Von der Islamkritik zum Post-Salafismus
Das neue Buch des vor allem aus dem Fernsehen bekannten, deutsch-ägyptischen Publizisten Hamid Abdel-Samad über den Propheten des Islams will sowohl eine "Abrechnung" (so der Untertitel) mit dem geläufigen muslimischen Bild von Mohammed als auch eine Kritik am historischen Mohammed sein.
Dem idealisierten Mohammed-Bild vieler Muslime setzt Abdel-Samad ein von ihm gezeichnetes, weitgehend negatives Mohammed-Bild entgegen. Dabei überrascht, dass der Autor offenbar überzeugt ist, dem echten, historischen Mohammed, ja sogar seiner psychischen Verfassung auf die Spur gekommen zu sein, obwohl der Prophet im Jahr 632 gestorben ist und es außer dem Koran keine Dokumente von oder über ihn gibt, die bis in seine Lebenszeit zurückreichen.
Die Frage der Echtheit
Im einleitenden Kapitel stellt Abdel-Samad daher zunächst richtig fest, "dass wir keine eindeutigen historischen Belege haben für das, was er (Mohammed) tatsächlich getan oder gesagt hat. (…) Hinzu kommt, dass man einen Menschen, der im 7. Jahrhundert gelebt und gewirkt hat, nur schlecht nach dem Wissen und den Maßstäben des 21. Jahrhunderts beurteilen kann." Trotz dieser Feststellung unternimmt Hamed Abdel-Samad dann aber genau dies: Er beurteilt den Propheten von heute aus und stützt sich dabei auf die fragwürdigen Dokumente von einst.
Entsprechend mutwillig ist das Ergebnis: Der Befund, zu dem der Autor kommt, lautet, dass Mohammed ein Epileptiker und Psychopath gewesen sei. Das erinnert fatal an die Darstellung Mohammeds als Lügenprophet, Epileptiker und paranoider Despot, wie sie die abendländisch-christliche Auseinandersetzung mit dem Islam seit den ersten Begegnungen und Konfrontationen im Mittelalter geprägt hat und wie sie heute von Islamfeinden und Islamkritikern, zu denen sich auch Abdel-Samad zählt, wiederbelebt wird.
Durchgehend wird das Wirken Mohammeds mit dem Wüten des "Islamischen Staates" (oder auch mit der Mafia) heute verglichen und aufgrund dessen verurteilt. Und wenn gesagt wird, Mohammed habe sich "radikalisiert", klingt dies, als hätte Abdel-Samad einen Verfassungsschutzbericht über den Propheten geschrieben. Da sie der aktuellen Nachrichtenlage entsprechen, wirken solche argumentativen Kurzschlüsse ausgesprochen suggestiv und einleuchtend; auf den zweiten befremden sie.
Willkürliche Quellen-Auswahl
Den Islamreformern wirft Abdel-Samad vor, nicht konsequent zu sein, wenn sie sich nur das aus den Mohammed-Überlieferungen herauspicken, was uns heute genehm scheint, andere Aspekte dagegen ausblenden. Sie gingen mit der Prophetenbiographie genauso um wie die Terroristen, die sich ebenfalls das herauspickten, was sie zur Rechtfertigung ihrer Taten gerade benötigten. Abdel-Samad verfährt jedoch nicht anders und klaubt sich fein säuberlich eben das aus der Literatur zusammen, womit er sein eigenes (negatives) Bild von Mohammed glaubt belegen zu können.
Abdel-Samad macht sich jedoch noch einer viel größeren Naivität als der willkürlichen Auswahl der Quellen schuldig. Sein Islam- und Mohammed-Bild verdankt sich letztlich genau dem fundamentalistisch-salafistischen Islam, den es bekämpfen will. Der Unterschied zwischen der Mohammed-Darstellung Abdel-Samads und der eines Salafisten besteht nicht im Inhalt, sondern in der Wertung: Abdel-Samad findet verwerflich, was die Salafisten nachahmenswert finden. Beide glauben, es gäbe den wahren Mohammed, und sie wüssten, was dieser sei.
