Die Friedensmacher
Der Irak ist ein gespaltenes, von Gewalt geprägtes Land. Eine politische Lösung scheint in weiter Ferne zu liegen. Am UN-Weltfriedenstag am 21. September findet in Bagdad der City of Peace Carnival statt – ein Großevent, das laut den Organisatoren im Jahr 2015 rund 15.000 Besucher und 23.000 im vergangenen Jahr anzog.
Über 500 Freiwillige machten das Fest 2016 möglich. Zu den Besuchern zählen Menschen aller Generationen und Ethnien. Das Fest wird live im Fernsehen und im Radio übertragen. Es gibt Musik- und Tanzaufführungen, Spielplätze für die Kinder, Kunsthandwerksstände und Diskussionsrunden. Organisiert wird es von hunderten Jugendlichen, die über viele Monate hinweg auf dieses Ziel hinarbeiten. "Vor allem für junge Leute ist der Friedenskarneval ein Zeichen der Hoffnung", erzählt einer der Organisatoren, Qayssar Alwardii.
Geboren wurde die Idee für den Karneval, als eine Gruppe junger Aktivisten vor einigen Jahren den Namen ihrer Stadt in die Bildersuche des Browsers Google eingab: Sie fanden nur Bilder von Krieg und Zerstörung. Daraufhin beschlossen sie, neue Bilder von ihrer Stadt zu kreieren – und gründeten 2011 den Baghdad City of Peace Carnival. Der erste Karneval fand auf einer kleinen Bühne im Al-Zora-Park statt. Junge Bands spielten traditionelle irakische Musik, und Jugendliche verkauften an kleinen Ständen selbstgemachtes Kunsthandwerk. 30 Freiwillige hatten die Drei-Stunden-Veranstaltung organisiert, die rund 300 Besucher anzog.
Eine bessere Gesellschaft für die nächsten Generationen
"Viele sagen, es sei verrückt, in der aktuellen Situation den Frieden zu feiern. Welcher Friede, sagen sie." Doch Alwardii und seine Mitstreiter wollen sich diese Freiheit nicht nehmen lassen. Für sie geht der Begriff Friede weit über die Abwesenheit von Waffengewalt hinaus. Friede sei ein Leben mit grundlegenden Rechten, mit Meinungs- und Bewegungsfreiheit und mit einem friedlichen Umgang miteinander, meint Alwardii. Dazu soll das Fest beitragen: "Unser Traum ist, dass der Karneval die Stadt Bagdad zu einem besseren Ort macht und eine bessere Gesellschaft für die nächsten Generationen schafft."
Besonders wichtig ist dabei nicht nur das Event an sich, sondern auch die vielen Monate der Vorbereitung, in denen hunderte von Jugendlichen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Gemeinsam wollen sie ihre Gesellschaft verbessern und das Zusammenleben friedlicher gestalten. Das beginnt im Kleinen – in der Zusammenarbeit der Freiwilligen – und reicht bis hin zu aktivem sozialen Engagement.
"Die Treffen der Freiwilligen stärken den sozialen Zusammenhalt, was für unsere Gesellschaft sehr wichtig ist", erklärt Alwardii. "Im Irak gibt es viele Ressentiments zwischen den Menschen unterschiedlicher Ethnien, Herkunft und Sprache. Wir bringen den Jugendlichen bei, sich gegenseitig zu respektieren."
So gehören die Treffen der Freiwilligen zu den wenigen Situationen im Leben der Jugendlichen, in denen Mädchen und Jungen gleichberechtigt zusammenkommen. Das Medienteam, das Alwardii dieses Jahr geleitet hat, bestand sogar genau zur Hälfte aus Mädchen und Jungen. Damit die Eltern das erlauben, müssen die Freiwilligen viel Überzeugungsarbeit leisten. "Bei den ersten Treffen kommen die Eltern oft mit, weil sie sich Sorgen machen", berichtet Alwardii. "Wir sprechen dann mit ihnen und glücklicherweise können wir die meisten davon überzeugen, ihre Kinder bei uns mitmachen zu lassen."
Für eine neue Kultur der Verantwortung
Wichtig ist den Veranstaltern außerdem, eine neue Kultur der Verantwortung aufzubauen. "Im Irak halten Leute gerne an ihren Posten fest – egal ob in der Wirtschaft oder Politik", erzählt Alwardii. Beim Friedenskarneval soll das anders sein: Jedes Jahr wechseln hier die Zuständigkeiten und das Organisationsteam wird komplett ausgewechselt. Wer einmal im Koordinatorenteam gearbeitet hat, darf im nächsten Jahr nur noch beratend zur Seite stehen. "Die Jugendlichen sollen sehen, wie gut es ist, wenn die Verantwortlichen wechseln. So ist es nach ein paar Jahren eine gänzlich neue Generation, die den Karneval organisiert."
Durch den Karneval ist auch eine Reihe von Jugendgruppen entstanden, die das ganze Jahr über aktiv sind. Dazu gehören kleine Vereine sowie Bands und Breakdance-Kollektive. Es haben sich aber auch Aktionsgruppen gegründet, die sich gesellschaftlich engagieren. So gründeten beispielsweise Medizinstudenten eine Gruppe, die sich für ein besseres öffentliches Gesundheitswesen einsetzt.
Die Freiwilligen des Karnevals sind so zu einer starken Stimme der Zivilgesellschaft geworden, und sie nutzen den Karneval, um auf gesellschaftliche Themen aufmerksam zu machen. Er steht jedes Jahr unter einem anderen Motto: Als 2014 immer mehr Menschen vor ISIS flüchteten und aus den Bürgerkriegsgebieten und Nachbarländern nach Bagdad kamen, lautete es "Frieden beginnt mit Rechten für die Vertriebenen". "Weil die Gesellschaft und die Politik sich nicht um die Vertriebenen gekümmert haben, wollten wir als Jugendliche helfen", erzählt Alwardii. Während der Vorbereitungen auf den Karneval suchten sie Sponsoren und sammelten Geld für Flüchtlinge.
Diversität ist die Lösung
2015 führten sie das Thema fort: Unter dem Slogan "Der Frieden beginnt mit unserer Vielfalt" setzten sie sich für ein friedliches Miteinander ein. "Wir wollten die Menschen überzeugen, dass Diversität die Lösung ist, nicht das Problem. Wir leben doch schon seit Jahrzehnten in einer durchmischten Gesellschaft. Das wahre Problem ist vielmehr, wie wir so viel mehr Menschen in ein und derselben Stadt unterbringen können."
2016 war das Motto "Jugendliche sind die zukünftigen Führer". Dabei ging es darum, die Sicht der jungen Leute in Bezug auf die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Förderung von Entwicklung herauszustellen. Die junge Generation müsse eine unaufhaltsame, einzigartige Kraft haben, findet Alwardii.
Mittlerweile kann der City of Peace Carnival sogar auf die Unterstützung der Regierung zählen: Das Ministerium für Jugend und Sport bot den Jugendlichen 2014 ganz offiziell seine Unterstützung an. Dabei hatte die Politik jeder Art von Jugendbewegung zunächst skeptisch gegenübergestanden, wie Alwardii berichtet: „Sie hatten Angst, weil Jugendproteste in Ländern wie Ägypten und Tunesien den arabischen Frühling ausgelöst haben. Aber wir haben ihnen gezeigt, dass wir nicht protestieren wollen – wir nehmen die Dinge einfach selbst in die Hand.“
Finanziert wird der City of Peace Carnival seit einigen Jahren nicht mehr nur von kleinen Nichtregierungsorganisationen, sondern auch von einigen privaten Sponsoren wie einem großen Telekommunikationsunternehmen und einem bekannten Restaurant. Dennoch wird er weiterhin ausschließlich von Freiwilligen organisiert.
Eva-Maria Verfürth & Qayssar Alwardii
© Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 2017