Das Eigentor von Qatar Airways
Es ist ein bisher beispielloser Vorgang in der Luftfahrt: Airbus hat die Bestellung von Flugzeugen des Typs Airbus A350 durch Qatar Airways storniert, sofern diese noch nicht geliefert wurden. Der Streit eskalierte, nachdem Qatar Airways Lackschäden am Heck, an den Flügeln und am Rumpf eines A350 festgestellt hatte. In den betroffenen Bereichen war dadurch das Metallgewebe zum Schutz gegen Blitzschlag freigelegt worden. Auf Anordnung der Flugaufsicht in Katar musste daraufhin mehr als die Hälfte der verbleibenden A350-Flotte von Qatar Airways am Boden bleiben. Airbus räumt zwar Probleme mit der Lackierung ein, versichert aber, dass die Flugzeuge uneingeschränkt flugtauglich sind.
Die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) bestätigt die Einschätzung von Airbus. Dennoch beharrt Qatar Airways darauf, dass der Schaden ein erhebliches Risiko darstellt, und reichte im Dezember 2021 beim High Court of Justice in London eine Schadenersatzklage in Milliardenhöhe ein.
Bereits acht Monate zuvor hatte Airbus wegen des Disputs über die Lackschäden einen Vertrag mit Qatar Airways über die Lieferung von 50 kleineren Passagiermaschinen des Typs A321neo in Höhe von sechs Milliarden Dollar storniert. Airbus sieht die Gründe für das Geschäftsgebaren von Qatar Airways vor allem in den Folgen der Corona-Pandemie für das Geschäft der Fluggesellschaft, die deshalb ihre kostspielige Langstreckenflotte verkleinern wolle.
Folgen für die Fußballweltmeisterschaft?
Für Katar kommt der Streit mit Airbus zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Niemand kann derzeit einschätzen, wie sich der Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu Airbus auf die Pläne des Emirats auswirken wird, zur diesjährigen FIFA Fußballweltmeisterschaft rund 1,7 Millionen Besucher ins Land zu holen.
Laut Rico Merkert, Inhaber des Lehrstuhls für Transport and Lieferkettenmanagement an der University of Sydney Business School, bedeutet die Fußballweltmeisterschaft ein Passagieraufkommen von umgerechnet 200.000 Personen pro Veranstaltungstag. Sie alle zu transöportieren, ist eine gewaltige Herausforderung.
Der Gründer und CEO des renommierten Informations- und Nachrichtenportals ch-aviation, Thomas Jäger, erklärt, Qatar Airways sei durch das Flugverbot für die von den Lackschäden betroffenen A350 gezwungen, Flugzeuge von anderen Unternehmen zu leasen, beispielsweise von Cathay Pacific und Oman Air. Zudem musste die Fluggesellschaft einige ihrer bereits stillgelegten A380-800 reaktivieren.
Trotz dieser Maßnahmen "wird es sich wegen der vorübergehenden starken Nachfragespitzen während der Fußballweltmeisterschaft negativ auf Qatar Airways auswirken, wenn die A350 am Boden bleiben. Verstärkt werden diese Probleme durch knappe Hotelkapazitäten in Katar, wodurch viele Touristen gezwungen werden, anderswo in der Region zu übernachten und dann Zubringerflüge von bzw. nach Katar zu nutzen“, erklärte Jäger gegenüber Qantara.de.
Da die Fußballweltmeisterschaft außerhalb der Hauptreisesaison in Europa und in anderen Regionen stattfindet, geht Jäger davon aus, dass andere Fluggesellschaften ein Teil der von Katar benötigten Kapazitäten bereitstellen könnten.
