Eine neue Eskalationsstufe?
Fast drei Wochen nachdem Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Bahrain und Ägypten eine Blockade Qatars ausgerufen haben, erreichte das Golfemirat ein Ultimatum. Die Unterzeichner-Staaten, mittlerweile unterstützt durch weitere arabische und afrikanische Alliierte, haben am letzten Freitag eine Liste von 13 Forderungen an Qatar vorgelegt.
Die Nachbarn fordern von Qatar u.a. die Beendigung diplomatischer und militärischer Beziehungen zum Iran, die Entfernung der im Bau befindlichen türkischen Militärbasis, die Beendigung der Unterstützung "terroristischer, konfessionalistischer und ideologischer Gruppen" (genannt sind die Muslimbruderschaft, Hizbollah, IS, Al-Qaida und die frühere Al-Nusra-Front) und die Schließung von Al-Jazeera und anderen Medien, die von Qatar finanziert werden sollen, wie etwa Middle East Eye.
Verlangt wird zudem eine stärkere Ausrichtung an der Politik der anderen Golfstaaten, v.a. in Bezug auf gegenseitige Unterstützung im Kampf gegen interne politische Opposition. Abgeschlossen wird die Liste mit Reparationsforderungen und einem Überwachungsmechanismus für die Einhaltung der Forderungen. Das Ultimatum sieht 10 Tage vor, ansonsten wird die Liste ungültig.
Sanktionsmechanismen wurden nicht formuliert, eine Konfrontation nach Ablauf des Stichdatums ist aber wahrscheinlich. Der Staatsminister für Außenpolitik der VAE, Anwar Gargash, hat allerdings in diesem Falle von einer "Scheidung" statt einer Eskalation gesprochen. Qatar hat sich bislang geweigert, auf Verhandlungen einzugehen, solange die Blockade nicht aufgehoben wird.
Weder "umsetzbar" noch "vernünftig"
Die Hoffnung der Beteiligten, wie auch von US-Außenminister Rex Tillerson formuliert, war dass die Forderungen "umsetzbar und vernünftig" würden. Diese Hoffnung scheint vergebens gewesen zu sein. Manche Forderungen bleiben vage; viele erfordern von Qatar eine massive Kursänderung nicht nur der Außen-, sondern auch der Innenpolitik. Dies, kombiniert mit der Durchsetzung der Reparationsforderungen und Kontrollmechanismen, würde Saudi-Arabien und die VAE de facto zu Oberherren über Qatar erheben und ist damit unrealistisch.
Symbolische Zugeständnisse seitens Qatar, ähnlich wie in der letzten Krise von 2014, als Saudi-Arabien, die VAE und Bahrain ihre Botschafter aus Doha abgezogen haben, wären aber in den Staaten, die das Ultimatum gestellt haben, intern wohl kaum zu rechtfertigen. Dazu waren die Forderungen wie auch die bisherige Rhetorik zu konfrontativ. Beide Seiten müssten also bei zu großen Kompromissen einen Gesichtsverlust fürchten.
Damit scheint eine weitere Zuspitzung unvermeidbar, und Form und Inhalt der Liste legen den Schluss nahe, dass sie entweder dem Zeitdruck geschuldet waren oder von Anfang an nicht als realistische Kompromisslösung gedacht war.
Besser verständlich ist die Liste entweder als Maximalforderung, die heruntergehandelt werden soll oder – ähnlich wie das österreichisch-ungarische Ultimatum an Serbien 1914 (das mit drei Punkten weniger auskam) – als bewusste Eskalationsstrategie.
Drohendes Aus für den Golfkooperationsrat?
Die Krise ist also ernst und schwer zu lösen. Sie stellt aber nicht zwangsläufig die Existenz des Golfkooperationsrats (GKR) in Frage, wie eine historische Betrachtung zeigt. Der GKR – und vor seiner Gründung die einzelnen Mitgliedstaaten – die arabischen Monarchien Bahrain, Qatar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien und die VAE – war niemals ein einheitlicher harmonischer Block. Gerade Qatar wurde auch in früheren Perioden schon oft als Störenfried gesehen, v.a. nachdem Hamad bin Khalifa Al Thani, der Vater des derzeitigen Kalifen, seinen Vater durch einen Palastputsch ablöste.
