Der Ruf der Muezzina in der Tradition des Propheten

In Europas erster Frauenmoschee in Kopenhagen finden regelmäßig Freitagsgebete statt. Aktuell steht die Eröffnung einer islamischen Akademie kurz bevor, an der künftig Imaminnen für Dänemark ausgebildet werden sollen – ein Novum. Aus Kopenhagen berichtet Ulrike Hummel.

Von Ulrike Hummel

Es ist kurz nach zwölf an einem Freitagmittag in einer beliebten Einkaufstraße mitten in Kopenhagen. In der ersten Etage eines altehrwürdigen Geschäftshauses treffen die Hausherrinnen die letzten Vorbereitungen. Die ersten Gäste treffen ein, ausschließlich Frauen. Hier und da ein Smalltalk im stilvoll eingerichteten Foyer, bevor das Ereignis beginnt: Eine junge Frau erhebt ihre Stimme zum weiblichen Muezzinruf – es ist der Auftakt zum Freitagsgebet in der ersten Frauenmoschee Europas.

Im Gebetsraum haben sich heute rund dreißig Frauen versammelt. Einige wirken noch etwas unsicher, andere sind gespannt auf die Imamin, die sie durchs Freitagsgebet führen wird. Genau genommen sind es zwei Imaminnen, die sich die Leitung der Gebete und das Vortragen der Khutbah, also der Predigt, teilen.

Außerhalb Chinas gibt es weltweit wohl nur eine Handvoll frauengeführter Moscheen. Doch es herrscht Aufbruchsstimmung unter den Musliminnen. "Wir wollen patriarchale Strukturen innerhalb religiöser Institutionen aufbrechen und der Welt zeigen, dass auch weibliche Imame im Islam möglich sind", sagt Sherin Khankan.

Die 42-jährige Imamin ist Initiatorin und eine der beiden Gründerinnen der "Mariam Mosque". Schon zu Lebzeiten des Propheten Mohammed habe es weibliche Imame gegeben. Aisha und Umm Salama hätten in der Hausmoschee in Medina die Gebete für die Frauen geleitet, so Khankan.

Wachsender Islamfeindlichkeit entgegenwirken

Die Idee zu einer Frauenmoschee hatte die Imamin und Buchautorin schon vor zwölf Jahren. "Durch die zunehmende Islamfeindlichkeit in Europa hatte ich das Gefühl, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für so etwas ist." Damit zeige man der Welt, dass die Frau im Islam nicht unterdrückt werde und könne so das negative Islambild ein Stück weit korrigieren. Eröffnet wurde die "Mariam Mosque" im Frühjahr 2016, das erste Freitagsgebet fand aber erst im August statt.

An diesem Freitag sind es auffällig viele junge Frauen, etwa Anfang bis Mitte zwanzig, die am Gebet teilnehmen. Einige haben einen Migrationshintergrund, aber es sind auch viele Konvertitinnen dabei – und auch Christinnen kommen regelmäßig zum Gebet.Seit der Moscheeeröffnung haben die Imaminnen schon einiges ins Leben gerufen. Immer wieder werden Sufi-Meditationen angeboten, an denen auch Männer teilnehmen können. Die Moschee sei ohnehin ein offenes Haus, auch für Männer, außer eben während des Freitagsgebets zwischen 12:00 und 14:00 Uhr.

Sherin Khankan im Gebetsraum der "Mariam Mosque" während eines Vortrags; Foto: Ulrike Hummel
Positive Resonanz: An diesem Freitag sind es auffällig viele junge Frauen, etwa Anfang bis Mitte zwanzig, die am Gebet teilnehmen. Einige haben einen Migrationshintergrund, aber es sind auch viele Konvertitinnen dabei – und auch Christinnen kommen regelmäßig zum Gebet. Seit der Moscheeeröffnung haben die Imaminnen schon einiges ins Leben gerufen. Immer wieder werden Sufi-Meditationen angeboten, an denen auch Männer teilnehmen können.

Vor wenigen Tagen erst war eine Gruppe von Politikstudenten der Amerikanischen Universität zu einem Vortrag zu Gast. Ihre Hauptaufgabe sehen die Frauen aber in der islamischen Seelsorge. Demnächst wird es noch einen weiteren Schwerpunkt in der Moschee geben: "Wir werden in Kürze eine islamische Akademie eröffnen, wo wir Studien zum Sufismus, zur islamischen Philosophie oder zur Arabischen Sprache anbieten werden", verrät Khankan.

Die Reaktionen auf Europas erste Frauenmoschee sind sehr unterschiedlich. Teils wurde sie von den Dänen noch gar nicht richtig wahrgenommen. International wiederum findet sie große Beachtung. Seitens der muslimischen Community in Dänemark scheiden sich die Geister darüber, ob es überhaupt Imaminnen geben dürfe.

"Ihre theologische Grundlage ist verkehrt. Warum sollten Frauen spezielle Bedürfnisse haben? Sollen wir jetzt auch Moscheen ausschließlich für Männer gründen?", kritisiert Imam Waseem Hussein, Vorsitzender des Danish Islamic Centre. Bis jetzt habe noch kein dänischer Imam die Frauenmoschee in Kopenhagen besucht, sagt Sherin Khankan. Stattdessen besuchte ein Imam der weltweit drittgrößten Moschee aus Indonesien samt einer Delegation die Mariam Mosque. "Er hat das Gebet geleitet und unsere Moschee gesegnet und er hat uns für unsere Arbeit hier gelobt."