Marcelo Garcia, Senior Director von InterVISTAS Consulting, sieht in dem anhaltenden Streit allerdings kaum Gefährdungspotenzial für die Vorbereitungen zur FIFA Fußballweltmeisterschaft 2022 oder für die ehrgeizigen Ziele der Veranstalter, zum Fußballfest eine große Zahl von Touristen ins Land zu holen. "Der Grund, warum Handelsstreitigkeiten vor nationalen Gerichten, Schiedsgerichten oder anderen Einrichtungen ausgetragen werden, besteht darin, eine Politisierung von Rechtsfragen zu vermeiden, die am besten durch Beweismittel, Sachverständigengutachten und unabhängige Richter bzw. Schiedsrichter geklärt werden“, so Garcia.
Die Luftfahrtbranche beobachtet den anhaltenden Disput zwar aufmerksam, doch Qatar Airways ist bislang das einzige Unternehmen, das in den Lackschäden ein Sicherheitsproblem sieht. Scott Hamilton, Gründer und Managing Director der Luftfahrtberatungsfirma Leeham Co., verweist darauf, dass die Sympathien der Öffentlichkeit bei Airbus und nicht bei Qatar Airways liegen. Deren Chef, Akbar Al Baker, "hat unter Kollegen und in der gesamten Branche einen miserablen Ruf. Er ist bekannt für überzogene Forderungen, absurde Spitzfindigkeiten und extrem schwierige Umgangsformen.“
Beste Freunde: Frankreich und Katar
Der scharfe Disput zwischen den zwei Unternehmen bringt auch die Regierungen der beiden bislang eng verbundenen Staaten in eine unangenehme Lage: Katar zählt zu den wichtigsten ausländischen Investoren in Frankreich. Laut Qadran, einem französisch-katarischen Wirtschaftsverband, hält das Emirat in Frankreich Vermögenswerte in Höhe von mehr als 25 Milliarden Euro. So stieß beispielsweise die Übernahme des Fußballclubs Paris Saint-Germain durch eine katarische Investorengruppe auf ein großes Medienecho. Weniger spektakulär, aber durchaus interessant ist, dass der Staatsfond Qatar Investment Authority an Airbus beteiligt ist, was den Konflikt noch komplizierter macht.
Merkert glaubt hingegen nicht, dass sich der Disput dauerhaft stark auf die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auswirken werde. Schließlich seien der A350 und alle anderen Airbus-Flugzeuge multinationale Projekte bzw. Produkte. Hamilton ist der Meinung, dass diese Frage auf nationaler Ebene geklärt werden könne. Zur Lösung des Konflikts "könnten eher Gespräche zwischen den beiden Ländern beitragen als Verhandlungen vor Gericht oder zwischen Airbus und der Fluggesellschaft“. Das eigentliche Problem sei jedoch, dass "Al Baker nicht nachgeben kann, ohne sein Gesicht zu verlieren. Die Frage lautet also: Gibt es eine gesichtswahrende Lösung?“
Nach Ansicht von Marcelo Garcia beziehen sich die Beziehungen zwischen Katar und Frankreich nicht nur auf den Luftverkehr und kommerzielle oder handelspolitische Fragen, sondern auf viele Bereiche von gegenseitigem Interesse. "Das bisher langjährige und gute Verhältnis beider Länder eröffnet Kommunikationskanäle, um Meinungsverschiedenheiten auf konstruktive Weise anzusprechen“, glaubt Garcia von InterVISTAS.
"Der aktuelle Konflikt sollte keinen Anlass dazu geben, künftige Investitionen einzuschränken“, meint Garcia. "Es ist jedoch möglich, dass Qatar Airways in Zukunft nicht mehr so stark das Bedürfnis hat, Airbus-Flugzeuge zu kaufen wie bisher – zumindest kurzfristig.“
Einige Analysten sind der Meinung, dass beide Konfliktparteien nicht mehr in der Lage sind, eine Lösung zu finden. Es wird sich aber zeigen, ob die Diplomatie einen Ausweg aus diesem Dilemma finden kann. Auf jeden Fall wird die Fußballweltmeisterschaft in Katar eine besondere Veranstaltung werden. Qatar Airways, die Fluggesellschaft des Emirats, wird künftig noch einige große und wachsende Herausforderungen zu meistern haben.
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