Auftritt im Zeichen des Kulturkampfs

Der Machtkampf zwischen Laizisten und Islamisten am Bosporus wirft seine Schatten auf die Buchmesse in Frankfurt: Aus Protest gegen die AKP-Regierung wollen türkische Autoren die Messe boykottieren.

Von Susanne Güsten

Ertugrul Günay ist ein freundlicher Mann, der viel und gerne lächelt und überhaupt nicht dem Bild eines eifernden Islamisten entspricht. Der türkische Kultur- und Tourismusminister versteht sich selbst als Helfer für die Literatur seines Landes bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse vom 15. bis 19. Oktober, bei der die Türkei Gastland ist.

Doch aus Sicht einiger Kritiker ist der 60jährige Minister der Bannerträger eines islamistischen Übernahmeversuchs auf der Messe. Kurz vor dem wichtigsten kulturpolitischen Ereignis für die Türkei seit Jahren erlebt das Land, wie Literatur und Buchmesse zu Schauplätzen des verbissenen politischen Machtkampfes zwischen Kemalisten und Religiös-Konservativen werden.

Unter dem Motto "Türkei – Faszinierend farbig" werden im Oktober rund 350 türkische Schriftsteller, angeführt von Nobelpreisträger Orhan Pamuk, sowie Vertreter von mehr als 100 türkischen Verlagen in Frankfurt erwartet.

Vorwurf der politischen Instrumentalisierung

Nicht mit von der Partie ist eine Gruppe von Autoren, die Minister Günay und der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vorwirft, die Buchmesse für ihre eigenen politischen Vorstellungen missbrauchen zu wollen. Diese Schriftsteller rufen ihre Kollegen zum Boykott der Messe auf.

Türkische Kemalisten, die sich auf Staatsgründer Atatürk berufen und die Erdogan als Islamisten betrachten, haben den Ministerpräsidenten schon seit Jahren im Verdacht, die Türkei zu einem Staat des "gemäßigten Islam" zu machen.

Demnach soll die Türkei zu einem Land gemacht werden, in dem nicht mehr der Laizismus herrscht, sondern eine weichgespülte Form des Islamismus, der nicht nur von der Regierung befürwortet werde, sondern – so der Vorwurf – auch von den USA, die auf diese Weise einen Vorbild-Staat für eine Zukunft des ganzen Nahen Ostens schaffen wollten.

Dass Erdogan und Minister Günay, der nach Jahrzehnten in der Kemalisten-Partei CHP erst im vergangenen Jahr in Erdogans religiös-konservative Regierungspartei AKP eintrat, diese Vorwürfe zurückweisen, ficht die Boykottbefürworter nicht an.

Mit dem Modell des gemäßigten Islam wolle die Regierung den säkularen Charakter der Türkei verändern, sagt die Istanbuler Literaturkritikerin Füsun Akatli, eine Wortführerin der Boykottbewegung, der sich bisher etwa zwei Dutzend Autoren angeschlossen haben.

Hinter der Ankündigung der Regierung, in Frankfurt solle der ganze Facettenreichtum der türkischen Kultur präsentiert werden, sehen Akatli und ihre Mitstreiter eine Falle: Unter dem Deckmantel der Vielfalt sollten islamistische Autoren und Ideen der Weltöffentlichkeit als gleichberechtigter Teil der türkischen Kultur dargebracht werden.

Dabei seien Schriftsteller, die beispielsweise für die Zulassung des Kopftuches für Universitätsstudentinnen eintreten, nur eine verschwindende Minderheit, die bei der Image-Arbeit für die Türkei auf einer großen Messe wie der in Frankfurt nichts verloren habe, sagt Akatli.

Fragwürdiger Boykott

Günay verteidigte sich im türkischen Fernsehen mit dem Hinweis, die Regierung sehe ihre Aufgabe lediglich darin, für die erforderliche Infrastruktur bei der Messe zu sorgen. Dafür stünden sechs Millionen Euro bereit. Von einer ideologischen Beeinflussung könne keine Rede sein. Die Anhänger der Boykott-Bewegung tat er als "kleine Gruppe" ab.

Auch das türkische Organisationskomitee in Frankfurt reagierte mit Unverständnis auf den Boykottaufruf. Die Buchmesse sei keine Regierungsveranstaltung, sondern ein Verlagstreffen, sagte Müge Gürsoy Sökmen, Verlegerin und Ko-Vorsitzende des Komitees. Die türkische Regierung habe keinen Einfluss auf das Rahmenprogramm genommen, das rund 250 Veranstaltungen von Lesungen über Diskussionsrunden bis zu Theateraufführungen vorsieht.

Auch bei der Frage, welcher türkischer Autor nach Frankfurt eingeladen werden solle und wer nicht, habe sich die Regierung nicht eingemischt, sagte Sökmen dem türkischen Internetportal "bianet".

Bei türkischen Autoren können die Boykotteure ebenfalls nicht punkten. So sagte der Romanschriftsteller Ahmet Ümit, er selbst sei zwar auch kein AKP-Anhänger. Doch es habe keinen Sinn, die Buchmesse aus Protest gegen die Erdogan-Partei zu boykottieren. Von einer größeren Absagewelle türkischer Schriftsteller ist zwei Wochen vor Beginn der Buchmesse nichts bekannt.

Keine programmtechnische Lappalie

So ganz hat Minister Günay den Vorwurf der politischen Einflussnahme dennoch nicht aus der Welt schaffen können. Vielleicht ist er selbst ein wenig schuld daran. Er setzte durch, dass bei der Eröffnungsgala der Buchmesse ein Oratorium des türkischen Komponisten Adnan Saygun in deutscher Sprache aufgeführt wird.

In dem Werk geht es um 13 religiöse Gedichte von Yunus Emre, eines türkischen Volksdichters aus dem 14. Jahrhundert. Ursprünglich war für die Gala ein Oratorium des jungen Pianisten und Komponisten Fazil Say über den kommunistischen Dichter Nazim Hikmet vorgesehen gewesen.

Was auf den ersten Blick wie eine programmtechnische Lappalie aussieht, hatte aus der Sicht von Say hochpolitische Bedeutung: Der Musiker gehört zu den kemalistischen Kritikern der Regierung und dachte wegen Erdogans angeblicher Islamisierungsversuche bereits öffentlich übers Auswandern nach.

Dass Kulturminister Günay ausgerechnet eines seiner Werke aus dem Programm der Eröffnungsfeier nehmen lasse, könne doch kein Zufall sein, klagte Say. Seine Musik werde "zensiert". Zudem schlug sich Say auf die Seite der Buchmessen-Boykotteure: Er werde nicht nach Frankfurt reisen, kündigte er jüngst im "Hamburger Abendblatt" an.

Susanne Güsten

© Qantara.de 2008

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Webseite der Frankfurter Buchmesse (Gastland Türkei)