Jeder für sich und alle gegen alle

Die Internationale Libyen-Konferenz in Berlin steht unter keinem guten Stern. Denn immer mehr regionale und internationale Akteure mischen mit im libyschen Bürgerkrieg. Dies erschwert die Suche nach einer Friedenslösung. Eine Analyse von Karim El-Gawhary

Von Karim El-Gawhary

Der Versuch, mit Hilfe russischer und türkischer Vermittlung die Kriegsparteien in Libyen dazu zu bringen, einen Waffenstillstand zu unterzeichnen, ist vorläufig gescheitert. Zwar waren der libysche Premier Fayiz Al-Saradsch aus Tripoli und dessen Widersacher der ostlibysche Warlord Khalifa Haftar am letzten Montag beide noch Moskau gereist, aber am Ende hat nur Saradsch unterschrieben und ist abgereist. Haftar hatte sich zunächst mehr Zeit erbeten, insistierte dann jedoch noch auf einige Zusatzklauseln und reiste schließlich ebenfalls ab – ohne dabei etwas unterschrieben zu haben. 

Eigentlich hätte es ein russisch-türkisches Husaren-Stück werden sollen. Man lädt die libyschen Kriegsparteien nach Moskau ein, um unter russisch-türkischer Vermittlung einen bitter nötigen Waffenstillstand zu unterzeichnen. Der wird dann praktischerweise von russischen und türkischen Beobachtern überwacht. Ein russisch-türkischer Dreifachsieg: beide Seiten hätten sich als Friedensmacher präsentieren können, eine permanente Präsenz in Libyen etabliert und den Europäern und Amerikanern mal so richtig gezeigt, wie man so etwas macht.

Gescheitert ist das ganz scheinbar daran, dass General Khalifa Haftar, der letztes Jahr eine militärische Offensive begann, um mit seinen Milizen die Hauptstadt Tripolis zu erobern und der sich derzeit militärisch im Aufwind sieht, jegliche türkische Präsenz in Libyen lehnt er strikt ab.

Vom Bürgerkrieg zum Stellvertreterkrieg

Derweil sind die Türken beileibe nicht die einzigen, die in Libyen mitmischen.  Der Konflikt zwischen den beiden Machtblöcken, der von der von den UN anerkannten Regierung in Tripolis und ihren Milizen und dem Warlord General Haftar und seinen Milizen, hat sich längst regionalisiert. Das ist schon geschehen, bevor das türkische Parlament zu Jahresbeginn einer Entsendung von Truppen nach Libyen zustimmte.  Von denen ist inzwischen das erste Kontingent von 80 Soldaten in Tripolis angekommen.

General Khalifa Haftar; Foto: AFP
Eine Kopie des autoritären ägyptischen Staatschefs Al-Sisi: General Khalifa Haftar kontrolliert derzeit zwar einen Großteil des libyschen Staatsgebiets, einschließlich der wichtigsten Ölquellen. Von den Öleinnahmen profitiert allerdings die für die Umverteilung zuständige Einheitsregierung in Tripolis. Im April 2019 lancierte Haftar eine Offensive auf die Hauptstadt Tripolis. Er hatte auf einen schnellen Sieg gegen die Regierungstruppen gehofft. Überrascht wurde er von der Mobilisierung bewaffneter Milizen aus Tripolis, die sich vor einer neuen Militärdiktatur fürchten und ihre Interessen durch Haftar bedroht sehen. Sie drängten Haftars Truppen im Süden von Tripolis zurück. Dort konzentrierten sich seither die Kampfhandlungen.

Im vergangenen September warf Präsident Putin die russischen Söldner der "Wagner"-Gruppen auf Seiten Haftars in die Waagschale. Neben Russland wird der General vor allem von Ägypten mit Waffen und von den Arabischen Emiraten mit Geld und Waffen unterstützt.  Die Emirate sollen sogar eine geheime Luftwaffenbasis im Libyen unterhalten, von der sie regelmäßig Drohnenangriffe auf die Milizen in Tripolis fliegen.

