zeigen, wozu andere Ägypter vor ihnen schon fähig waren.
Die Sprache der Volksdichtung erschien ihm dabei als ideale Form, weil sie, wie er sagt, leicht verständlich sei, und man auf diese Weise die breite Masse am besten erreichen könne. Im Laufe eines Jahres hat Maysara Salah El-Din bereits von etwa 20 Persönlichkeiten kleine skizzenhafte Texte im Stile der Volksdichtung verfasst.
Dabei hat er sich zunächst auf ganz bestimmte Themenbereiche festgelegt, wie zum Beispiel Wissenschaft, Kunst oder Sport. Dann wählte er angesehene Persönlichkeiten aus der jüngeren ägyptischen Geschichte aus, die auf dem jeweiligen Gebiet Außerordentliches geleistet haben. Anschließend ging er gezielt auf die Suche nach Einzelheiten über diese Persönlichkeiten, nach markanten Stationen ihres Lebens und Wirkens. Die einzelnen Punkte fasste er schließlich zu einem kleinen Text mit Volksgedichtcharakter zusammen, so dass ein dichterisches Gesamtbild entstehen konnte, das über die jeweilige Persönlichkeit Auskunft gibt.
Außer für die lyrischen Dramen und das "Zaglutter"-Projekt nahm sich Maysara Salah El-Din aber trotzdem noch ausreichend Zeit, um seiner eigentlichen künstlerischen Tätigkeit nachzugehen, nämlich dem Verfassen von Gedichten. Er hofft, dass seine zukünftigen Gedichte noch besser werden als die, die er bisher schon geschrieben hat.
Mohamed El-Baaly
© Goethe Institut 2014
Übersetzung aus dem Arabischen von Andreas Bünger
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Maysara Salah El-Din, geboren 1979 in Alexandria, ist ein Lyriker und Dramatiker, der auf Ägyptisch schreibt. Bislang hat er drei Gedichtbände verfasst: "Ich bin ein Liebender, kein Kämpfer", erschienen 2002 bei der "Organisation für Wissenschaft, Kunst und Literatur" in Alexandria; "Verlegenheitsfenster", erschienen 2005 beim ägyptischen Schriftstellerverband; "Geheimziffern", erschienen 2010 im Sefsafa-Verlag. Daneben gibt es von ihm ein lyrisches Drama mit dem Titel "Die Rose", das 2012 bei der ägyptischen Kulturorganisation GOCP erschienen ist. 2013 wurde dann in der staatlichen ägyptischen Theaterzeitschrift Maysara Salah el-Dins zweites Stück "der Riss" veröffentlicht.