Rettet ein "grüner Islam" den Inselstaat vor dem Klimakollaps?
Nach der Veröffentlichung des alarmierenden Berichts des Weltklimarats (IPCC) vor einigen Wochen steht Indonesien wieder im Mittelpunkt der globalen Klimadiskussion. Als größter Kohle- und Palmölexporteur der Welt trägt das Land maßgeblich zur Klimakrise bei. Dabei ist auch der Inselstaat selbst vermehrt von Extremwetter betroffen. 2019 führte eine schwere Dürre zu großflächigen Waldbränden. 2020 erlebte das Land massive Überschwemmungen durch die stärksten Regenfälle seit Jahrzehnten.
Mit seinen über 270 Millionen Einwohnern steht Indonesien vor enormen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen. Der Islam bietet aber auch eine Chance, Menschen für den Klimaschutz zu mobilisieren. In dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung weltweit werden die Rufe nach einem umweltbewussten Islam immer lauter.
"Es besteht kein Zweifel, dass das neue islamische Umweltbewusstsein die gesamte ökologische Bewegung in Indonesien stärkt", erklärt Fachruddin Mangunjaya, Vorsitzender des Zentrums für Islamische Studien an der National University in Jakarta, im Gespräch mit der Deutschen Welle. Ein Umdenken und der Übergang zu sauberer Energie scheinen unabdingbar, doch kann ein "grüner Islam" wirklich den Wandel hin zu einer ökologischeren Lebensweise vorantreiben?
Ein Land im Dilemma
Indonesien mit seinen über 17.000 Inseln steht in einem Zwiespalt. Die zwei großen Klimasünden, die neben der mangelhaften Müllentsorgung immer wieder für Schlagzeilen sorgen, sind Nutzung der Kohlekraft und die großflächige Rodung von Wäldern. Indonesien ist nicht nur Exportweltmeister von Kraftwerkskohle, sondern auch der weltweit größte Produzent von Palmöl, was jedes Jahr zur weiteren Abholzung und Erschließung großer Waldflächen führt. Kohle und Palmöl bilden das Rückgrat der indonesischen Wirtschaft, die ohne eine zuverlässige Energieversorgung und den Export des in der Industrie begehrten Palmöls nicht wachsen kann.
Andererseits schadet dieses Wirtschaftsmodell auch genau den Menschen, denen es eigentlich dienen soll: der indonesischen Bevölkerung. Der Ausstoß von Treibhausgasen durch Kohlekraftwerke und die Abholzung der Wälder haben erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen der Landbevölkerung. Durch den Klimawandel leiden viele der abgelegenen und armen Provinzen Indonesiens regelmäßig unter Dürreperioden, was die Armut der Menschen im Land verschärft.
Der Islam könnte nun helfen, einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden, denn in Indonesien fühlen sich knapp 87 Prozent der Bevölkerung als Muslime. "Es gehört zu den Geboten des Islam, Natur und Umwelt zu schützen. Daher ist die Nutzung sauberer Energie für Muslime auch ethisch und moralisch wichtig", erklärt der indonesische Anthropologe Ibnu Fikri im Gespräch mit Deutschen Welle. Zusammen mit seinem Kollegen Freek Colombijn von der Freien Universität in Amsterdam hat er zum Thema "Green Islam" in Indonesien geforscht, einer von islamischen Ideen und Lehren inspirierten schonenden Interaktion zwischen Mensch und Umwelt.
"Green Islam" findet auch verstärkt in der Politik Beachtung. Die Regierung von Präsident Joko Widodo hat kürzlich mit islamischen Führern und Gemeinschaften gemeinsam das Ziel vereinbart, dass Indonesien im Jahr 2060 netto gar keine Emissionen mehr ausstoßen soll. Damit ist gemeint, dass dann alle von Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen durch Ausgleichsmaßnahmen wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. Als ein Schritt auf diesem Weg unterzeichnete das Ministerium für Umwelt und Forstwirtschaft vergangenes Jahr ein Partnerschaftsabkommen mit der Nahdlatul Ulama (NU), der größten muslimischen Organisation des Landes, um gemeinsam Umweltmanagement und nachhaltige Forstwirtschaft zu verbessern.
