Botschafter des Friedens
Begonnen hat alles vor fünf Jahren in der lebhaftesten Einkaufsstraße Istanbuls: Genauer gesagt auf den Kopfsteinpflastern, über die täglich wohl rund zwei Millionen Menschen flanieren, vor den Geschäften an denen mehrmals stündlich die historische rote Bimmelbahn vorbeirattert, die zum Symbol des Stadtteils Beyoğlu geworden ist.
Auf der Unabhängigkeitstrasse, der İstiklal Caddesi, in der sich seit einigen Jahren kurdische Lautenspieler neben Hang spielende Rastafaris, amerikanische Popsongs covernde Gitarrenspieler neben Didgeridoo und Santur vereinende Newage-Hippies reihen und seit einigen Monaten syrische Oudspieler ihr Können unter Beweis stellen.
Damals, erzählt Michal, die Frontfrau von "Light in Babylon", hätten sie und Julien sich getroffen und das "ungeheure musikalische Potential, das uns Istanbul als multikulturelle Stadt bot" entdeckt. Sie hätten sich auf die Suche nach anderen Musikern gemacht und seien auf Metehan gestoßen, der für sich alleine auf der İstiklal Santur spielte – ein Seiteninstrument, bei dem die auf ein Holzbrett gespannten Saiten mit Klöppeln geschlagen werden.
Die drei trafen und verstanden sich – musikalisch. Denn alle sprechen unterschiedliche Sprachen. Die Sängerin Michal Elia Kamal ist Israelin mit iranischen Wurzeln, der Gitarrist Julien Demarque ist Franzose und Metehan Çiftçi stammt aus der Türkei. "Light in Babylon" war geboren.
Wehmütiger orientalischer Sound
Mittlerweile schreibt die Band, die als Cover-Trio begann, ihre eigene Musik. Längst spielt sie nicht mehr nur auf der Straße, sondern tritt auf internationalen Festivals in ganz Europa auf und kooperiert mit anderen internationalen Künstlern. Ihre häufig wehmütigen Lieder, getragen von der starken Singstimme der zierlichen Sängerin mit langen schwarzen Haaren, handeln von Liebe und Sehnsucht, Heimat und Suche. Die Musik ist sehr rhythmisch, klingt durch das Santur orientalisch und zieht besonders durch die fesselnde Stimme der Sängerin die Hörer in ihren Bann.
Der Name, den die Band gewählt hat, soll ihre Eindrücke reflektieren, die sie während ihrer Erfahrungen auf der Straße gewonnen haben: "Unsere erste Bühne war die Straße", erzählt Michal. "Die Menschen laufen nach Hause, gehen zur Arbeit oder kehren von ihr zurück – niemand schaut, niemand lacht. Doch sobald man Musik macht, halten die Leute an, hören zu, lachen, weinen, tanzen und reden miteinander." Babylon, so Michal, sei die Bezeichnung eines Systems, das uns zwinge, in eine bestimmte Richtung zu schauen.
Außerdem habe der Geschichte nach der babylonische Turm die Kulturen voneinander getrennt und die Menschen gezwungen, verschiedene Sprachen zu sprechen. "Unsere Bandmitglieder stammen aus verschiedenen Regionen und sprechen unterschiedliche Sprachen, aber dennoch haben wir eine gemeinsame Kultur und Sprache, nämlich die Musik", sagt Michal.
Obwohl die gemeinsame musikalische Karriere der drei jungen Leute auf der İstiklal Caddesi in Istanbul begann, lehnen sie den Begriff "Straßenband" ab, wie Michal erläutert. "Ja, wir haben auf der İstiklal gespielt und tun das immer noch, aber wir gehören nicht der Straße. Wir sind Musiker, die ihre Musik an einem öffentlichen Ort mit anderen Menschen teilen wollen. Das bedeutet aber nicht, dass die Straße uns als Band oder unsere Musik definiert." Vielmehr seien es die unterschiedliche Herkunft der Gruppenmitglieder, ihre jeweiligen Erfahrungen und Erinnerungen und die Orte, an denen sie auftreten, die ihre Musik prägten.
