Die Kokosnuss zwischen den Schultern
Indonesien besteht aus nahezu 18.000 Inseln. Darauf leben 200 Millionen Menschen, die 200 verschiedene Sprachen sprechen. Von diesen sind rund 91 Prozent Muslime. Einer von ihnen ist der Dichter Agus R. Sarjono. Im Südostpazifik gehört er zu den bekanntesten Literaturschaffenden der Gegenwart. In Deutschland beginnt man eben erst, ihn wahrzunehmen.
Übrig blieben bleichende Menschenknochen
In seinen auf Deutsch erschienenen Gedichten beschreibt Sarjono den Südsee-Traum Indonesien als „ein Land der Illusionen“, wo eine menschenverachtende Minderheit unter Aufrechterhaltung einer Scheindemokratie regiert und das Land unter sich auf Kosten seiner Bewohner aufteilt. Diese Diktatur, „die riesige Behörde“, errichtete „einen Damm aus Indoktrination, Zeremonien und Bajonetten. Der Staudamm brach und es ergoss sich eine Flut aus Tränen und Blut, und die Menschen wuschen ihr Gedächtnis in diesem Teich und ersetzten aus Angst ihre Köpfe durch Kokosnüsse.“
Was übrig blieb, sind bleichende Menschenknochen, die von Touristen besichtigt werden können, „das Resultat wunderbarer Politik, einer Vielzahl von Lügen, Wahnsinn, vermischt mit Rache und der Verzweiflung der Massen.“ Daher auch der Titel des Gedichtbandes: „Frische Knochen aus Banyuwangi“. Den literarischen Erfolg in Deutschland verdankt der 41 jährige aus Jakarta dem Berliner Lyriker Martin Jankowski. Beide lernten sich auf einem Literaturfestival an der Spree kennen, bei der Jankowski die Autorenpatenschaft für den Theaterwissenschaftler und Journalisten übernahm.
Die Freundschaft, die zwischen den beiden Schriftstellern entstand, eröffnete ihnen auch den Zugang zu einem Publikum der jeweils fremden Kultur. Jankowski unterstützte die Veröffentlichung von Sarjonos Gedichten hierzulande und ging mit ihm im letzten Jahr in Deutschland, Belgien und den Niederlanden auf Tournee. Im Gegenzug wird Sarjono jetzt Jankowski in Indonesien bekannt machen.
Profis im interkulturellen Dialog
Sarjonos Gedichte sind, obwohl sie einem völlig anderen Kulturkreis entstammen, für den Europäer schön zu lesen. Vielleicht liegt das daran, dass Indonesien ein multiethnisches Land ist, in dem 200 Sprachen gesprochen werden und jeder Indonesier also ein Profi im interkulturellen Dialog sein muss. „In Indonesien geschieht nichts isoliert“, sagt Sarjono“, sondern immer in Verbindung mit einer anderen Kultur.“ Sarjono weiß, wie man mit Bildern und kontrastreicher Sprache alle Sinne anspricht, Träume und Traumata der traurigen Tropen spannend veranschaulicht und den Mensch als Mensch und nicht als Kulturprodukt beschreibt.
Er sieht in Europa „in der Substanz die gleiche menschliche Kultur“, wenn auch unterschiedlich in „technischen Details.“ Warum soll man ihn also nicht verstehen. Sarjono ist ein Künstler mit politischem Anspruch. Jahrelang hat er gegen die Diktatur in seiner tropischen Heimat gekämpft. „Wenn etwas schief lief, schob Suharto es für gewöhnlich auf die Kommunisten. Die meisten Kommunisten Indonesiens ließ Suharto jedoch umbringen.
Als alle echten oder vermeintlichen Kommunisten ausgerottet waren, war eben der Islam an allem Schuld... Für mich ist literarisches Schreiben ein Versuch, gegen allzu simples Denken anzugehen. Dieses „die“ Amerikaner, „die Moslems, „die“ Islamisten usw. – dagegen schreibe ich an, gegen diesen immer fehlgehenden Versuch, den Menschen zu einer abstrakten Größe zu machen und ihn irgendwie zu definieren.“
Religion als rettende Instanz
Sarjono schätzt seine Religion, doch zeigt sich das nur dem aufmerksamen Leser seiner Texte. Der Islam kam im 13. Jahrhundert durch persische und arabische Kaufleute nach Indonesien und setzte sich schnell durch. „In unserer Vergangenheit spielte Religion eine große Rolle für unsere Literatur, nicht nur der Islam, sondern auch der Hinduismus, Buddhismus, Javanische Naturreligion und so weiter. Heute hat religiöses Denken nur noch geringen Einfluss auf die Gegenwartsliteratur.“ Die Probleme der ehemaligen holländischen Kolonie haben für Sarjono nichts mit dem Islam zu tun und „westliche und islamische Denk- und Schreibweise vermischen sich bei uns mit unserer eigenen.“
Die verstärkte Hinwendung zur Religion einiger indonesischer Intellektueller in jüngster Vergangenheit erklärt er mit der „Unmöglichkeit des Kampfes gegen ein ganzes Staatsregime“ und aufkommender „Skepsis gegenüber der Modernisierung der Gesellschaft… Der Dichter in Einsamkeit suchte nach einer rettenden Instanz.“ Am 20.8. lesen Jankowski und Sarjono gemeinsam in Jakarta. Sarjono wird Gedichte vortragen, die seine Eindrücke, die er in Europa sammelte, wiedergeben, Jankowski liest aus seinem Lyrikzyklus „Indonesisches Sekundenbuch“ (nähere Informationen unter www.goethe.de/so/jak/depkonf.htm#V2 ).
Lennart Lehmann
© Qantara.de 2003