"Der Gezi Park hat mich inspiriert"
Ihre Komposition "Tableaux Vivants d'une Résistance" ("Lebendige Bilder eines Widerstands") feierte am 23. September beim Beethovenfest Premiere. Was war das Besondere an dieser Komposition?
Tolga Yayalar: Es ist ein 16-minütiges orchestrales Werk für 80 Instrumentalisten. Ursprünglich war die Idee, Klangmaterial zu verwenden, das ich 2013 in Istanbul bei den Gezi Park-Protesten gesammelt habe. Ich habe auch einige subtile Metaphern davon genutzt, aber dann hat sich die Sache verselbständigt und ihre eigene Gestalt angenommen. Da ich das Stück für ein Jugendorchester komponiert habe und junge Leute die Hauptakteure der Widerstandsbewegung waren, möchte ich die Musik all den jungen Menschen im Orchester widmen.
Haben Sie beim Komponieren Geräusche und Lärm in Musik verwandelt?
Yayalar: Mich hat die phonische Erfahrung der Straßenaktion motiviert, die ganzen Stimmen. Es war eine einzigartige Erfahrung. Man hört die Leute laufen und rufen, man hört, wie die Polizei sie angreift und Gaskanister auf die Erde aufschlagen; das ist wirklich etwas Einmaliges. Diese Erlebnisse wollte ich mit klassischen Instrumenten in Musik umwandeln, und dabei sind auch geräuschvolle Passagen entstanden.
Die Entstehung des Werks ist also politisch motiviert – und wie lautet Ihre persönliche Botschaft?
Yayalar: Für mich ist der Protest nicht in erster Linie ein Protest gegen die Regierung, sondern eine Willenserklärung aller sozialen und kulturellen Segmente der Gesellschaft, die ihre Rechte beansprucht und ihre Freiheit von jeglicher Form eines autoritären Regimes einfordert. Diese Forderung unterstütze ich mit aller Kraft. Daher wollte ich ein Stück komponieren, das inhaltlich und konzeptionell von Bedeutung ist.
Glauben Sie, dass Musik Protestbewegungen unterstützen kann?
Yayalar: Auf jeden Fall. Ich kann nur nicht abschätzen, in welchem Umfang sie eine Bewegung fördert. Aber meiner Meinung nach sollte man seine Forderungen mit allen Mitteln zum Ausdruck bringen, und eines davon ist eben die Musik. Sie schafft Bewusstsein und klärt die Leute darüber auf, was vor sich geht.
Basiert Ihr Werk auf globaler zeitgenössischer Musik oder gibt es auch türkische Elemente?
Yayalar: Ich bin Türke, ich lebe in der Türkei, und insofern ist das Werk natürlich auch türkisch geprägt, das ist unvermeidbar. Folklore sucht man vergeblich darin, aber im Kern findet man das Türkische. Es soll ja auch da sein – nur eben nicht so offenkundig.
Sie kommen ursprünglich aus der Rock- und Jazzszene und haben dann zur zeitgenössischen klassischen Musik gewechselt. Schlagen Sie zwischen diesen unterschiedlichen Genres in Ihren Kompositionen eine Brücke?
Yayalar: Das ist eine schwere Frage. Ich habe zuerst Rock'n Roll gespielt und dann Jazz, und natürlich gewinnt man dadurch eine andere Perspektive. Ich glaube, davon profitiere ich heute. Meine Musik gewinnt dadurch, dass ich nie eine Ausbildung zum klassischen Musiker gemacht habe. Aber beim Unterricht merke ich ganz klar, dass ich da ein Manko ausgleichen muss. Allerdings kommen heutzutage viele Leute mit dem unterschiedlichsten Hintergrund zur Klassik, daher ist die Unterscheidung nicht mehr so gravierend.
Zeitgenössische Musik ist oft nur sehr schwer zu verstehen. Sie hat ein eher elitäres Publikum. Glauben Sie, dass junge Musiker in der Lage sind, Ihr Stück mit der ganzen emotionalen Bandbreite aufzuführen?
Yayalar: Ich habe über die Jahre einen ganz eigenen Stil entwickelt, den ich nicht allzu sehr abändern möchte. Aber natürlich ist da ein Jugendorchester am Start, das technisch und psychologisch an seine Grenzen stößt; insofern musste ich meine Haltung etwas überdenken. Ich habe alles recht simpel gehalten, und das Thema meiner Musik war wohl überlegt. Ich dachte mir, es sei bedeutungsvoll für sie – etwas, das sie nachvollziehen können. Das Stück ist physisch sehr präsent: Es gibt viele Gesten und viel Lärm, und es ist fast so, als ob man auf die Straße geht und überall hört man Bang! Bang! So etwas von älteren Musikern einzufordern, wäre wohl bedeutend schwerer. Aber junge Musiker sind voller Energie und Neugier.
Das Interview führte Adelheid Feilcke.
© Deutsche Welle 2014
Die Werke des preisgekrönten Komponisten Tolga Yayalar aus Istanbul, Jahrgang 1973, wurden schon von bekannten Orchestern aus Europa, den USA und Südamerika aufgeführt. Bevor er sich der Kompositionsarbeit zuwandte, spielte er elektrische Gitarre in Rock- und Jazzbands. Sein neues Werk "Tableaux Vivants d'une Résistance", eine Auftragskomposition der Deutschen Welle, feierte am 23. September beim Beethovenfest Bonn Premiere.