Der falsche Beitrag für einen Strategiewandel

Tornado-Flugzeuge als Beitrag zur NATO-Offensive gegen die Neo-Taliban bereitzustellen, genügt nicht. Es ist außerdem das falsche Mittel für eine umfassende politische Stabilisierung.

Von Citha D. Maaß

​​Mit der Ankündigung von zwei großen militärischen Offensiven für das Frühjahr 2007 im Süden Afghanistans erhöhte sich der Druck auf Deutschland und die anderen Bündnispartner. Dabei handelt es sich erstens um die von der NATO mit US-Unterstützung vorbereitete Militäroperation gegen die aufständischen Gruppen und zweitens um die erwartete Frühjahrsoffensive der Neo-Taliban.

Die reorganisierten Neo-Taliban unterscheiden sich von den Taliban, die in den neunziger Jahren Kabul kontrollierten und die Regierung stellten, darin, dass sie dezentral in verdeckter Form operieren.

Indem beide, die Operationen der NATO und die der Neo-Taliban, als Offensiven bezeichnet werden, wird suggeriert, dass die Neo-Taliban inzwischen so schlagkräftig seien, dass sie einen "offensiven Militärschlag" durchführen können, und sich die NATO deswegen verstärken müsse.

Gesteigerte Militanz der Neo-Taliban

Diese Annahme wurde durch die jüngsten Beschlüsse der USA und Großbritanniens, mehr Truppen und Kampfgerät bereitzustellen, noch erhärtet und setzt die Bündnispartner unter Zugzwang.

Aber ist es wahrscheinlich, dass die Neo-Taliban ihre bisherige Guerilla-Taktik zugunsten eines offenen Angriffs aufgeben? In einem seltenen Interview kündigte Mullah Omar, weiterhin deren Anführer, Anfang Januar 2007 an, dass "der Krieg sich so lange intensivieren werde", bis die ausländischen – vor allem die amerikanischen – Truppen Afghanistan verlassen hätten und die von den Ausländern geschaffenen Institutionen aufgelöst seien.

Wenig später drohte ein Taliban-Kommandant mit dem Einsatz von 2000 Selbstmordattentätern. Weitere potentielle Attentäter werden in Koranschulen auf pakistanischer Seite ausgebildet.

Jüngste Zusammenstöße mit ISAF-Truppen zeigen, dass die Neo-Taliban mittlerweile über wirksamere Waffen verfügen. Aber weder gibt es Hinweise darauf, dass sie bereits Luftabwehrraketen besitzen, die in den späten achtziger Jahren von den Mudschaheddin gegen sowjetische Truppen eingesetzt wurden, noch sind Vorbereitungen zu erkennen, dass die Neo-Taliban nach der Schneeschmelze im Frühjahr mit regulären Kampfeinheiten vorrücken werden.

Stattdessen lässt gerade die Androhung vermehrter Selbstmordanschläge darauf schließen, dass die Neo-Taliban zwar ihre Militanz weiter steigern, dabei aber an ihren Guerilla-Methoden festhalten werden, um ihr Fernziel, die Wiedererrichtung eines "Islamischen Emirates" zu erreichen.

Vorrang haben für sie in den nächsten Jahren jedoch – ebenso wie für oppositionelle Kommandanten und Drogenbarone, die zu der heterogenen Interessenallianz der "Oppositionellen Militanten Kräfte" (OMK) gehören – drei Teilziele:

Erstens, die ineffiziente Regierung unter Präsident Hamid Karzai noch weiter zu schwächen, zweitens, die ausländischen Truppen und internationalen Organisationen aus dem Land zu vertreiben, und drittens, ihre informelle Kontrolle über weitere Distrikte im Süden, im zentralen Bergland, sowie in der Nähe Kabuls und im Nordwesten auszuweiten.

Insbesondere das letztgenannte Ziel setzt ein Festhalten an der bisherigen Guerilla-Taktik voraus, denn die Einflusssphäre der Neo-Taliban soll eben nicht durch eine offene militärische Eroberung von Provinzhauptstädten oder der Hauptstadt Kabul ausgedehnt werden.

Machtausübung vor allem im Untergrund

Dagegen findet die Machtausübung eher im Untergrund statt, mit Hilfe von Gewaltandrohung, Schutzgeldeintreibung bei Haupt- und Nebenerwerbsmohnbauern, Geldzahlungen an arbeitslose junge Männer, gering entlohnte Verwaltungsangestellte und Polizisten sowie durch die Ausnutzung des Umstands, dass die Bevölkerung sich infolge der hohen Zahl ziviler Opfer internationaler Militärschläge immer stärker von der Kabuler Regierung entfremdet.

​​Nicht zuletzt profitieren die Neo-Taliban von der Zusammenarbeit mit Drogenbaronen und einflussreichen Kommandanten der OMK, die keineswegs die ideologischen Vorstellungen der Neo-Taliban teilen, sondern auf die Festigung ihrer eigenen Macht bedacht sind.

