Von "AbuUsamah" an "SexyBunny2"
"Sucht euch neutrale Nicknames aus oder benutzt reale Namen von Ungläubigen", mahnt das Online-Magazin die Dschihad-Anhänger. Das sei unauffälliger als arabische Kampfnamen. Daran müssten sich jedoch alle Beteiligten halten. Wer als SexyBunny94 mit einem AbuUsamah007 verschlüsselte Daten austausche, wecke nur das Interesse der Geheimdienste. Das Magazin "Kybernetiq" will tatsächliche und eingebildete Mudschahedin in Datenverschlüsselung schulen.
Das Heft ist zwar nicht die erste Hochglanz-Schrift auf Deutsch für Kampfeswillige. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wertet es jedoch als "erste umfangreiche deutschsprachige Publikation an die dschihadistische Szene, mit der gezielt technisches Wissen vermittelt wird."
Was sichere Kommunikation für den Dschihad bedeute, zeigen die Macher von "Kybernetiq" schon auf dem Coverbild. Dort halten Finger einen USB-Stick neben eine Gewehrkugel. "Metadaten können töten", warnen die Verfasser im Heft. So könnten die Geheimdienste über diese Daten unter anderem Aufenthaltsorte von Beteiligten ermitteln. Um das zu verhindern, folgen seitenlange Anleitungen für den Gebrauch von Verschlüsselungs-Software.
Solche Hinweise und die passenden Programme zum Download sind nicht neu in der Islamisten-Szene. Bereits 2007 bot die "Globale Islamische Medienfront", die dem Terrornetzwerk Al-Qaida verbunden ist, das Verschlüsselungsprogramm "Asrar al-Mujahideen" an. Das englischsprachige Magazin von Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP), "Inspire", stellte 2010 das Update dafür vor. Im gleichen Magazin stand zuvor schon die Anleitung "Stelle eine Bombe in der Küche deiner Mutter her". Mit "Dabiq" hat auch der sogenannte "Islamische Staat" (IS) eine aufwendige Zeitschrift auf Englisch. Von "Dabiq" sind auch schon deutsche Ausgaben erschienen.
Islamisten-Software meiden
"Kybernetiq" rät, die Finger von den Programmen zu lassen, die Al-Qaida empfohlen hatte. Wer auf solche Software zurückgreife, mache sich unnötig verdächtig. Auch biete die Verschlüsselung zu viele Angriffspunkte. Geeigneter seien allgemein zugängliche Programme zum anonymen Surfen. Was dann präsentiert wird, dürfte sich allerdings in vielen allgemeinen IT-Zeitschriften auch finden. Anleitungen zum Bombenbau oder Vorschläge für blutige Anschlagsszenarien gibt es auf den 15 Seiten nicht.
Wer das Heft entworfen hat, ist unklar. Der Internet-Sicherheitsexperte Pierluigi Paganini rechnet es auf seiner Website "Security Affairs" dem IS zu. Doch dafür findet sich kein Hinweis in dem Magazin. Über Twitter betonten die Macher, dass sie nicht der IS seien. Zu wem sie stattdessen gehören, ließen sie offen.
Laut bayerischem Verfassungsschutz gibt es Anhaltspunkte dafür, dass einer der Verantwortlichen aus dem dschihadistisch-salafistischen Spektrum stamme und früher in Bayern lebte. Dieser Experte für Verschlüsselungstechnik soll vor einiger Zeit in das syrisch-irakische Kampfgebiet ausgereist sein.
SciFi-Erzählung zur Endschlacht
Vage Hinweise gibt der Prolog zu einer Science-Fiction-Erzählung am Ende des Magazins. Darin wird von einer apokalyptischen Schlacht in Nahost phantasiert, an deren Ende die Mudschahedin der "Vereinigten Islamischen Emirate Scham" den Sieg davontragen. Eine solche Organisation ist nicht bekannt. "Scham" ist die arabische Bezeichnung für die historische Region Syrien. Darauf bezog sich auch der IS, der sich vor der Ausrufung seines Kalifats "Islamischer Staat im Irak und in Syrien" (ISIS) nannte. Bei einer Sympathie für den IS hätte der Autor an dieser Stelle vermutlich das Kalifat anstelle von Emiraten erwähnt.
Der Verfasser dieser Kurzgeschichte, "die Muslimen weltweit Motivation und Denkanstöße vermitteln soll", sieht den schiitischen Iran noch stärker in der Rolle des ewigen Feindes als Israel oder die Nato. Das reflektiert die Weltsicht vieler sunnitisch-salafistischer Extremisten in Nahost. Allerdings fehlen in dem Magazin die bei Salafisten allgegenwärtigen Zitate aus dem Koran oder der frühislamischen Tradition.
Kein Salafisten-Slang
Auch der unter deutschen Salafisten übliche Sprachgebrauch, für bestimmte Begriffe jeweils die arabischen Ausdrücke zu benutzen, kommt kaum vor. Nur in einem Bildelement werden einzelne Schlagworte in Form einer Programmiersprache dargestellt. Die "Kuffar" (Ungläubigen) sollen demnach geteilt und die Muslime zum Dschihad bewegt werden. Im Jenseits werde schließlich die Seele in einen grünen Vogel transformiert. Das spielt auf Überlieferungen an, wonach die Seelen der Märtyrer als Vögel ins Paradies kommen. Ansonsten geht es vor allem um Technik, weniger um Religion.
Andere Islamisten und Dschihad-Anhänger leiten dagegen ihre Verschlüsselungstipps mit religiösen Formeln ein. So bekommt der Surfer auf der Website der "Globalen Islamischen Medienfront" erst die Worte eines Scheichs zu lesen, bevor er darunter ein bestimmtes Programm herunterladen kann.
Dass Software und Tricks nicht reichen, um jegliche konspirative Kommunikation vor den Sicherheitsbehörden abzuschirmen, wissen auch die "Kybernetiq"-Verfassser. Deshalb raten sie gerade beim Informationsaustausch über Handys ganz altmodisch: "Solche Sachen sollten immer vor Ort auf einen Zettel notiert und schnellstens verbrannt werden."
Andreas Gorzewski
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