Zwischen Licht und Schatten
Wie ist das für Sie, dass "In den letzten Tagen der Stadt" ein solcher Erfolg ist, allerdings noch immer nicht in ägyptischen Kinos gezeigt werden darf?
Tamer El Said: Der Film hat mir mehr gegeben als ich mir je erträumt hätte. Es ändert nichts daran, dass ich will, dass er den Menschen gezeigt wird, die den Kontext verstehen. Ich denke, die Tatsache, dass der Film nicht in Ägypten gezeigt wird, bedeutet, dass diese Erfahrung für mich noch nicht abgeschlossen ist. Das ist die größte Wunde für mich, und ich habe diesen Schmerz auch noch nicht überwunden. Wir haben den Film an die Zensurbehörde geschickt und seit über zehn Monaten keine Antwort erhalten. Es ist klar, dass sie ihn nicht direkt ablehnen wollen. Mit einem solchen Etikett ist der Film nämlich nicht offiziell verboten, allerdings ist dieser Weg einer von vielen, um den Film zu zensieren, ohne ihn offiziell zu zensieren.
Worum geht es in Ihrem Film und was hat Sie hierzu vor allem inspiriert?
El Said: Der Film handelt von der Suche nach der Seele der Stadt. Für mich war Kairo immer eine fotogene Stadt, und ich wollte lernen, wie man sie filmt. Ich mag poetisches Kino, und der Film ist ein Versuch, eine Balance zwischen Eleganz und Rauheit zu finden. Meine Aufgabe ist es, über die versteckten Dinge zu sprechen, ohne sie dabei direkt sichtbar machen zu müssen.
Welche Regisseure haben Ihr filmisches Schaffen bisher am meisten beeinflusst?
El Said: Mir gefallen viele Regisseure, von daher habe ich auch keine Angst davor, von ihnen beeinflusst zu werden. Für mich spielt insbesondere Mohammed Khan eine wichtige Rolle in meinem Leben. Ich bin letztlich Regisseur geworden, weil ich mir seine Filme angeschaut habe. Als ich sehr jung war, sah ich seinen Film "Darbet Shams". Ich wusste damals noch nicht, was ein Regisseur eigentlich macht. Aber mir fiel auf, dass er eine andere Herangehensweise an das Filmen hatte, was mir sehr zusagte.Ich werde immer wieder gefragt, ob ich einen Film über die Revolution gemacht habe. Es kein Film über die Revolution, als vielmehr ein revolutionärer Film, was bedeutet, dass er sich gegen den Mainstream, gegen offizielle Narrative richtet und versucht, eine alternative Erzählung wiederzugeben. Das Kino darf gewisse Risiken nicht scheuen – ohne das können wir nicht weiter machen.
In welcher Art war Ihr Film revolutionär auf der Ebene der Produktion des Films?
El Said: Das Hauptproblem des Filmes bestand darin, dass keine Infrastruktur existierte. Wir hatten keine Referenzund mussten diese Referenz erst noch schaffen. Diesen Film und diese Art von Kino zu machen, ist sehr schwierig. Hinzu kommt das komplexe politische Umfeld Ägyptens, in dem es schwierig ist Drehgenehmigungen zu erhalten und zu filmen. Ich musste im Drehbuch falsche Angaben machen, um an bestimmten Orten drehen zu können.
Die Charaktere in dem Film haben alle ihre menschlichen Fehler, und könnten auch in der realen Welt existieren. Welche Szenen und Dialoge entstanden eher spontan und zufällig oder waren improvisiert?
El Said: Im Grunde genommen war alles improvisiert. Wenn man improvisiert, muss man besser vorbereitet sein, als wenn es strikt nach Plan geht. Es geht nicht nur um Dialoge, sondern auch, wie man den Film dreht. Jeder dieser Charaktere reflektiert gewissermaßen einen Teil von einem selbst. Die Proben waren sehr wichtig, weil eine Beziehung zwischen ihnen geschaffen wurde. Die Geschichte von Khalids Familie ist auch meine Geschichte. Ich denke, dass wir einiges gemeinsam haben, aber wir sind nicht ein und dieselbe Person. Dies ist eine Art von Spiegel, in dem sich die Stadt reflektiert. Durch Khalid sehen wir die verschiedenen Ebenen der Stadt.
Weshalb haben Sie Nachrichtenmeldungen aus dem Radio als Stilmittel in Ihrem Film verwendet?
El Said: Ich wollte eine Ebene schaffen, die aus der Perspektive des Staates erzählt und den Kontext der Charaktere, in dem sie leben, widerspiegelt – und welcher Unterdrückung sie ausgesetzt sind. Wir wollten eine Geschichte schreiben, die mit der Gehirnwäsche zu tun hat, die durch die Medien im Film erzeugt wurde.
Inwiefern haben Sie insbesondere auf den Gewaltaspekt innerhalb der ägyptischen Gesellschaft während der Revolution fokussiert? Weshalb war Ihnen das wichtig?
El Said: Was macht man in einer Welt, die kurz vor dem Zusammenbruch steht und man sie lediglich filmt? Menschen denken, dass die Demonstrationen und die Anti-Regime-Proteste 2011 starteten, doch all das begann bereits viel früher. Wir haben die Verpflichtung, diese Momente festzuhalten, zu dokumentieren und daran zu erinnern. Es kommt vor, dass das Kino als Möglichkeit betrachtet wird, bestimmte Nachrichten zu deuten, zu erklären. Das ist aber nicht unsere Aufgabe als Filmemacher. Ein guter Film entsteht aus einer bestimmten Notwendigkeit heraus. Und wir kommen aus einem Teil der Welt, in der diese Notwendigkeit immer mit dem Politischen in Verbindung steht.
Das Gespräch führte Tugrul Mende.
© Qantara.de 2017
Der Film "In den letzten Tagen der Stadt" Tamer El Said läuft seit dem 7. September 2017 auch in deutschen Kinos.