Sprachrohr für Geflüchtete aus aller Welt
Von Geburt an wurde Mahdia Hosseini gesagt, als Mädchen sei sie nichts wert. Als Tochter einer afghanischen Flüchtlingsfamilie wuchs sie im Flüchtlings-Exil Iran auf, in einem "dauerhaften seelischen Krieg" und "als Mensch zweiter Klasse", wie sie es beschreibt.
Mitschüler hatten sie gemobbt, die Behörden sie als Flüchtling diskriminiert. Und in ihrer eigenen Community litt sie unter der Unterdrückung als Frau. "Eine afghanische Frau hat viel zu sagen, aber sie hat nicht gelernt zu sprechen", schreibt sie später in einem ihrer eigenen Artikel. "Nur Männern wird erlaubt, laut zu sein und handgreiflich zu werden."
Das sind Passagen aus der "Migratory Birds", einer multilingualen Zeitung von Flüchtlingen für die globale Flüchtlings-Community. Mahdia Hosseini, 28, ist Chefredakteurin dieser Zeitung, die in Griechenland entsteht. Als Beilage ist sie an den Wochenenden außerdem in der griechischen Tageszeitung Efimerida ton Syntakton zu finden, die die Produktion von "Migratory Birds" unterstützt.
"Ist es nicht an der Zeit, all die Barrieren zu durchbrechen, die mich mein Leben lang umgeben haben?", fragt sie in einem ihrer Artikel. Mit ihrer Zeitung ist ihr das offenbar gelungen: "Migratory Birds Newspaper" druckt Artikel in fünf verschiedenen Sprachen.
Frauen eine Stimme geben
Rückblick ins Jahr 2016: Der Besuch von internationalen Journalisten wurde für die Bewohner des Flüchtlingslagers Schisto bei Athen seit Beginn der großen Flüchtlingsbewegungen Richtung Europa schnell zur Gewohnheit. Gern gesehen waren die Reporter aus aller Welt nicht.
"Niemand wollte mit ihnen sprechen", erinnert sich Mahdia, die nach ihrer Flucht aus dem Iran nach Europa selbst in dem Camp wohnte. Dass die Interviews etwas bewirken und den Bewohnern auch helfen könnten, habe damals kaum jemand geglaubt. "Also wollten wir selbst Reporter werden und uns eine Stimme geben", erzählt Chefredakteurin Mahdia.
14 andere afghanische, vor allem minderjährige Mädchen, begeisterten sich für Mahdias Idee und wollten über ihre eigene Geschichte, die Flucht und ihr Leben im Camp schreiben.
Ihre Vision: eine eigene Zeitung herausgeben. Aber die Männer im Flüchtlingscamp empfanden es nicht unbedingt als Fortschritt, dass ihnen nun nicht mehr ausländische Journalisten, sondern junge Frauen aus dem Camp Fragen stellten. "Sie sagten: Frauen können keine Journalisten sein", erinnert sich Mahdia Hosseini.
Integration über Gleichstellung
Die jungen Frauen trafen sich trotzdem weiter zu ihren Redaktionssitzungen und zum Austausch untereinander. Mithilfe des "Network for Children's Right", einer griechischen Jugendhilfsorganisation, konnten sie Geldgeber wie das UNHCR oder die EU finden und ihre Vision in die Praxis umsetzen.
Im April 2017 ging die erste Ausgabe der "Migratory Birds" in Druck, mit Artikeln auf Farsi, Griechisch und Englisch. Heute werden 13.000 Exemplare in den Camps und sozialen Einrichtungen der Flüchtlingshilfe verteilt.
Inzwischen ist bereits die elfte Ausgabe erschienen. Wie die früheren auch, erschien sie als Beilage der griechischen Tageszeitung Efimerida ton Sintakton. Die "Migratory Birds" zwitschern in fünf Sprachen, auch auf Arabisch und der pakistanischen Amtssprache Urdu.
Die Artikel werden in ihrer Originalsprache gedruckt, aber online auf Englisch übersetzt. "Wir schreiben über unser Leiden, darüber, wie wir wirklich behandelt werden - und wie man uns helfen kann", sagt der 18-jährige Syrer Mo Alrifai, der auch in der Redaktion mitarbeitet. Ein Junge im Team?
"Angefangen hat es zwar ausschließlich als Power-Projekt junger Frauen, aber jetzt arbeiten hier Jungen und Mädchen gleichberechtigt zusammen", sagt Denisa Bajraktari (28), die das Zeitungsprojekt als ausgebildete Journalistin hauptberuflich betreut. Dass hier viel über freie Meinungsäußerung vermittelt wird, sieht sie als weiteren Integrationserfolg. "Vielen Autoren wurde in ihrer Heimat der Mund verboten. Jetzt haben sie Redefreiheit - und wissen diese zu nutzen."
Nicht nur Flüchtlinge sind dabei
Dass die Zeitung so multilingual wird, war am Anfang nicht vorgesehen. "Es hat sich natürlich entwickelt, weil so viele junge Leute mitmachen wollten", erklärt Bajraktari. "Schließlich kann sich jeder einbringen, wie er möchte."
Wer nicht schreibt, schießt Fotos, bringt seine Ideen bei einem Redaktionsmeeting ein oder wirkt beim Web-Radio mit, das aus dem Projekt entstanden ist. Auch griechische Jugendliche sind dabei. So wird das Zeitung machen zu einer Austauschplattform für Einheimische und Flüchtlinge.
Viele Autoren kommen und gehen, ziehen weiter nach Europa, kehren zurück. Der Name "Migratory Birds" reflektiert die gemeinsame Hoffnung des Gründungsteams, dass jeder von ihnen irgendwann Richtung Glück und Frieden fliegen werde.
Für Chefredakteurin Mahdia Hosseini könnte dieser Ort Deutschland sein. "Dort leben mein Vater und meine Schwestern" erzählt sie. Und dort möchte sie die "Migratory Birds" später einmal heimisch werden lassen.
Gordon Wüllner
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