Hunger nach Musik
Musiker, die auf Einkaufsstraßen ihr Können unter Beweis stellen, sind in der Türkei ein Phänomen, das erst in den letzten Jahren vermehrt in Erscheinung getreten ist. Doch sei die Reaktionen der Passanten auf ihre Musik durchweg positiv gewesen, erzählt Michal, deren ganzer Körper beim Singen zu einem Instrument zu werden scheint und die sich bei manchen Stücken auf dem Tamburin begleitet.
Der Hunger der Menschen nach Musik und Kunst sei regelrecht zu spüren. Besonders der nach Musik im öffentlichen Raum. "Wir haben gesehen, dass es in der Türkei eine starke öffentliche Kultur gibt. Die Leute sind gerne draußen, frei und unabhängig. Sie treffen sich, essen, hören Musik und tanzen."
Dabei fließt die Energie und das tägliche Treiben der Millionenmetropole in die Melodie und den Rhythmus mit ein, und es scheint, als wären der Lärm der Straße und das aufgeregte Treiben der Passanten ein Teil der Musik, der ihren Puls beschleunigt. Istanbul prägt den Charakter der Musik von "Light in Babylon" und auch das Schaffen der Musiker, wie Michal erzählt.
In Istanbul fänden sich eine Mischung von Menschen und Musikrichtungen wie vielleicht nirgends sonst auf der Welt. Doch es gäbe ein großes Aber: "In einer solch großen Stadt zu leben, hat seinen Preis. Die zunehmende Umweltbelastung zum Beispiel. Die Stadt ist wie eine große Maschine, die dich hineinzieht, ohne dass du es merkst und die dein Gehirn, und wichtiger noch, deine Seele beeinflusst."
Für den Frieden im Nahen Osten
In Istanbul zu leben habe ihr gelehrt, wie wichtig es sei, einen Baum neben seinem Haus zu haben, sonst fehle einem die Lebensqualität. "In unserer Musik schlägt sich all das nieder: Menschen, die Stadt, die Natur", so die Musikerin.
Tatsächlich handeln Michals hebräische Texte von Meeren die überquert und Kontinenten, die erreicht werden wollen, von der Liebe, die hinter dem Meereshorizont gefunden wird wie in dem Lied Wind. Von der Flucht und dem Ruf des Meeres in Der Weg zum Meer. Und dazwischen immer wieder Istanbul, das mit seinen vollen Straßen und Menschen mit müden Blicken vor Angst zittert in dem Lied Istanbul.
Dabei sind die Gruppenmitglieder sensibel für die gegenwärtige politische Situation in der Türkei und im Nahen Osten. So findet sich in ihrem Twitter-Account die Botschaft "Frieden im Nahen Osten". Musik zu machen bedeute für die Gruppe, das Beste aus dem Geschenk zu machen, das man Leben nennt, so Michal, die betont, dass ihre Fans aus der ganzen Welt stammen: aus Pakistan, dem Iran, Israel, Palästina, den USA, Europa, Indien und Pakistan.
"Wenn die Menschen unsere Musik hören, dann denken sie nicht an den einen oder anderen Politiker oder an eine bestimmte Regierung. Da gibt es etwas, was tiefer geht. Wir leben im Nahen Osten und an diesem wundervollen Ort haben wir Mitgefühl mit dem großen Leid, das viele Menschen zu erdulden haben. Mit unsere Musik senden wir Botschaften und Gebete des Friedens."
Ceyda Nurtsch
© Qantara.de 2014
Die Weltmusik-Band "Light in Babylon" wird im Rahmen des diesjährigen 1. Gezi-Soul-Festivals am 18.09. in Köln auftreten.