In den 1980er und 90er Jahren sorgten Territorialkonflikte mit Bahrain und Saudi-Arabien sogar für drei kurze militarisierte Konfrontationen. In einer vergleichbar schweren Krise zwischen Qatar und Bahrain Ende der 1990er Jahre warfen sich die Emirate gegenseitig Subversions- und Regimesturzversuche vor. Emir Hamad bezichtigte die anderen Golfstaaten der Unterstützung für einen Gegenputschversuch seines Vaters. Zu Beginn des neuen Jahrtausends wurden ausstehende Territorialdispute nach und nach beigelegt. Qatar und Bahrain nahmen zum ersten Mal offiziell diplomatische Beziehungen auf.
Die Konflikte brachen erneut auf, nachdem Qatar 2011 begann, gezielt Aufstandsbewegungen in arabischen Ländern zu unterstützen, während seine Nachbarn sich um die Sicherung des Status quo sorgten. Auch nachdem Saudi-Arabien auf den Zug aufsprang, unterstützten beide Staaten unterschiedliche Oppositionsgruppen. Dies mündete letztlich in der Konfrontation im Jahr 2014. Zu dieser Zeit herrschte in Qatar aber bereits Emir Tamim und die außenpolitische Aktivität des Emirats war deutlich abgeklungen.
Unerwünschte Spaltung
Obwohl die aktuelle Krise ernster ist als 2014, dürfte sich entgegen der Drohungen der VAE eine "Scheidung" in Form eines Ausschlusses aus dem GKR als schwierig gestalten, denn die Mitglieder sind sich keineswegs einig. Saudi-Arabien und die VAE führen die Konfrontation mit Bahrain an der Seite an. Die verbliebenen beiden Mitgliedsstaaten – Kuwait und Oman – versuchen hingegen eine neutrale Mittlerrolle einzunehmen, wobei Kuwait als Hauptvermittler agiert.
Weder Kuwait noch Oman unterstützen eine Spaltung des GKR. Und beide haben sich in der Vergangenheit bereits erfolgreich gegen saudische Initiativen gestellt. Damit ist für einen Ausschluss Qatars ohne weiteres keine Mehrheit in der ohnehin konsensorientierten Organisation zu bekommen.
Auch die mangelnde Kohäsion der jeweiligen Allianzen könnte dämpfend wirken, da kein "Block" dominieren kann. Qatar wird vom Iran und der Türkei unterstützt und durch die Blockade auch zunehmend abhängig von den beiden nicht-arabischen Staaten. Durch die teils diametral entgegengesetzten Ziele dieser Länder folgt daraus allerdings eher eine ad-hoc Koalition als ein einheitlicher Block.
Nur wenig besser sieht es auf der anderen Seite aus: Obwohl Saudi-Arabien und die VAE noch von einer Reihe weiterer Staaten unterstützt werden, sind die meisten davon (wie die Malediven, Mauretanien oder die international nicht anerkannte Regierung in Ostlibyen) eher marginal für die regionale Politik.
Außer Ägypten hat sich kein weiteres bedeutendes arabisches Land dem "Anti-Qatar-Block" angeschlossen, und auch manche der Alliierten agieren eher halbherzig: Das wirtschaftlich und politisch von den Golfstaaten abhängige Jordanien stufte seine Beziehungen zu Qatar herunter, brach sie aber nicht ab. Sudan unterstützt die kuwaitischen Mediationsbemühungen und Marokko ignorierte nicht nur die Blockade, sondern flog sogar Lebensmittel nach Qatar.
Disput als "Familiensache"
Der wichtigste Verbündete wären aber ohnehin die USA. Trotz der erratischen Politik der Trump-Regierung ist es unwahrscheinlich, dass die USA eine volle Eskalation unterstützen würden. Außenminister Tillerson agiert bislang als Vermittler und mahnt zur Einigung. Sean Spicer, der Sprecher des Weißen Hauses, beschrieb den Disput als "Familiensache", zu deren Lösung man beitragen, in den man sich aber nicht einmischen wolle.
Eine interne Lösung, die den Konflikt eingrenzt, wird auch von den Konfliktbeteiligten betont. Kuwait unterstrich die Hoffnung, innerhalb eines "Vereinten Golfhauses" zu einer Lösung zu kommen und wies zu Beginn der Krise darauf hin, dass Qatar daran gelegen sei, die "Ängste und Bedenken seiner Brüder" zu verstehen. Trotz der eigenen konfrontativen Politik weist auch Gargash darauf hin, dass Eskalation keine Alternative ist.
Die Krise ist eine ernste Herausforderung für den GKR, aber wohl keine existentielle Bedrohung. Am Ende wird Al-Jazeera vermutlich überleben und die ausgewiesenen qatarischen Kamele können zurück auf ihre saudischen Weideflächen.
Anna Sunik
© Qantara.de 2017
Die Politik- und Islamwissenschaftlerin Anna Sunik ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg.