Teherans neue Geiselpolitik
Kylie Moore-Gilbert war zu einer wissenschaftlichen Konferenz im Iran eingeladen und danach noch einige Tage als Touristin geblieben, als sie festgenommen wurde. Die australisch-britische Politologin der Universität Melbourne hat zur schiitischen Opposition im Golfemirat Bahrain geforscht und Artikel über das Verhältnis der arabischen Golfstaaten zum Iran veröffentlicht. Seit mehr als einem Jahr nun sitzt die junge Wissenschaftlerin im Teheraner Evin-Gefängnis. Unbestätigten Berichten zufolge wurde sie wegen Spionage zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Ebenso in Evin inhaftiert ist der amerikanisch-chinesische Historiker Xiyue Wang. Der Doktorand der Universität Princeton recherchierte in den iranischen Archiven zur Verwaltungspraxis der Kadscharen im ausgehenden 19. Jahrhundert und studierte Persisch am Dekhoda-Institut in Teheran, als er im August 2016 festgenommen wurde. Im April 2017 wurde der 38-Jährige wegen Spionage zu zehn Jahren Haft verurteilt. Ein Berufungsverfahren wurde abgelehnt.
Wang und Moore-Gilbert sind nicht die einzigen westlichen Wissenschaftler, die im berüchtigten Evin-Gefängnis in den Bergen nördlich von Teheran einsitzen. Am 5. Juli wurde auch die französisch-iranische Anthropologin Fariba Adelkhah im Iran festgenommen, während sie zur iranischen Gesellschaft forschte. Am selben Tag wurde ihr Freund und Kollege Roland Marchal bei der Einreise am Flughafen festgenommen, als er sie besuchen kommen wollte.
Wissenschaftler und Journalisten unter Verdacht
Die 60-jährige Adelkhah ist eine renommierte Expertin für den schiitischen Islam im Iran und Afghanistan und hat viel über Frauen und Jugend im Iran geforscht. Ihr Freund Marchal, der wie sie am Centre de recherches internationales der Pariser Hochschule Sciences Po arbeitet, forschte dagegen gar nicht zum Iran, sondern ist Experte für Bürgerkriege in Afrika und war nur privat im Land. Vor einer Festnahme hat ihn dies dennoch nicht bewahrt.
Die Islamische Republik begegnet westlichen Wissenschaftler und Journalisten seit jeher mit Misstrauen. Wie in anderen autoritär geführten Ländern der Region, in denen Forschung und Medien streng kontrolliert und zensiert sind, geraten kritische Recherchen schnell in den Verdacht der Spionage. Westliche Reporter und Forscher können nur mit erheblichen Einschränkungen im Iran arbeiten, viele erhalten gar nicht erst ein Visum für das Land.
In der Vergangenheit hat es immer wieder Festnahmen westlicher Journalisten und Forscher gegeben. Einige handelten schlicht fahrlässig wie die beiden "Bild"-Reporter, die 2010 ohne Pressevisum für ein Interview in den Iran reisten; andere wie der "Washington Post"-Korrespondent Jason Rezaian waren erfahrene Kenner des Landes. Die meisten kamen erst nach langen Verhandlungen frei, einige wurden gegen iranische Häftlinge im Ausland getauscht.
Häftlinge als Druckmittel und Tauschobjekt
Politische Geiselnahmen und der Einsatz von Häftlingen als Druckmittel und Tauschobjekt sind dem Iran also keineswegs fremd. Dennoch stellt die Inhaftierung der Forscher eine neue Dimension dar. Sie fällt mitten in den erneuten Konflikt um das Atomabkommen, der seit Mai zu einer Eskalation der Spannungen geführt hat. Über die Gründe der Festnahmen kann man nur spekulieren, doch liegt der Verdacht nahe, dass sie politisch motiviert sind.
"Es besteht insofern eine neue Dimension, dass vermehrt Fälle zu beobachten sind, die Forscherinnen betreffen, die nicht Doppelstaatler sind und noch dazu aus Ländern stammen, die eigentlich gute Beziehungen mit dem Iran pflegen, wie Frankreich und Australien", sagt ein deutscher Islamwissenschaftler, der erst im September zur Forschung im Iran war und anonym bleiben will. Er vermutet weniger die Regierung, als die Revolutionsgarden hinter den Festnahmen.
Auch andere Experten vermuten, dass Hardliner in Justiz und Geheimdienst damit die Verhandlungen mit dem Westen hintertreiben wollen. Konservative wie Justizchef Ebrahim Raisi lehnen die auf Dialog und Ausgleich bedachte Politik von Präsident Hassan Rohani entschieden ab und setzen auf eine Eskalation mit dem Westen. Gut möglich, dass sie mit der Festnahme von Adelkhah und Marchal die Gespräch mit Paris über die Rettung des Atomabkommens torpedieren wollten.
Neben den Forschern sitzt auch die britisch-iranische Staatsbürgerin Nazanin Zaghari-Ratcliffe in Evin, die für die Medienstiftung Thomson Reuters arbeitete. Sie wurde bei einem Familienbesuch festgenommen und zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Zudem wurde der "New York Times"-Korrespondent Thomas Erdbrink monatelang an der Ausreise gehindert, wie seine Zeitung im Juni öffentlich machte. Bei ausländischen Journalisten sorgte dies für erhebliche Verunsicherung.
Lediglich die Spitze des Eisbergs
Wie viele westliche Staatsbürger insgesamt im Iran inhaftiert sind, ist unklar. Die bekannten Fälle gelten nur als Spitze des Eisbergs. Ein Journalist, der bis zum Frühjahr in Teheran gelebt hat, berichtet, westliche Diplomaten würden privat von einer Vielzahl an Fällen sprechen, über die nicht berichtet wird in der Hoffnung, in aller Stille einen Deal erreichen zu können. Auch vier Deutsche sind laut dem Auswärtigen Amt in Haft, doch sind die Hintergründe nicht bekannt.
Den deutschen Islamwissenschaftler, der im September zu Recherchen im Iran war, haben die Festnahmen der Kollegen verunsichert. Er habe Wert darauf gelegt, mit einer offiziellen Einladung des Bildungsministeriums einzureisen, um eine gewisse Sicherheit zu haben, sagt er. Wegen der Festnahmen habe er auf ursprünglich geplante Interviews verzichtet. Als er am Flughafen seinen Pass zurückbekommen habe und ausreisen konnte, sei er sehr erleichtert gewesen.
Bei Forschungsreisen rät er derzeit zur Vorsicht. "Jeder muss sich im Moment bewusst sein, dass man sich auf ein gewisses Risiko und ein Spiel einlässt, dessen Regeln man nicht kennt“, sagt der Wissenschaftler. „Es besteht ein nicht unerhebliches Risiko, zum Spielball größerer geopolitischer Verstrickungen zu werden." Für Moore-Gilbert und die anderen verheißt das nichts Gutes. Ihre Freiheit hängt wohl nun eng mit dem weiteren Verlauf des Atomstreits zusammen.
Ulrich von Schwerin
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