Eine Eskalation im Süden droht auch noch durch einen dritten Grund: Angesichts der aktuellen Rekordproduktion von Rohopium soll eine groß angelegte Vernichtungsaktion gestartet werden. Eine großflächige Zerstörung der Pflanzen dürfte die Mohnbauern und arbeitslos gewordene Lohnarbeiter jedoch in die Arme der Neo-Taliban treiben und die einflussreichen Drogenbarone stärken.

Tornado-Einsatz – ein wirkungsvoller Beitrag?

Im Hinblick auf die im Februar bereits zu beobachtende Eskalation in Südafghanistan wird darüber debattiert, ob die Tornados einen geeigneten Beitrag zur politischen Stabilisierung leisten können. Die Debatte ist im Kontext des Richtungsstreits innerhalb der NATO zu sehen, der seit dem NATO-Gipfel in Riga Ende November 2006 ausgetragen wird.

Auf dem Gipfel wurde eine neue "umfassende" Strategie gefordert, die die militärische Bekämpfung der Neo-Taliban und ihrer Hintermänner durch eine politische Initiative ergänzen soll. Mittels wirtschaftlicher Entwicklungsprojekte will man das Vertrauen der Bevölkerung insbesondere in den südlichen Provinzen zurückgewinnen und deren starke Abhängigkeit von der Drogenökonomie verringern.

Seit Jahresanfang 2007 setzte man jedoch nach dem Motto "more of the same" unbeirrt weiter auf militärische Lösungen. Ob auf der NATO-Tagung der Außenminister in Brüssel Ende Januar 2007 oder bei anderen Konferenzen: Die USA übten Druck auf ihre NATO-Bündnispartner aus, noch mehr Waffensysteme und Truppeneinheiten zur Verfügung zu stellen.

​​In diesem Licht erscheint der deutsche Tornado-Beitrag vergleichsweise unzureichend, weil er die Kampfkraft der NATO-Offensive nur indirekt erhöht.

Die Diskrepanz zwischen der beabsichtigen Revision der Stabilisierungsstrategie und dem tatsächlichen Forcieren einer primär militärischen Bekämpfung der aufständischen Gruppen spiegelt sich in der deutschen Tornado-Debatte wider:

Die Befürworter berufen sich auf die Bündnisverpflichtung und warnen, dass eine Ablehnung des Tornado-Einsatzes Deutschlands Glaubwürdigkeit als Bündnispartner untergrabe. Die Skeptiker halten dagegen, dass der Einsatz die falsche Taktik unterstütze.

Militärstrategen der USA und der NATO wiederum werben für eine Aufstockung der nationalen ISAF-Beiträge mit dem Argument, mit einer massiven Militäroffensive könne die Aufstandsbewegung in den nächsten Monaten entscheidend geschwächt werden.

Politische Stabilisierungsstrategie notwendig

Die Debatte wird durch das Ad-hoc-Taktieren der Bundesregierung noch verschärft. Wollte die Bundesregierung dem Primat der Bündnisverpflichtung genügen, dürfte sie sich nicht nur auf die Bereitstellung einer Aufklärungskomponente beschränken.

Vielmehr müsste sie bereits jetzt die politischen Weichen dafür stellen, dass Deutschland einen substantiellen Kampfbeitrag beispielsweise durch Ausweitung seines deutschen Einsatzgebietes auf den umkämpften Süden und die Bereitstellung von Bodentruppen für diese Region leistet, um so die geplante Militäroffensive der NATO wirksam zu unterstützen.

Gegen dieses Vorgehen spricht jedoch die auf dem Gipfel in Riga angemahnte Strategieänderung. Will die deutsche Regierung diese unterstützen, sind die Tornados – da für eine politische Stabilisierung ungeeignet – der falsche Beitrag.

Angesichts der Guerilla-Taktik der Taliban und des Risikos einer fortschreitenden Entfremdung der Bevölkerung nach weiteren Mohnvernichtungen ist zweifelhaft, ob hochgerüstete Militäroperationen und Luftangriffe die Aufstandsbewegung nachhaltig schwächen können. Insofern steht die Bundesregierung vor der Frage, welchen Beitrag sie über den Tornado-Einsatz hinaus zur Stabilisierung Afghanistans leisten soll.

Da nicht auf eine militärische Bekämpfung der Aufständischen verzichtet werden kann, muss Berlin mit weiteren Anfragen der Bündnispartner rechnen.

Entscheidend ist aber, dass die Forderung von Riga nach einer politischen Komplementärkomponente endlich ernst genommen wird. Hier kann Deutschland auf zwei Ebenen aktiv werden: durch nationales Engagement in Afghanistan und im multinationalen Rahmen auf EU-Ebene.

Citha D. Maaß

© Citha D. Maaß

​​Dr. Citha D. Maaß ist Politologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)

Qantara.de

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