Frauenmoschee stärkt die Rechte der Frauen

Zuspruch erhalten die Imaminnen vor allem von Frauen und jungen Muslimen, wie von dem aus Pakistan stammenden Najeeb Ullah, der in Kopenhagen studiert: "Das ist ein gutes Zeichen für alle Nicht-Muslime und zeigt, dass im Islam Männer und Frauen gleichberechtigt sind – zumindest, wenn man den Islam richtig verstanden hat." In Pakistan, Afghanistan oder Saudi-Arabien beispielsweise hätten Frauen nicht dieselben Rechte wie Männer, aber das habe nichts mit der Religion des Islam zu tun.

Sherin Khankan beim gebet in der Frauen-Moschee in Kopenhagen; Foto:
Positive Resonanz: An diesem Freitag sind es auffällig viele junge Frauen, etwa Anfang bis Mitte zwanzig, die am Gebet teilnehmen. Einige haben einen Migrationshintergrund, aber es sind auch viele Konvertitinnen dabei – und auch Christinnen kommen regelmäßig zum Gebet. Seit der Moscheeeröffnung haben die Imaminnen schon einiges ins Leben gerufen. Immer wieder werden Sufi-Meditationen angeboten, an denen auch Männer teilnehmen können.

Kritik an einer Frauenmoschee kommt vor allem aus konservativ-muslimischen Kreisen. Haydar Mahdi, 29 Jahre alt, betreibt einen orientalischen Imbiss in Kopenhagen. "Ich denke, Frauen können keine Imame sein, schon deswegen, weil sie ihre Menstruation haben.Währenddessen dürfen sie ja keine Moschee betreten. Wie sollten sie dann regelmäßig die Freitagsgebete leiten können?"

Abdel Hussein Kaabi, Exil-Iraker und seit vielen Jahren in Dänemark zuhause, sieht keine theologische Basis für Imaminnen: "Ein Imam muss männlich sein. Dass jetzt eine Frau den Imam ersetzen will, das ist nicht mit dem  Koran vereinbar."

Das Aufbrechen patriarchaler Strukturen oder der Kampf gegen die wachsende Islamfeindlichkeit sind jedoch nicht die einzigen Gründe, die die Imaminnen zur Gründung einer Frauenmoschee bewogen haben. Innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in Dänemark gäbe es einen Bedarf an weiblichen Imamen: Denn bei Gewalt gegen Frauen in der Ehe und einem daraus resultierenden Scheidungswunsch seitens der Frauen etwa, finde sich in ganz Dänemark kein männlicher Imam, der eine islamische Scheidung durchführe. Diese Möglichkeit sei nun gegeben, erklärt Khankan.

Künftig Ausbildung von Imaminnen für Dänemark

An der islamischen Akademie, die in Kürze eröffnet wird, sollen sich studierte Islamwissenschaftlerinnen mit einem Master künftig zur Imamin weiterbilden können – ein Novum. "Da wird es 17 Kurse mit unterschiedlichen Schwerpunkten geben. Es wird Veranstaltungen zum  Familienrecht und spezielle Kurse zur islamischen Seelsorge geben", verrät Khankan. Am Ende einer solchen Imaminnenausbildung müsse man in der Lage sein, den Koran zu rezitieren, das Freitagsgebet zu leiten, islamische Eheschließungen oder Scheidungen durchzuführen. "Wir werden die Akademie dazu nutzen, weibliche Imame für Dänemark auszubilden", sagt die 42-Jährige.

Dass es überhaupt zur Gründung des Gotteshauses kam, verdanken Sherin Khankan und ihre Mitstreiterinnen einem Zufall – und einem Mann. Ein anonymer Stifter hatte von der Vision einer Frauenmoschee in der Zeitung gelesen und war von der Idee so fasziniert, dass er der Autorin Sherin Khankan prompt die Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hat. Nicht irgendwelche Räumlichkeiten in einem schäbigen Industriegebiet am Rande der Stadt, sondern gleich eine ganze Etage eines repräsentativen Geschäftshauses in einem der teuersten Viertel Kopenhagens. So wurde die Vision Wirklichkeit.

Dialog mit Jüdinnen in Führungspositionen

Die dem Sufismus, also der spirituellen Ausrichtung des Islams, nahe stehende Moscheegemeinde fühlt sich in erster Linie der islamischen Seelsorge verpflichtet. Das Haus lege zudem besonderen Wert auf die Pflege des interreligiösen Dialogs. "Wir arbeiten vor allem mit progressiven Christen und Juden zusammen, insbesondere mit einem jüdischen Kreis in Dänemark, indem auch die Frauen die jüdischen Gebete leiten", sagt Sherin Khankan.

Eine Besonderheit der "Mariam Mosque" seien gemeinsame Gebete von Musliminnen, Christinnen und gläubiger Frauen anderer Religionen. "Beim ersten Freitagsgebet im August letzten Jahres waren unter den insgesamt 70 Besucherinnen 40 Musliminnen und 30 Nicht-Musliminnen. Wir haben gemeinsam gebetet und es gab wirklich besonders bewegende Momente", schwärmt Khankan.

Zu Beginn hatte die Frauenmoschee zwei Imaminnen. Inzwischen arbeiten dort fünf Imaminnen und zwei Predigerinnen, alle auf ehrenamtlicher Basis. Zu den Angeboten der Moschee gehören Sufi-Meditationen, Eheschließungen, Scheidungen, islamische Bestattungen und Lesungen ebenso wie die Freitagsgebete und das künftige Betreiben der islamischen Akademie.

Ulrike Hummel

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