Festgefahrener Machtkampf

Auf der Seite der Regierung in Tripolis hilft nicht nur die Türkei, neuerdings durch eine direkte Truppenentsendung aus. Auch das Golfemirat Qatar paktiert offen mit den dortigen Milizen. Und die EU, die eigentlich die von der UN-unterstützte Regierung in Tripolis anerkannt hat, ist politisch in der Libyen-Frage auseinandergebrochen. Vor allem Frankreich und Italien liebäugeln mit General Haftar, in der Hoffnung er könne als eine Art libyscher Abdel Fattah al-Sisi für Stabilität sorgen.

Nun ist der Konflikt ein Musterbeispiel, wie sich externe Mächte nicht nur einen Stellvertreter in Libyen gesucht haben, sondern wie sie sich auch mit Hilfe eines relativ geringen militärischen Einsatzes einen Platz am Verhandlungstisch und möglicherweise eine längere Präsenz in Libyen sichern.

Europa interessiert nicht

Mit ein paar russischen Söldnern,  einem kleinem türkischen Truppenkontingent und ein paar aus sicherer Entfernung geflogenen Drohneneinsätzen - plus ein wenig militärischem Gerät, das man in den Konflikt wirft - hat man einen Fuß in das ölreiche nordafrikanische Land gesetzt. Das ist umso einfacher, zumal nicht nur die USA, sondern auch die Europäer in Libyen eigentlich außen vor geblieben sind. Für Europa ist Libyen vor allem nur eines: ein Ort aus, dem Flüchtlinge kommen, was in jedem Fall verhindert werden muss. Mit einer derart einseitigen Politik ist eigentlich kaum jemand in Libyen daran interessiert, was die Europäer denken.

Es hätte alles perfekt für Russland und die Türkei laufen können, hätte ihnen nicht General Haftar, zumindest vorläufig einen Strich durch die Rechnung gemacht. Man kann davon ausgehen, dass Russland über das Verhalten seines libyschen Verbündeten wenig amüsiert ist. Und sicherlich hat Russland, dank seines Söldner-Einsatzes auf Seiten Haftars ein paar effektive Möglichkeiten, Druck auf seinen Verbündeten auszuüben.

Türkische Soldaten leisten militärischen Eid ab; Foto: picture-alliance
Der lange militärische Arm Ankaras: Die Türkei hat nur wenige Tage vor der Libyen-Konferenz angekündigt, Soldaten in das Land zu schicken. Sie sollten die international anerkannte Regierung in Tripolis unterstützen, sagte der türkische Präsident Erdoğan. Es würden alle diplomatischen und militärischen Mittel genutzt, um im Süden der Türkei für Stabilität zu sorgen, das schließe Libyen mit ein. Erdogan wird am Sonntag an dem Libyen-Gipfel in Berlin teilnehmen.

Aber hier rächt sich, dass der Krieg in Libyen inzwischen sehr viele Köche hat. Denn Haftars andere Unterstützer, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten, dürften nicht besonders glücklich darüber gewesen sein, bei den Moskauer Verhandlungen nicht mit von der Partie gewesen zu sein.

Und während Russland erneut, ähnlich wie schon in den kurdischen Gebieten in Nordost-Syrien, kein Problem damit hat, sich pragmatisch mit der Türkei zu arrangieren, ist den Emiraten und Ägypten eine türkische Präsenz in Libyen zutiefst zuwider.  Der türkische Präsident Recep Erdoğan gilt für sie als der größte Unterstützer ihrer Erzfeinde, der Muslimbrüder.

Kein Ende des Dramas in Libyen

Im Weltbild der Emirate und Ägyptens ist der Krieg in Libyen ein Konflikt zwischen den Islamisten in Tripolis und der Al-Sisi-Kopie General Haftar, der das Land von ihnen befreien soll. Eine dauerhafte türkische Präsenz in Libyen ist für beide ein Albtraum. Daher waren wahrscheinlich sie es, die Haftar anwiesen, das Moskauer Waffenstillstandsabkommen nicht zu unterzeichnen.

So geht das libysche Drama vorläufig weiter. Das nächste Kapitel wird geschrieben, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel an diesem Sonntag zur großen Libyen-Konferenz nach Berlin bittet.

Auch da gilt es dann, nicht nur die beiden libyschen Kriegsparteien, sondern auch deren zahlreichen Verbündeten endlich an einem Strang ziehen zu lassen. Denn das ist derzeit das größte Problem für Libyen. Wenn ein Krieg viele Köche hat, dann dessen Frieden erst recht.

Karim El-Gawhary

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