Ein muslimischer Think Tank gegen Extremismus
Wie kann man islamischen Extremisten das Wasser abgraben? Diese Frage bewegt derzeit sämtliche Sicherheitsbehörden in Europa. Die Angst vor neuen Anschlägen, wie sie Madrid und London vor einigen Jahren erlebt haben, ist groß. Allein in England hat der Inlandsnachrichtendienst MI-5 nach eigenen Angaben ungefähr 2.000 Personen im Visier, die bereit seien, einen Terroranschlag auf englischem Boden zu verüben.
Auch aus Deutschland sollen sich etwa zwei Dutzend islamische Extremisten nach Pakistan abgesetzt haben, wo sie von al-Qaida-nahen Organisationen auf den Dschihad vorbereitet werden sollen.
Neuorientierung im Umgang mit den Islamisten
Wie also soll man den islamischen Extremisten in Europa ideologisch begegnen? Am besten mit Islamisten, die entweder ausgestiegen sind oder sich eindeutig gegen den Dschihad aussprechen. So lautet jedenfalls die Erkenntnis vieler Sicherheitsbehörden. Auch hier spielt England eine Vorreiterrolle.
So gründete sich im Mai die so genannte "Quilliam-Foundation", ein anti-islamistischer Think-Tank, gegründet von ehemaligen Mitgliedern der Hizb ut-Tahrir. In Deutschland ist die Hizb ut-Tahrir wegen antisemitischer Hetze, die sie vor einigen Jahren verbreitete, verboten. Maajid Nawaz, einer der Gründer der "Quilliam-Foundation", ist ausgestiegen, weil er keine Zukunft mehr in einer Organisation sah, die keine Widerrede zugelassen habe. Er ist heute ein Verfechter des säkularen Rechtsstaates.
Pionierarbeit im "Krieg der Ideen"
Die "Quilliam-Foundation", das lässt sich schon jetzt angesichts der intellektuellen Brillanz ihrer Gründer sagen, wird Pionierarbeit im so genannten "Krieg der Ideen" leisten. Dieser Begriff erscheint abgedroschen.
Er eignet sich dennoch, um zu illustrieren, worum es hier geht und warum die "Quilliam-Foundation" mit Sicherheit mehr Erfolg haben wird als Institutionen, die mit amerikanischem Geld ins Leben gerufen wurden, um Muslime vom vermeintlichen Altruismus der USA zu überzeugen (wie etwa der arabischsprachige Fernsehsender al-Hurra).
Denn das amerikanische Konzept des "War of Ideas" leidet unter einem Geburtsfehler: PR-Strategen der US-Regierung wollen uns ernsthaft glauben machen, es gehe bei diesem Krieg allein um die Wahrnehmung der Muslime, nicht um die Realität. Die amerikanische Nahostpolitik sei fair und ausgewogen, man müsse das nur besser kommunizieren, und schon würde sich die Wut der Muslime und speziell der Araber verflüchtigen.
Jeder halbwegs neutrale Beobachter wird zugeben müssen, dass die amerikanische Nahostpolitik seit 40 Jahren einseitig pro-israelisch ausgerichtet ist – aus für Deutsche nachvollziehbaren Gründen – und unter Präsident George W. Bush ihren Höhepunkt erreicht hat. Auch der Sturz Saddam Husseins war kein Akt der Nächstenliebe, und das Resultat – Chaos und täglicher Terror – geht vielen Muslime nahe, manche treibt es in den Extremismus.
Demütigung und Ausgrenzung
Maajid Nawaz kennt dieses Gefühl der Ohnmacht. Als Teenager erfuhr er hautnah, was Rassismus bedeutet. Er hatte weiße Freunde, die von rechtsextremen Vigilanten abgestochen wurden, nur weil sie sich mit einem "Paki" eingelassen hatten. "Paki" entspricht in etwa dem in Deutschland gebräuchlichen Schimpfwort "Kanake".