Mit Wertungen, Urteilen und Richtersprüchen ist uns jedoch in der Auseinandersetzung mit fragwürdigen Weltanschauungen nicht geholfen. Wir müssten sie vielmehr analysieren und die Vermessenheit ihrer Wahrheitsansprüche entlarven, statt einfach entgegengesetzte Wahrheitsansprüche zu erheben.
Prophet mit menschlichen Schwächen
"Die Reform des Denkens beginnt, wenn Muslime es wagen, Mohamed aus dem Käfig der Unantastbarkeit zu entlassen und ihn Mensch werden zu lassen", heißt es gegen Ende des Buchs. Man ist geneigt, dem Autor zuzustimmen. Allerdings unterstellt diese Aussage, für Muslime sei Mohammed pauschal und seit jeher unantastbar.
Abdel-Samad, selbst viel zu sehr von der fundamentalistischen Islam-Interpretation geprägt, übersieht bei dieser Behauptung, dass genau diese menschliche Sicht auf Mohammed die muslimische Wahrnehmung des Propheten die meiste Zeit geprägt hat und vielfach bis heute prägt. Und nur deswegen, weil die muslimische Tradition den Propheten mit allen menschlichen Schwächen zeigt, ist es auch Abdel-Samad möglich, mithilfe muslimischer Quellen Mohammed als kranke Seele zu diskreditieren.
Jedem sein Mohammed-Bild
Anders als Abdel-Samad behauptet, zensieren die islamischen Quellen das Mohammed-Bild also gerade nicht – dies ist angesichts der Vielzahl der Überlieferungen gar nicht möglich. Vielmehr bieten sie einen Wildwuchs, der es jedem erlaubt, sich sein eigenes Mohammed-Bild zu stricken; natürlich auch einem Hamed Abdel-Samad. Aber dieser Wildwuchs, so chaotisch er anmutet, lässt sich nicht als Argument gegen den Islam gebrauchen.
Gegen den Islam spricht nur das Verfahren des modernen Fundamentalismus, der die Schwachpunkte des Propheten als für Muslime vorbildlich missversteht und das Quellenchaos in den Griff zu bekommen sucht, wie es für moderne Ideologien typisch ist. In solcherlei ideologische Denkmuster verstrickt (man könnte es einen Post-Salafismus nennen), entgeht Abdel-Samad die Ironie der diffusen Quellenlage zum Leben Mohammeds: Nämlich dass am Ende jeder Gläubige, ob er will oder nicht, auf sein eigenes Urteilsvermögen und sein Gewissen zurückverwiesen wird.
Wir warten also weiter auf ein Buch über den Propheten des Islams, das uns aus den Sackgassen des ewigen Pro und Contra befreien könnte und stattdessen Mohammed als das zeigt, was er seit jeher war: eine Projektionsfläche, die nichts anderes zeigt als das, was man auf sie projiziert.
Wer die Wartezeit überbrücken und wirklich etwas über den Propheten lernen will, arbeite sich unterdessen durch die 1.000 Seiten der Mohammed-Biographie von Tilman Nagel, die im Gegensatz zu Abdel-Samad (der einen Großteil seines Wissens von Nagel hat) vorführt, was gründliche Analyse und kritische Lektüre der Quellen leisten kann.
Abschließend sei mit Verwunderung vermerkt, dass der Autor nicht der im Deutschen üblichen Schreibweise des Prophetennamens mit doppeltem "m" folgt, sondern, wohl inspiriert von populärwissenschaftlichen englischsprachigen Autoren, diesen mit einem "m" schreibt. Tatsache ist und bleibt jedoch, dass die Schreibung "Mohammed" näher am arabischen Original ist und auch der in der Islamwissenschaft üblichen Schreibweise entspricht (neben "Muhammad"). Mit Spannung wird zu beobachten sein, wer, indem er der Schreibung Abdel-Samads folgt, dessen post-salafistischem Islam-Verständnis folgen will.
Stefan Weidner
© Qantara.de 2015
Hamed Abdel-Samad: Mohamed. Eine Abrechnung, Droemer Verlag, München 2015. 240 S., 19,99 Euro.
Stefan Weidner ist Islamwissenschaftler und Übersetzer aus dem Arabischen. Zuletzt erschien von ihm die Streitschrift "Anti-Pegida" bei Amazon Kindle Singles.