Umweltschutz auf lokaler Ebene
Doch das reicht laut Fachruddin Mangunjaya nicht aus. Die Dringlichkeit eines Bewusstseins für Klimafragen habe den Großteil der ländlichen Bevölkerung und die Geistlichen des Landes noch nicht erreicht. Dazu könnten gerade die Geistlichen viel beisteuern: Eine Umfrage des Katadata Insight Center aus 2020 zeigt, dass indonesische Bürgerinnen und Bürger den Informationen von religiösen Führern am meisten vertrauen.
An seinem Institut in Jakarta arbeite man deswegen gezielt daran, Brücken zwischen Führungskräften der muslimischen Gemeinschaften und Wissenschaftlern sowie Umweltschützern zu schlagen. "Wichtig ist, dass die Geistlichen nicht nur die religiösen Lehren verstehen, sondern auch ihre Bedeutung für den Klimaschutz und dass sie ihr Bewusstsein in konkretes Handeln umsetzen", sagt Fachruddin. Derzeit betreue man etwa tausend Geistliche, die im Umweltschutz aktiv sind und in verschiedenen Dörfern des Landes für Aufklärung sorgen - Tendenz steigend.
Vor allem junge Menschen gelte es zu erreichen und für Fragen des Umweltschutzes zu sensibilisieren. "Wir müssen stärker an unsere Zukunft denken, damit unsere Schülerinnen und Schüler frühzeitig Antworten auf drängende Umweltfragen finden und sich in ihren eigenen Gemeinden engagieren können", sagt Khatibul Umam, der ein Islamisches Internat (Pesantren) auf der Insel Madura leitet, der Deutschen Welle.
Islamische Internate sind ein wichtiger Bestandteil des indonesischen Bildungssystems. Allein das Internat von Khatibul Umam zählt 11.000 Studierende. Hier habe man sich zur Kernaufgabe gemacht, Islam und Umweltschutz zusammenzubringen. Mit Erfolg: Die Schule hat sich bereits an mehreren Umweltschutzprojekten für Wiederaufforstung, für nachhaltige Landwirtschaft und Recycling beteiligt – alle Projekte waren regional verankert und inspiriert durch den Islam.
Pluralismus schafft Chancen
Obwohl die Richtung stimmt, weiß auch Internatsleiter Umam, dass der islamische Umweltaktivismus in Indonesien noch am Anfang steht. "Die wichtigste Herausforderung, vor der wir stehen, nicht nur in unseren Schulen, sondern generell in der Gesellschaft, ist zu zeigen, warum diese Projekte für alle Gesellschaftsschichten und auch die folgenden Generationen von Bedeutung sind."
Schließlich gebe es in Indonesien nicht den einen Islam, wie Anthropologe Ibnu Fikri zu bedenken gibt: "Weil sich die Indonesier (die Verfassung schreibt das vor, Anm. d. Red.) für eine Religion entscheiden müssen, gibt es eine enorme Vielfalt an gelebtem Islam. Manche integrieren den Islam in ihren Alltag, andere fühlen sich weniger zugehörig und sind muslimisch, weil sie sich für eine Religion entscheiden müssen."
Daher gilt es nicht nur Islam und Umweltschutz, sondern auch unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen langfristig miteinander in Einklang zu bringen. Es braucht einen umfassenden, gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Islamwissenschaftler Fachruddin Mangunjaya sieht im Pluralismus Indonesiens eine große Chance. "Wir lernen viel von den Traditionen aus der Zeit vor dem Islam. Aufgrund unserer demokratischen Strukturen in Indonesien respektieren wir nicht nur Natur und Umwelt, sondern auch alle Menschen und ihre Ideen."
Diesen Eindruck konnte auch Ibnu Fikri bei seiner Feldforschung in indonesischen Dörfern gewinnen. Es sei ein "kulturelles Umweltbewusstsein", ein Zusammenspiel aus Religion, Traditionen und lokalen Praktiken, das Menschen zum Umweltschutz bewege. Auch wenn es ein langer Weg ist: Der Islam kann beim Aufbau eines Umweltbewusstseins und der tatsächlichen Verhaltensänderung für viele Indonesier in Zukunft eine wichtige Quelle der Inspiration sein.
Enno Hinz
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