Doch es war der Krieg in Bosnien, das Massaker an Tausenden muslimischen Frauen und Kindern, der Maajid Nawaz letztlich in den Islamismus trieb. Bei der Hizb ut-Tahrir lernte er, sich nicht als Brite zweiter Klasse, sondern als Muslim erster Klasse zu fühlen, als Mitglied einer weltweiten Gemeinde, die miteinander leidet unter der Grausamkeit des bösartigen Westens, die aber Gott auf ihrer Seite hat, sich wehrt und am Ende siegen wird.
Ed Husains Rückzug vom radikalen Islam
Ed Husain, der andere intellektuelle Motor hinter der "Quilliam-Foundation", antwortete auf die Frage, was er an der extremen Form des Islams so attraktiv fand, mit sechs Adjektiven: elitär, exklusiv, sinnstiftend, widersprechend, bevormundend, konfrontativ. Heute greift Ed Husain die Hizb ut-Tahrir für ihre Weltverschwörungsszenarien an, die keine Grautöne zuließen, sondern nur Gut und Böse kannten. Ja, es stimme, dass die westliche Nahostpolitik zur Radikalisierung beigetragen habe, ebenso wie die ständig präsente Diskriminierung von Bürgern mit dunkler Hautfarbe.
Aber wenn es beides nicht gäbe, würden sich die islamistischen Rattenfänger andere Themen raussuchen, um junge Muslime aufzustacheln: "So lange wir Muslime nicht zugeben, dass wir ein ernsthaftes Extremismus-Problem haben, können wir nichts dagegen tun." Auf der Website der "Quilliam-Foundation" findet sich ein Audio-File von einer Debatte zwischen Ed Husain und Ayaan Hirsi Ali. Die beiden sind sich in vielem einig, etwa in ihrer Forderung nach muslimischer Selbstkritik. In einem Punkt unterscheiden sie sich jedoch fundamental: nämlich in ihrer Einstellung zum Islam.
Polarisierung statt Selbstkritik
Ayaan Hirsi Ali hat ihren Glauben verlassen, sie greift ihn scharf an, schreckt auch nicht vor Beleidigungen zurück. Das ist ihr gutes Recht. Gehört wird sie deswegen jedoch nur von einem weißen Publikum, das sich in seiner Abneigung gegen den Islam bestätigt sieht.
Ayaan Hirsi Ali rührt damit in einer Wunde, die viele gläubige Muslime mit sich herumtragen: Wie muss es sich anfühlen, tagtäglich gesagt zu bekommen, die eigene Religion sei reaktionär, gewalttätig und abstoßend?
Viele Menschen in Europa scheinen den Islam mittlerweile nur noch als Krankheit zu betrachten, Muslime mithin als Patienten, die geheilt werden müssen. Das ist demütigend. Deswegen ist Ayaan Hirsi Ali Teil des Problems, sie wird auf muslimischer Seite keine selbstkritischen Debatten auslösen können, sondern nur Abwehrreaktionen hervorrufen. Anders Ed Husain. Auf die Frage, warum der Islam in Zeiten der Gottlosigkeit so unverwüstlich sei, antwortete er: "Als Muslim finde ich spirituellen Trost, wenn ich Koranrezitationen höre, ich fühle Wärme in der Gegenwart muslimischer Heiliger.
In einem säkularen Land, das keine Vorbilder kennt und keinen Sinn für Wahrheit, verschafft der Islam den meisten Gläubigen Gemütsruhe und bietet ihnen einen moralischen Kompass. Islam ist eine Erfahrung, ein Geschmack, ein Aroma." Das ist nicht nur eine Aufforderung an alle Islamisten, ihren Gesetzes-fixierten Glauben zu überdenken, sondern auch eine Aufforderung an alle Nicht-Muslime, die spirituelle Kraft des Islams anzuerkennen, die sie nie in der Lage sein werden, selbst zu spüren.
Albrecht Metzger
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