Im Klinsch mit dem roten Prinz
Ob Religion, Monarchie oder Westsahara: Wer diese drei offiziösen Tabus nicht antastet, kann in Marokko politisch recht unbeschwert leben. Doch ausgerechnet ein prominentes Mitglied der marokkanischen Königsfamilie macht sich seit Jahren vor allem an einem der genannten Tabus zu schaffen: am Status der Monarchie.
Prinz Moulay Hicham El Alaoui ist der Cousin des herrschendes Königs Mohammed VI., im Volksmund gerne auch "M6" genannt. Beide sind fast gleich alt und zusammen aufgewachsen. El Alaoui trägt wegen seiner - wohlgemerkt relativen - Volksnähe den Beinamen "der rote Prinz", Moulay steht für die Abfolge vom Propheten.
In den letzten Jahren kritisierte er in der französischen Presse, vor allem in Le Monde Diplomatique, wiederholt die Politik seines Heimatlands. In einem seiner bekanntesten Texte erfindet er für das Jahr 2018 eine utopische "Kreuzkümmelrevolution". Wesentliches Merkmal: Das Volk strebt, wie der Autor selbst, nach einer parlamentarischen Monarchie. Nun hat er seine Ansichten in einem Buch zusammengefasst: "Journal d’un Prince Banni. Demain, le Maroc" – Tagebuch eines verbannten Prinzen. Das Marokko von morgen.
Schon das Verhältnis von Titel und Untertitel zeigt, dass hier vieles auf einmal verhandelt werden soll. Ein Tagebuch ist zunächst ein Rückblick, der nun aber gleichzeitig ein Vorausblick sein soll. Man kann das so verstehen: El Alaoui glaubt daran, dass seine Überzeugungen, wegen derer er vom Cousin aus dem Palast verbannt wurde, die Grundlage eines Marokkos der Zukunft sein werden. So formuliert er es auch als Fazit seines Buches, das mit einem "Es ist vollbracht" (Voilà, c’est fait) endet.
Seine Verbannung aus dem Palast erfuhr er 1999, als er nach dem Tod des Diktators Hassan II. mit dem Thronfolger Mohammed VI. über die Demokratisierung des Landes sprechen wollte.
Fürsprecher der Demokratiebewegung des 20. Februar
Seither lebt der Autor mit seiner Familie in den USA. Er ist studierter Politikwissenschaftler, diplomiert in Princeton und Stanford, er hat ein eigenes elitär-philanthropisches Institut gegründet, ist Unternehmer, für Human Rights Watch aktiv, hat für den jordanischen Prinzen und im Jahr 2000 unter Bernhard Kouchner im Kosovo gearbeitet. 2011 unterstützte er die marokkanische Demokratiebewegung des 20. Februar. Sein politisches Ideal ist neben der parlamentarischen Monarchie eine Auflösung des Makhzen – eine Mischung zwischen königlichen Machtapparat und "tiefem Staat".
Mohammed VI. dagegen gilt als "Schritt-für-Schritt"- bis "Schein"-Reformer. Einige Fehler seines Vaters hat er korrigiert: Gefangene entlassen, eine Wahrheitskommission zur Aufklärung von dessen Menschenrechtsverbrechen ins Leben gerufen, Teilmaßnahmen gegen die allgegenwärtige Korruption ergriffen. Auch die Kultur und Sprache der Masiren (Berber), der marokkanischen Ursprungsbevölkerung, hat er aufgewertet. Nach den vergleichsweise harmlosen Unruhen von 2011 reformierte er die Verfassung. Einer seiner Coups: Der König spricht sich selbst seine konstitutionelle Heiligkeit ab. Unantastbar aber ist er immer noch.
Den Frieden mit seinem Cousin wird er nach dessen Tagebuch wohl nicht finden. Aber anders als zunächst erwartet, wurde das beim französischen Verlag Grasset publizierte Buch in Marokko nicht offiziell verboten. Trotzdem lesen die Marokkaner lieber Raubkopien. Selbst in dem vorlauten Magazin Telquel hält man sich mit Bewertungen des Buches eher bedeckt.
Eine "männliche Lady Di des Maghreb"
Andererseits muss sich der Monarch tatsächlich nicht allzu sehr vor dem "Journal" fürchten. Die privaten Empfindlichkeiten des Autors lähmen seine politische Vertrauenswürdigkeit erheblich. Es kommt der Geschmack einer "männlichen Lady Di des Maghreb" auf – eines Mannes, dem die Medien an Aufmerksamkeit zurückgeben sollen, was der Palast ihm schuldet. Teilweise hantiert er sogar mit Gerüchten wie im Falle des 1965 in Paris ermordeten Oppositionspolitiker Mehdi Ben Barka.
Über die Vermögensverhältnisse des Palastes sowie seine eigenen schweigt der Autor ganz. Anekdoten zum Thema Geld gibt es dagegen viele: Wie er selbst einst verzweifelt seine von Hassan II. bestückte Studentenkasse aufbesserte, in dem er Sand seines Strandhauses klaute, und durch die Polizei zurückkaufen ließ. Oder wie Hassan II. ihn in einer Phase der Annäherung als Geschäftspartner gewinnen wollte, in dem er einen Anteil von fünf Millionen Dollar in bar vorfahren ließ.
Der Prinz fand das mafiös und hat den Wagen mit Inhalt zurückfahren lassen. Seine so schwierige wie affektive Verbindung zu Hassan II. blieb jedoch, trotz vieler Abnabelungsversuche, bis zu dessen Tod und - wie es scheint - sogar darüber hinaus bestehen. Ein großer Teil von "Journal d’un Prince Banni" ist ein Privatporträt von Hassan II., und in diesem Zug ein Gegenporträt von Mohammed VI.
Heraus aus dem Schatten der Macht
Liest man es als Anstrengung eines hochgebildeten Mannes, aus dem Schatten der Macht herauszukommen, so ist das Buch sicher ergiebig. El Alaoui zeigt sich dabei in einer beinahe naiven Offenheit. Manchmal stellt sich dadurch eine Nähe ein, manchmal Befremdung.
Als er von Bernhard Kouchner vor dem Sicherheitsrat in New York am Ende seiner Kosovo-Mission gelobt wird, ist das für ihn einer "der größten Momente" seines Lebens: "Zum ersten Mal fühlte ich mich als Weltbürger und nützlich für meine Mitmenschen."
Gescheitert ist er dagegen während seiner Irakmission. In einer kurzen Phase der Zusammenarbeit mit Hassan II. hatte er die Aufgabe übernommen, herauszukriegen, ob der Irak Chemiewaffen besitzt. Er bezahlte seine Informanten mit Autos und Traumhotelnächten. Doch irgendwann wurde es dem König zu teuer.
Ob bei der Schilderung Selbstironie im Spiel ist, fällt schwer zu sagen. Dazu ist El Alaouis Stil zu undifferenziert. Hätte sich ein Shakespeare dieses Stoffs angenommen, es wäre wohl ein gutes Drama daraus geworden.
Astrid Kaminski
© Qantara.de 2014
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
Moulay Hicham el Alaoui: "Journal d’un Prince Banni. Demain, le Maroc", Éditions Grasset Paris 2014, 362 Seiten