Revolution in der Warteschleife
Vor zwei Jahren ging die Jugend Jemens auf die Straßen und protestierte gegen einen Präsidenten, der über 30 Jahre an der Macht war. Sie protestierte gegen die grassierende Korruption, die anhaltende Armut – der Jemen ist nach wie vor das ärmste arabische Land –, und für mehr Arbeitsplätze.
Doch seitdem scheint das Land in einem Wartezustand zu verharren. Auch wenn man noch nicht von einer Resignation der Protestbewegung von 2011 sprechen kann, so geht doch vielen Aktivisten der demokratische Übergangsprozess viel zu langsam. Denn genau vor einem Jahr wurde Abd Rabbo Mansour Hadi, Salehs langjähriger Vize, zum Präsidenten gewählt. Er sollte, so sah es die Initiative des Golfkooperationsrates (GCC) vor, das Land aus der Krise und in eine demokratische Zukunft führen.
Saleh als starker Mann hinter den Kulissen
Kritiker sehen in Hadis Reformwillen immerhin die bessere Alternative zu Saleh. Sie werfen ihm dennoch Machtlosigkeit vor. Hadi habe zwar befohlen, die Armee zu reformieren und Salehs Verwandte von wichtigen militärischen Posten zu verbannen, sagt Friedensnobelpreisträger Tawakkul Karman, dennoch sind diese Reformen unzureichend.
Der eigentliche starke Mann im Jemen sei immer noch der Ex-Diktator Saleh, sagte die 34-jährige jemenitische Aktivistin kürzlich in einem Interview mit der österreichischen Zeitung Die Presse.
Nach wie vor verfügt Saleh über viel Geld und Einfluss im Jemen und ist immer noch Vorsitzender der Regierungspartei. Eigentlich hat er vor einem Jahr die Macht an Hadi übergeben, doch praktisch zieht er die Fäden des Staates immer noch im Hintergrund.
Zum Bespiel wird er die Parteimitglieder benennen, die an dem Nationalen Dialog teilnehmen sollen – dem Gremium, das nach dem Übergangsplan der Golfstaaten im nächsten Monat zusammenkommen wird, um einen Verfassungsentwurf zu erarbeiten und die allgemeinen Wahlen in 2014 vorzubereiten. Diesen großen Einfluss Salehs auf die Zusammenstellung des Nationalen Dialogs deuten viele als Zeichen der immer noch starken Präsenz des gestürzten Präsidenten.
Dabei ist es gerade diese Übermacht des Saleh-Clans, gegen die die meist jungen jemenitischen Demonstranten vor zwei Jahren auf die Straßen gingen und dafür zum Teil auch mit ihrem Leben zahlen mussten. Zwar blieb dem Land durch die GCC-Initiative ein möglicher blutiger Bürgerkrieg erspart, dennoch gewährte sie dem Ex-Präsidenten Immunität vor juristischer Verfolgung.
Die jungen Menschen wollen gegenwärtig abwarten, wie der Übergangsplan in die Wirklichkeit umgesetzt wird. Vierzig junge Menschen aus der Protestbewegung werden am Nationalen Dialog teilnehmen.
Bisher stehen keine Namen fest. Doch Raghda Gamal, eine junge Bloggerin und Dichterin, ist vorsichtig optimistisch. Die 27-jährige Aktivistin hat 2011 an den Demonstrationen in Sana'a teilgenommen und sieht die Protestbewegung der Jugend in einer Phase, in der sie sich mit dem Fahrplan der GCC-Initiative einrichten müssen.
Befürchtungen, die jungen Rebellen könnten in diesem schleppenden politischen Prozess um ihre Revolution betrogen werden, hat sie trotzdem nicht: "Sollten sich die Verantwortlichen einen Fehler leisten, dann würden wir erneut auf die Straße gehen und für einen modernen Jemen protestieren."
"Es war so, als hätten wir einen König gestürzt"
Eine positive Bilanz zieht auch Abdulrahman Jaber. Der junge Fotograf und Webdesigner aus Sana'a ist sich bewusst, dass "vieles noch im Argen liegt und dass die Situation nicht optimal ist", aber alleine die Tatsache, dass es der Protestbewegung gelungen ist, den Langzeit-Diktator zu stürzen, sieht Jaber als riesigen Erfolg der jemenitischen Revolution an.
"Es war so, als hätten wir einen König gestürzt. Denn der Jemen wurde von Saleh wie ein Königreich beherrscht, und sogar schlimmer." Doch auch er sieht keinen Grund zur Euphorie. Nach wie vor stehe das Land vor großen Herausforderungen: Korruption, Armut, Jugendarbeitslosigkeit, Terrorismusgefahr und separatistische Tendenzen, die das Land auseinander zu reißen drohen. "Wir sind auf die Straße gegangen, um gegen all das zu protestieren, aber noch ist es zu früh, über Erfolg und Misserfolg der Revolution zu urteilen."
Der 34-jährige Unternehmer und Fotograf Jaber kommt durch seine Arbeit in Sana'a mit vielen gut ausgebildeten, jungen Jemeniten in Kontakt. Einige von ihnen, so sagt er, seien frustriert, wenn sie zum Beispiel den Jemen mit Ägypten vergleichen. Denn im nordafrikanischen Land scheint der demokratische Übergangsprozess viel weiter zu sein als im Jemen.
"Ich bin aber der Meinung", so Jaber weiter, "die Lage im Jemen ist ganz anders. Wir müssen jetzt zunächst einmal schauen, welche Früchte der Nationale Dialog tragen wird, und ob der Wahltermin in 2014 eingehalten wird." Die meisten jungen Menschen in seinem Umfeld seien optimistisch, auch wenn die politische Zukunft des Landes noch ungewiss ist.
Steiniger Weg zur Demokratie
Ein Jahr ist Jemens Interimpräsident schon im Amt. Jetzt scheint er den Ernst der Lage erkannt zu haben und setzte den Termin für den Nationalen Dialogs für den 18. März. Für ihn ist das die einzige Möglichkeit, den politischen Stillstand zu beenden, in dem das Land seit einiger Zeit verharrt.
Die Versammlung sollte ursprünglich im vergangenen November stattfinden. Der vorgesehene Termin scheiterte jedoch am Widerstand der nach mehr Autonomie strebenden Unabhängigkeitsbewegung im Süden.
Auf dem Weg zur Demokratie steht dem Jemen noch ein komplizierter und langwieriger Prozess bevor. Trotz der vielen Widrigkeiten, Rückschläge und Verspätungen hat die Jugendrevolution für die junge Aktivistin Raghda Gamal klar gewonnen.
Den jungen Menschen könne zwei Jahre nach der Ausbruch ihrer Proteste niemand mehr etwas vormachen: "Wir kennen jetzt unsere Rechte. Die Zeit des Schweigens ist vorbei."
Nader Alsarras
© Qantara.de 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de